Sicherlich ist dieses Konzert bereits ein Höhepunkt! Sankt Ursula in Bahnhofsnähe hat sowohl die richtige Atmosphäre als auch die perfekte Akustik für das in München beheimatete Sextett „Singer Pur“. Die fünf männlichen Sänger plus eine Sopranistin feiern mit ihrem Programm „Horizons“ – „Horizonte“ dieses Jahr auch ihr 30jähriges Ensemblejubiläum. Und versetzen das Publikum und den Romanischen Kirchenraum sofort in Schwingung. „Schwingen“ steht ja auch als Thema über dieser Romanischen Sommerwoche. (Von Sabine Weber)
(19. Juni 2022, Sankt Ursula Köln) Zu erkennen am Fotografen links an der Säule, der sein Teleobjektiv auf uns richtet und fokussiert! Irgendetwas ist scharf gestellt in dem durch die gestrige Hitze aufgeheizten Kirchenraum. In Verlängerung des Fotografenfokus steht zwischen den Pfeilern einer der Sänger. Auch die anderen Sänger haben sich um das Publikum verteilt und beginnen, einen Bordun-Ton zu kauen. So, wie man das macht, wenn Obertöne bereits im Mundraum entstehen sollen.
Die Sopranistin zieht von hinten ein und intoniert auf den Ton eine einstimmige Anrufung einer Seele, die sich in größter Not wähnt. Die Antiphon O pastor animarum Hildegard von Bingens ist berühmt! In den am Eingang verteilten Textblättern wird allerdings vergeblich nach dem Text und seiner Übersetzung geraschelt. Nichts passt zu den Titeln des Programms. Wenn man schon die Liedtexte erst am Abend oder kurz vor Konzert fotokopiert, um aktuell zu sein, sollte doch erkannt werden, dass die Texte zu einem völlig anderen Programm gehören…
Großartige Gesangskultur
Die großartige Gesangskultur vorne macht alles wett. Das Blattbündel fällt unter die Kniebank. Die unglaubliche Homogenität und Geschmeidigkeit im Zusammenklang bis ins Pianissimo hinein bannt im Zuhören. Singer Pur entdeckt Gesangskultur vom 11. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert, Geistliches wie Weltliches. Tonal – quintig – archaisch- mit anrührenden Dissonanzen durchmischt hat die isländische Komponistin Anna Þorvaldsdóttir ihre zeitgenössische Psalmvertonung. Bachs strophischer Choral Auf, auf mein Herz mit Freuden BWV 441 wirkt dazu fast nüchtern naiv. Ludwig Senfl kommt zweimal im Programm vor. Er steht in diesem Jahr im Fokus bei den Singer-Pur-Tagen im August.
Entdeckungen
Der noch nie gehörte frühbarocke Komponist Dominque Phinot schließt mit einer Hoheliedvertonung aus dem 16. Jahrhundert auf ein orthodoxes Gebet des 1985 geborenen Mahommed Fairouz an. Dieses Totengebet von drei Männern (links) vorgetragen, hat schamanischen Beschwörungscharakter, denn die drei anderen Sänger (Sopran, Tenor und Bariton) wiederholen immer weider eine eigenartig verzaubernde harmonische Formel auf „Ya Allah“.
Für die spanische Anrufung der göttlichen Jungfrau von Pedro De Escobar aus dem frühen 16. Jahrhundert packt ein Sänger den Schellenkranz aus. Zu Ehren der Gottesmutter wurde in Spanien bei Straßenfesten getanzt! Zum letzten südafrikanischen Traditionel in Xhosa-Sprache schwingt das Ensemble in Reihe sogar die Hüften. Die Zugabe ist eine Anlehnung an die Kultur der Berliner Comedian Harmonists. Der Bassist Felix Meybier singt die beiden Strophensolos, die aus dem UFA-Film Bomben auf Monte Carlo stammen und die Treue der Zurückgelassenen beschwören. Der Mann steht an der Front…
Dieses Programm ist das Ergebnis von dreißig Jahren intensiver und vielfältiger Ensemblearbeit mit großer Repertoire-Bandbreite. In ihm wirkt der Geist aus den verschiedenen Programmen, die das Ensemble, übrigens immer unter demselben Tonmeister Christoph Frommen bei Oehms-Classic, auch aufgenommen hat. 1992 haben sich die Singer Pur(s) aus den Regensburger Domspatzen gebildet. Bald wurde sich für eine Frau als Leadsängerin entschieden, die seit 20 Jahren und auch bei diesem Auftritt Claudia Reinhard heißt. Tenor Markus Zapp ist noch einziges aktives Gründungsmitglied. Nach dem Konzert steht man vor dem Kirchenportal noch entspannt zusammen….