(8. März 2021) Wie sieht die Geschlechterverteilung in deutschen Berufsorchestern aus? Zum Weltfrauentag 2021 liegen die Ergebnisse einer Vollerhebung vor. Bei 129 öffentlich finanzierten Orchestern hat das Musikinformationszentrum (miz) nachgefragt und gezählt. Das Ergebnis? Am Pult der Zeit?! Jein. Es gibt immer noch klar männlich dominierte Instrumente. Die Tuba hielten 103 Männer in den Händen – gegenüber zwei Tubistinnen. Das sind 98%. Die Posaune: 443 Männer gegenüber 16 Frauen. Das sind 96%. Trompete (94%), Pauke und Schlagwerk (95%). Alles dargestellt auf einem Schaubild, dass über das miz zu beziehen ist. Paritätischer und durchmischter ist es in den fünf Stimmgruppen der Streicher. Im Tutti der zweiten Violinen und auch den Flöten sind es über 60% weibliche Musikerinnern. Und es gibt sogar eine Frauendomäne, die Harfe (93%). Mit anderen Worten: insgesamt sitzen an vier von 10 Pulten Frauen.
Klingt doch nicht so schlecht, der 39,6%er Frauenanteil, der sich in den untersuchten 129 Berufsorchestern bestätigt hat. Vor allem verglichen mit dem jüngsten Aufruf Franziska Giffeys, auch Bundesministerin für Frauen, dass ein Anteil von unter 10% in den Vorständen deutscher Unternehmungen nicht hinnehmbar sei! Die Mitarbeiter*innen des Deutschen Musikinformationszentrums, eine Fachstelle für Informationserhebungen des Deutschen Musikrats, haben allerdings weitere Zahlen generiert. Es wurden alle 9.884 Musiker*innen in besagten 129 öffentlich finanzierten Orchestern auch nach ihrer Position und Stimmgruppe befragt. Im Orchester gibt es Hierarchien und Dienststellungen. Die oder den Konzertmeister*in, Stimmführer*in, stellvertretende(r) Soloist*in, Vorspieler*in oder den einfachen Tuttisten. Dazu wurde auch die Vergütung abgefragt. Und schon rückt die monierte Schieflage in Vorständen näher. Der Frauenanteil sinkt in den höheren Orchester-Dienststellungen auf 28,4 %, in den niedrigeren Dienststellungen liegt er bei 47,5%. In der höchsten Tarifgruppe immerhin bei 34%. Deutlich mehr als die 10%, die Franziska Giffey für Vorstandsfrauen eingefordert hat. Allerdings beim höchsten Orchesterposten, dem Chefdirigenten oder Generalmusikdirektor sind es dann magere 3 % Frauen. Von den 129 öffentlich bezahlten deutschen Orchestern dulden mal gerade vier eine Frau am 1. Pult. Hinnehmbar? Neun Positionen seien allerdings vakant, was den Prozentsatz etwas hebt.
Auch im Orchester. Sie sind schlechter bezahlt und haben in der Mehrzahl niedrigere Dienstgrade. Es ist ja auch erst 30 Jahre her, dass Frauen in die Orchester aufgenommen wurden. Weibliche Rollenmodelle sind also noch jung. Darauf weist Christiane Christianus hin, die Frauenbeauftragte des Saarländischen Rundfunks und mit dabei bei der Diskussionsrunde, die das miz, der Deutsche Musikrat in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Bühnenverein zur Präsentation der Ergebnisse und des Methodenberichts einberufen hat. Eine fundierte Ursachenforschung steht allerdings noch aus. Fakt ist, dass Gleichberechtigung noch nicht da ist. Das hat unter anderen bei dieser Online-Veranstaltung eine Fagottistin mit einer bitteren Erfahrung vor zwei Jahren bestätigt. Frau gewinnt Probespiel (hinter Vorhang), die Stelle wird dann einfach nicht besetzt. Im Jahr darauf wird für das Probespiel das Alter um ein Jahr heraufgesetzt, sodass die Musikerin von vornherein ausgeschlossen ist. Die Stimmgruppe wollte, und hat das wohl offen bekundet, nicht mit einer Frau spielen! Es handelt sich übrigens um die Stimmgruppe eines der renommiertestes Festspielorchester Deutschlands. Ist so etwas hinnehmbar? Müsste das vom Arbeitgeber nicht sanktioniert werden und Verpflichtungen zur Geschlechtergleichberechtigung eingefordert werden? Und wie müssten die jungen weiblichen Rollenmodelle gefördert werden? Statt dem Fagottisten nur noch Fagottistinnen abbilden? Frauen sichtbarer machen, das wird immer wieder gefordert, und scheint ein wesentlicher Ansatz. „Frauenkomponistinnen gab es nicht, weil sie in den von Männern geschriebenen Musikgeschichten nicht erwähnt wurden“, meinte eine Musikerin, nachdem sie eine CD mit Aufnahmen französischer Komponistinnen gefüllt hatte. (siehe klassikfavori-Interview) Wichtig also da, wo Geschlechterungerechtigkeit festsitzt, sie immer wieder beim Namen zu nennen. Diese Fakten-basierte Vollerhebung führt allein noch nicht zum Umdenken. Aber leistet dazu einen zentralen Ansatz. „Wir wollten mit der Erhebung vor allem eine valide Datengrundlage schaffen, die bisher fehlte“, sagt Stephan Schulmeistrat, Leiter des Deutschen Musikinformationszentrums. „Die Herausforderungen lösen müssen nun andere.“