Sexorgien, Exorzismus und Fanatismus. Die Teufel von Loudun sind in München los!

Wie katholischer Fanatismus instrumentalisiert und zum blanken Horror wird, das verhandelt unter anderem diese 69er-Oper, vom damals noch mit verblüffend experimentellen Klängen hantierenden Krzyzstof Penderecki. Im Nachhinein ist noch verblüffender, wie der zutiefst katholische polnische Komponist so gegen die Institution der katholischen Kirche ausholen konnte. Immerhin widmet Penderecki Kardinal Karol Wojtyła ein „Te Deum“ und dem späteren Papst sogar ein „polnisches Requiem“. Aber das ist ja auch mehr als 10 Jahre später.

Der Auftrag zu den „Teufeln von Loudun“ erreicht Penderecki während der Liebermann-Ära aus Hamburg. An der Hamburgischen Staatsoper werden „Die Teufel“ auch erstmals losgelassen. Und sind bereits ein Jahr später an der Stuttgarter Oper in einer neuen Regie schon wieder zu erleben. Die unmittelbare Aufführungsbilanz von Pendereckis erster Oper ist fulminant. Inzwischen ist sie dem Repertoire jedoch verloren gegangen. Gestern hat München aber mit dem Kirchen-Schocker sein Opernfestival eröffnet. Serge Dorny sorgt am Ende seiner ersten Spielzeit als neuer Intendant noch einmal so richtig für Furore. Diese erste Oper von Penderecki ist auch wirklich ein großer Wurf. (Von Sabine Weber)

(28. Juni 2022, Bayerische Staatsoper, München) Das Haus ist auch ausverkauft. Die Geschichte skandalös, für das französische Kleinstädtchen Loudun im 17. Jahrhundert so oder ähnlich wohl verbürgt. Die Äbtissin eines Ursulinenklosters begehrt den Stadtpfarrer Urbain Grandier, der bekanntermaßen auch die Frauen liebt. An den Nonnen ist er aber nicht interessiert. Die Abfuhr stürzt Äbtissin Jeanne in verzweifelte Fantasien. Grandier habe sie als Teufel verführt . Viele Teufel und Dämonen sind plötzlich auf dem Plan.

Martin Winkler (Vikar Barré) und Ausryne Stundyte (Jeanne). Foto: Wilfried Hösl

Es kommt zur Denunziation, zu Massenhysterien im Kloster, Exorzisten treten auf, der fanatische Barré, Vikar von Chinon. Und Grandier – nicht zuletzt, weil er eine Autorität in Loudun ist und Kardinal Richelieu die Stadt längst in die Knie zwingen wollte – wird nach hochnotpeinlicher Tortur auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Freilich wird Grandier dabei von Penderecki zum Helden stilisiert, wächst über die ihm zugefügten Schmerzen hinaus, die kleinen menschlichen Vergehen sind längst verziehen, denn sein unerschütterlicher Glaube diskreditiert die Institution Kirche als im Irrtum und sich in rein politischen Fahrwassern bewegend. Grandier hat sogar Jesus-Qualität, ein Judas-Kuss kommt auch zwei Mal vor, und im letzten Satz verzeiht er allen Feinden.

Dass im letzten Moment Wolfgang Koch abgesagt und die Partie Grandiers von Bariton Jordan Shanahan mit wunderbar dunkler und ruhiger Färbung, aber auch mal mit Kopfstimme gesungen, aus dem Graben wie jenseitig tönt, während der Schauspieler Robert Dölle ihn auf der Bühne verkörpert und seine Dialoge sprachgewaltig vermittelt, verleiht der Figur eine besondere Wirkung.
Aušrinė Stundytė gibt die von ihren Sehnsüchten gequälte Äbtissin, betet, tröstet auch mal, aber schaut vor allem verzweifelt in Abgründe, mimt Teufel, spricht auch mit der Stimme der Teufel, die akustisch zugespielt wird, während sie die Mundbewegungen dazu macht, oder sie zuckt im Wahnsinn während der Teufelsaustreibung. Der fanatische Exorzist Barré wird mit aller dämonischen Kraft von Bassist Martin Winkler verkörpert, der zögerliche, durchaus vernünftigen Argumenten zugängliche Beichtvater Mignon, Ulrich Reß, versucht sogar dem Fanatismus entgegen zu wirken. Ein riesiges Ensemble bevölkert die Bühne, es gibt sogar ein Buffopaar, einen Chirurgen und einen Apotheker (Jochen Kupfer und Kevin Connors), die im Auftrag Barons Laubardemont (Wolfgang Ablinger-Sperhacke) beschatten und fies komisch auflauern.

