Sie sind in Franken und beim TV-Fasching legendär: Waltraud und Mariechen, das Kabarettisten-Travestie-Duo mit den echten Namen Volker Heißmann und Martin Rassau. Nun kalauern sich die beiden brillant durch die Eröffnung der diesjährigen Gluck-Festspiele vor dem Vorhang des neobarocken Stadtheaters Fürth. Im verbalen Dialekt-Pingpong machen sie deutlich, dass nicht Jacques Offenbachs „Orpheus“ auf dem Programm steht („Schood, ich had mich ächt auf den Kang Kang gefreut“) und der Sänger der Titelpartie von Glucks „Orfeo ed Euridice“ eben erst in Bayreuth aufgetreten sei: „Naa, ned oben im Feschbielhaus, sondern drundn im Markgräflichen Obbernhaus!“ (Von Klaus Kalchschmid)
(16./17. September 2021 Gluckfestspiele, Fürth, Neumarkt) Ein männlicher Sopran wie Bruno de Sà kann die Partie, die einst Soprankastrat Giuseppe Millico 1769 in der Parma-Fassung verkörperte tatsächlich singen. Gluck hatte seinen Orfeo sieben Jahre zuvor für Wien für einen Altkastraten komponiert. Diese Urfassung wird heute meist gesungen, von einem weiblichen Mezzo, oder Countertören wie Franco Fagioli, Philippe Jaroussky oder Bejun Behta.
Die Parma-Fassung entstand für die Hochzeit von Erzherzogin Maria Amalia mit Herzog Ferdinand von Bourbon-Parma sogar als ein mehrteiliges musikalisch-theatralisches Spektakel. Le feste d’Apollo heißt es und Atto d’Orfeo (Parma-Fassung) ist der abschließende Teil davon. Nach der von Gluck 1774 grundlegend für Paris und einen hohen Tenor auf Französisch veränderten Fassung ist die sogenannte „Parma-Fassung“ bis heute die am seltensten aufgeführte. Denn die hier um eine Terz oder gar eine Quart nach oben transportierte Soprankastratenpartie liegt den meisten Countertenören zu hoch, einem Bruno de Sà oder Samuel Mariño, der ursprünglich vorgesehen war, dagegen fast zu tief!
Sà musste vor zwei Wochen die Partie von Grund auf lernen, um sie nicht nur musikalisch in die Stimme, sondern auch in den Körper zu bekommen. Denn geplant war eine auswendig gesungene konzertante Version mit einem Hauch von Szene mit Samuel Mariño. Der hatte wohl wegen seines Lieder-Recitals abgesagt. De Sà schien leider gesundheitlich angeschlagen. Das hat zu Nervosität geführt und manchmal mangelnder Tragfähigkeit der Stimme in Mittellage und Tiefe. Die Spitzentöne strahlen dennoch stets wunderbar. Als Sà einmal einen hohen Ton ohne Vibrato mit immer mehr Lautstärke und vibrierendem Klang vom Pianissimo ins Fortissimo steigert, geht ein Raunen durch die Reihen.
Ihm zur Seite steht eine feine, ihr Unverständnis ob des scheinbar gefühllosen Mannes immer stärker artikulierende Euridice in Gestalt von Georgina Melville und als Amor der sicher und kraftvoll agierender Knabensopran Cajetan Deßloch von den Tölzern. Dessen musikalischer Leiter ist der Dirigent dieses Abends und der neue Festival-Leiter seit dieser Saison, Michael Hofstetter. Er trägt mit dem auf Originalklang-Instrumenten spielenden Händelfestspielorchester Halle prägnant musizierend den Abend, während das fünfköpfige Calmus Ensemble, manchmal erweitert um den Kammerchor Josquin des Préz, schöne junge Stimmen mit Ausdruck hören, aber doch auch manchmal die chorische Mischung vermissen lässt.
Tags darauf staunt das Publikum im Neumarkter Reitstadl: Denn da durfte es hören, was für ein großartiger Orfeo der Venezulaner Samuel Mariño wohl gewesen wäre. Er singt das berühmte „Che farò senza Euridice“ nach Ende des offiziellen Programms nicht nur brillant, sondern lebt die tiefe Verzweiflung des thrakischen Sängers über den erneuten Verlust seiner Geliebten in jedem Ton und mit jeder Faser seines Körpers aus. Das ist überwältigend, wie der ganze Abend, ebenfalls mit dem Händelfestspielorchester Halle unter Michael Hofstetter. Das spielte sogar noch um einiges packender und knackiger als tags zuvor, lässt sich von Mariño wohl auch infizieren.
Der präsentiert das halbe Programm seiner aktuellen Debüt-CD bei Orfeo, aufgenommen im Oktober 2019. Also etwa „M’allontano, sdegnose pupille“ des Meleagro aus Händels Atalanta und „Quella fiamma“ aus dessen Arminio: ein herrlicher Wettstreit mit einer Solo-Oboe um die schönste Kadenz, die geilste Verzierung und den glanzvoll ausgehaltenen hohen Ton, immer wieder kulminierend in einem dreigestrichenen C, das sogar manch‘ weiblichem Sopran schwerfällt.
Dazu trägt Mariño erst ein silbrig schimmerndes Sakko über nackter Haut, später für Gluck dann ein dunkles Sakko über schwarzem, durchsichtigen Netzhemd. Und auf seinen Plateau-Schuhen stolzierte er elegant viril-feminin, als wären’s High Heels.
Nach der Sinfonia aus Glucks Antigono folgt fulminant verkörpert die große Szene der Berenice („Berenice, che fai“) und „Care pupille“ aus Il Tigrane. Jede Koloratur sitzt perfekt, jede Verzierung girrt, jeder Triller vibriert sexy dazu eine perfekt tänzelnde Bühnen-Show. Eine Kreuzung aus Cecilia Bartoli und Michael Jackson könnte er genannt werden. Und flirtet auch mal mit dem Cellisten im Orchester.
Am Ende gibt Mariño außer der Klagearie des Orpheus noch zwei weitere Zugaben, darunter eine herrlich vital gurrende und noch eine ganz intime, leise Händel-Arie: „Care selve“ des Meleagro aus Atalanta – nur mit Begleitung von Laute und Cello!
Im nächsten Jahr gibt es im Mai bei den Gluck-Festspielen unter anderem zwei szenische Produktionen von Gluck-Opern im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth und im Stadttheater Fürth. Die Besetzung soll hochkarätig und international sein. Details werden im Herbst bekanntgegeben.