Viel „hohes c“ mit Samuel Mariño

Wenn ein Sopranist am Opernhimmel erscheint sind spektakuläre Töne angesagt! Samuel Mariño ist Venezolaner, 26 Jahre alt und ist mit hohem c sehr großzügig. Jendenfalls auf seiner Debüt-CD beim Label Orfeo in Koproduktion mit dem Deutschlandfunk und den internationalen Gluck-Festspielen mit Arien von Händel und Gluck. Seine musikalischen Partner sind das Händelfestspielorchester Halle unter Michael Hofstetter. (Von Sabine Weber)


(11. Mai 2020) Die Händelfestspiele in Halle hätten Ende de Monats eröffnet. Wie alle Frühlings- und Sommerfestivals ist auch dieses wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden. Jetzt gibt es zumindest diese CD, die zufälliger Weise eine sic! Corona-Arie hören lässt! Auf dieser CD treffen Christoph Willibald Gluck und Georg Friedrich Händel aufeinander, die in London tatsächlich mal ein auf Wertschätzung angelegtes Konzert gemeinsam veranstaltet haben. Gluck hat dann aber in Wien am Kaiserhof Maria-Theresias Karriere gemacht. Für die Feste der kaiserlichen Familie hat er komponiert, unter anderem den Operneinakter Corona.
Corona hat natürlich nichts mit Virus zu tun. Das Libretto von Metastasio dreht sich um den „Siegeskranz“. Bei den Aufführungen dieser Azione teatrale sollten sich dann auch Familienmitglieder in die Rollen werfen können. Samuel Mariño singt eine Arie, die der zweitältesten Tochter Maria-Theresias zugedacht war. Die kontrastierenden Wechsel zwischen Adagio und Allegro-Partien, letztere verlangen enorme Koloraturen, lassen hören, wie gut die Erzherzoginnen ausgebildet gewesen sein mussten.
Jetzt also ein männlicher Sopran, der nicht nur mit hohem C um sich wirft, sondern Nachtigallengleich seine Stimme schlagen lässt (in der Arie des Alessandro Che sarà aus Händels Berenice oder der Arie des Meleagro Non sarà poco aus Händels Atalanta), sich in Kadenzen mit obligater Oboe einen Wettstreit mit vormachen-nachmachen-übersteigern liefert (Arie des Sigismondo Quella fiamma aus Händels Arminio) oder eine große Szene der Berenice aus Glucks Dramma per musica Antigono auslebt, in der Hornsignale, flirrende Streicher sul ponticello flatternde Herzschlagrhythmen imitieren und mit einem haarsträubend harmonischen Bruch in diesem gefährliches Spiel um Liebe oder Tod schockiert. Nach einer dreiteiligen, möglicherweise der Einleitungssinfonie, genaue Angaben werden in der Titelliste nicht gemacht, wird noch die selbstmörderisch angehauchte Liebesklage von Berenices Geliebten Demetrio Già che morir in einer Welterstaufnahme hinter her geschickt.

Wie Soprankastraten damals geklungen haben, wissen wir nicht. Samuel Mariño jedenfalls steigt souverän in ihr Geschäft ein. Als müsste Händels Kastrat Giacchino Conti so und nicht anders geklungen haben. Händel hat ihn mit den hier zu hörenden Arienpreziosen zu Wunderwaffe gegen Farinelli werden lassen. Der sorgte bei Händels Londoner Konkurrenz der Opera of nobility für Furor. Oder Giovanni Belardi, den Gluck in seiner Antigono-Oper für Rom engagierte. In der Nähe des Papstes durften keine Frauen auf die Opernbühne.
Mariños Stimme ist unglaublich beweglich, Kolaratursicher, wie schon gesagt mit bestechender Höhe, und auch wenn die hohen Töne sich etwas verengen, Mariño schleudert sie ohne Rücksicht auf Verluste wie eine Posaune heraus. Er hat aber auch feine Farben, eine betörendes Pianissimo, das leicht maniriert vibriert. Mariño sorgt für einen neuen Hype in der Counterszene. In diesem Sinne Unwiderstehlichkeit signalisierend flegelt sich der schwarzgelockte Charmeur auf Doppelseite zwei des Booklets mit halbgeöffneten Lippen und Schlafzimmerblick auf ein Sofa. Gehört wohl zum Image dazu. Natürlich würde man bald gern hören, wie er sich in einer Oper live on stage macht. Laut Booklet hat er dazu bereits Beweise unter kundiger Stabführung geleistet und ist bei der Opernwelt sogar zum Nachwuchskünstler des Jahres gekürt worden. Diese Aufnahme unter Michael Hofstetter, der das Händelfestspielorchester Halle beherzt, frisch und historisch informiert vorantreibt, werden jegliche Zweifel erst mal pulverisiert!

Ein Gedanke zu „Viel „hohes c“ mit Samuel Mariño“

  1. Ein wundervolles Hörerlebnis ist die CD von Samuel Marino.
    Am 20. September konnte ich ihn life bei dem Galakonzert aus der Stuttgarter Reihe, il gusto barocco, erleben. Samuel Marino überzeugt und begeistert mit seinem einzigartigen Gesang.
    Das Kammerorchester auf Barock Instrumenten war ein voll klingendes und vielfarbig differenziertes „Gegenüber“ und so steigerten sich Musiker und Sänger in einem musikalischen Dialog gegenseitig. Ein wirklich ungewöhnlich schönes Musikerlebnis .

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