Die Handlung ist ungemein dicht, teilweise glaubt man sich in einem Schauspiel oder zumindest Melodram, das den Worten stets den Vorrang gibt. Es gibt auch reine Sprechpartien, wie die des Bürgermeisters oder die eines Stadtrichters. Die Gesangspartien sind sehr wortverständlich angelegt, mit Ausnahme der kleineren Koloraturpartie (Danae Kontora). Penderecki hat auch das vertonte Libretto selbst zusammengeschrieben. Nach einem Sach-Roman von Aldous Huxley aus den 1950ern, der Anfang der 1960er von John Whiting für die Bühne dramatisiert und dann von Erich Fried ins Deutsche übersetzt wurde.

Der Bühnenkubus. Foto: Wilfried Hoesl

Die Szenen folgen in Pendereckis Oper verdammt dicht aufeinander. Dafür hat Bob Cousins Regisseur Simon Stone einen sich ständig drehenden Kubus in Beton-Optik als Stadt, Mauerfestung mit verschiedenen Öffnungen gebaut, die Zellen, Beichtstuhl oder Liebeskammer sein können. Permanent gibt er neue Ausschnitte Preis. Nonnen stehen auf einem Balkon oder blicken durch kleine Fenster. Für die Massenszenen öffnet sich eine komplette Seite und eine Art Agora oder Kirchenraum mit rieisgem Lichtkreuz erscheint. Auf Parkhaustreppen im Inneren eilen modern gekleidete Menschen hoch und runter. Das Hier und jetzt also spielt auch hinein. Die Bogenschützen sind hier auch wie deutsche Polizisten gekleidet, was irgendwie irritiert. Sind wir in Deutschland?

Ausrine Stundyte (Jeanne) und Ensemble. Foto: Wilfried Hösl

Aber man ist ja auch froh, dass dem Folteropfer, statt des brutalen Die-Beine-mit-Keilen-und-Hammer-zu-zertrümmern – in der Regieanweisung Penderecki auch genau so angewiesen – moderne Folter mit Elektroschocks angetan wird. Das reicht schon völlig. Überhaupt braucht es gerade für den letzten Akt stahlharte Nerven. Es bleibt nichts ausgespart. Bei den ersten Schreien wächst das Orchester aus dem Graben sogar zu solcher Lautstärke an, dass die Schreie übertönt werden.

Die Partitur ist in jedem Moment der Seismograph zur Handlung. Unter der Leitung von Vladimir Jurowski schöpfen die Musiker des Bayerischen Staatsorchesters dabei meist aus den dunklen Registern. Unheil verkündende Flächen werden aufgeschichtet, die wohl mehrfach schon in Horrorfilmen eingesetzt wurden. Natürlich gibt es auch das Gewitter! Dazu aber auch viele feine kammermusikalische Momente. Eine Altquerflöte trifft auf ein Saxophon, in der Partitur gibt es vier Saxophone. Eine E-Gitarre jault, dann wummern zwei Tuben und es vibriert bis ins Parkett hinein. Eine Orgel sorgt für Kirchenklänge. Kirchengeläut gibt es natürlich auch. Die Streicher sitzen sämtlich auf der linken Seite im Graben. Und dann flirren auch die Violinen in nervenzerreibend hohen Tönen. Alles ist im Fluss, der auf die Katastrophe zusteuert. Und der Chor gehört mit in den Gesamtklang, zischelt, schreit und singt meist wortlos auf Vokale, um atmosphärisch von allen Seiten auch mal gewaltige Cluster beizusteuern.

Wie konnten die intensiven knapp zwei Stunden pausenlos durchgestanden werden? So ruft es denn einmal wütend aus dem Publikum „ich könnte kotzen!“ Im dritten Akt gibt es auch einige wenige Fluchtversuche. Unruhe in Reihen, weil sie aufstehen und durchlassen müssen. Einer landet mit Kreislaufproblemen sogar kurz auf dem Boden.
Ein Skandal – trotz des verhandelten Skandals – ist das Stück aber keinesfalls. Im Gegenteil, einen packenden, wenn auch fordernden Opernabend bietet München hier an. Die Teufel von Loudun sind ein diskursives Lehrstück über religiösen Fanatismus und auch über das Warum: Warum vernünftige Argumente abprallen…

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