Leidenschaftlich und persönlich: der französische Sinfoniker Albéric Magnard!

Albéric Magnard war Zeitgenosse Claude Debussys und eine noch randständigere französische Komponistenpersönlichkeit als Albert Roussel. Dirigent Fabrice Bollon und das Philharmonische Orchester Freiburg machen sich derzeit beim Label Naxos in Koproduktion mit dem SWR zu dessen musikalischen Anwälten. Nach seinen vier Sinfonien kehren sie mit ihrer dritten CD und Magnards Konzertouvertüre op 10, seinen Hymnen op. 14 und op. 17, und einer Suite d’orchestre dans le style ancien op. 2 sogar zu seinen sinfonischen Anfängen zurück. (Von Sabine Weber)

(11. Mai 2020) Der Privatschüler von Vincent d’Indy schmiss sich angeblich nach drei Klavierstücken in die erste sinfonische Partitur „im alten Stil“. Und setzt gleich ein persönliches Ausrufungszeichen. Statt mit einer prototypischen Allemande beginnt er seinen barockesken Tanzreigen mit einer Françoise, einer patriotischen Fantasieschöpfung, die trotzig Passepied-mäßig einmarschiert. Der verlorene deutsch-französische Krieg 1871 nagt noch am Selbstbewusstsein. Dass Magnard dann 1914 bei der Verteidigung seines Hauses in Baron, im Departement Oise, gegen eine deutsche Truppe das Feuer eröffnet und den Tod findet, lädt diese kuriose Randnotiz noch einmal ganz anders auf.

Breitenwirkung wie ein Italo-Western

Mit orchestralen Klangfarben wusste Magnard jedenfalls im großen Stil umzugehen. Holzbläserflächen, wie sie Franzosen lieben, wechseln sich mit Streichern ab. Erstaunlich sind die kirchenmusikalischen Nuancen. Mit Fugenspielen oder modal antikisierenden Melodien mischt er die Tanzsätze auf. In der Sarabande gibt es sogar Bach’schen Passionston. Eine Orgel-Sequenz rauscht wie das Leitmotiv der Wagnerischen Meistersinger durch die Gavotte. Magnard blieb von Bayreuth wohl nicht unbeeinflusst. Die Konzertouvertüre op. 10 kehrt dann solistische Einsätze von Trompete, Violine und Oboe heraus, und findet mit A-dur einen brillanten Festwiesen-Ton. Filmmusikalische Breitenwirkung wie ein Italo-Western entwickelt Magnard. Sogar „Patterns“ spielen minimalistisch hinein, auch wenn Magnard diese zukunftsweisenden Techniken nie Selbstzweck werden lässt. Alles Momente im farbig rauschenden Magnard-Fluss. Und immer wieder Choralmelodien mit modalen Wendungen garniert, die wie in einem Weltraum-Epos für Überwältigung stehen könnten.

Die Walzen der Ungerechtigkeit rollen gigantisch

Dagegen zieht Magnard geradezu brutale Register in der Hymne à la justice, jener Musik-dramatischen Verlängerung von Émile Zolas wütendem „J’accuse“ und Magnards bis auf den heutigen Tag berühmtestes Werk. Wie Zola stellt Magnard die für die französische Justiz beschämende Drefyus-Affäre an den Pranger. In einer aufgewühlten Anklage, die gleich mit heftigen Paukenschlägen zusammenfahren lässt. Den Druck von Ungerechtigkeit lässt er sinfonische Realität werden. Und auch hier Minimalismus. Allerdings rollen die Walzen der Ungerechtigkeit gigantisch durch die Partitur. Wie anders klingt seine Hymne à la Vénus zwei Jahre später, die er seiner Frau in Liebe widmet. Sie und die beiden gemeinsamen Töchter haben ihn den Verlust der Mutter endgültig überwinden lassen. Als er vier Jahre alt war hatte sie Selbstmord begangen, was Albéric seinem Vater, Herausgeber des Figaro, zeitlebend zu Lasten legte. Das Vater-Sohn-Verhältnis war nachhaltig belastet. Bei dessen Tod hat sich Albéric mit ihm dennoch musikalisch ausgesöhnt. Chant funèbre nennt Magnard die seinem Vater gewidmete Totenklage, die Choral-artige Melodien wie Gebete in den sinfonischen Äther schickt.
Der sinfonische Werkkatalog von Albéric Magnard ist nicht allzu groß, seine einzige Oper und ein Liedzyklus sind mitsamt seinem Haus bei dem Überfall der Deutschen verbrannt. Mit dieser Magnard-Aufnahmen darf dennoch einmal mehr gefragt werden, warum hören wir denn wenigsten die wenigen Werke nicht häufiger im Sinfonie-Konzert? Das Philharmonischen Orchester Freiburg unter Fabrice Bollon liefert mit dieser CD jedenfalls ein bestechendes Plädoyer für Magnard. Bollons Einsatz für die französische Romantik hat in der vergangenen Spielzeit auch für die Entdeckung der Franck-Oper Hulda gesorgt. Als Aufführung der ungekürzten Originalfassung sogar als Welterstaufführung! Bis 2022 bleibt Bollon GMD in Freiburg!

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