Jack Twist (Mark Omvlee) beobachtet Ennis del Mar (Christian Tschelebiew) im „Zelt“. Foto: Wil van Iersel
Charles Wuorinen hat die Erfolgsstory Brokeback Mountain vertont. In Aachen wurde am Wochenende die deutsche Erstaufführung gefeiert!
(Von Sabine Weber)
(7. Dezember 2014, Theater Aachen,) „Ich bin so normal wie andere auch“ schleudert Jack seinem Gegenüber Ennis ins Gesicht. Über 20 Jahre, von 1963 bis 83 zieht sich das Drama der beiden Cowboys hin. Der Brokeback Montain – nomen est omen – bricht ihnen das Genick. Kennen und lieben gelernt haben sie sich auf diesem Berg. Zurückgekehrt in die kleinstädtische Zivilisation von Wyoming im mittleren Westen scheitert diese versteckt gehaltene Liebe an gesellschaftlichen Normen. An fehlenden Freiräumen, zuletzt an ihnen selbst, weil der Mut fehlt, über den Schatten zu springen und das Wagnis einer gemeinsamen Zukunft einzugehen. Der Berg ist bis zuletzt omnipräsent. Als Wunsch, als Erinnerung, als Bedrohung prunkt er auf einem Gerüst der von Wellblech- und Lattenelementen eingezäunten Einheitsbühne in Aachen (Bühne: Christin Vahl). Das weiße Bergmodell wird mit fortlaufender Handlung eingefriedet. Ein spießiges Häuschen lehnt seine Giebel an und baut seine Fassade um ihn. Ein treffendes Bild für die Möchtegern-Normalität, die aber Schein bleibt. Die Ehen der ehemaligen Cowboys scheitern. Als Ennis zum Schluss von Jacks Tod erfährt, gesteht er sich in einem großen Monolog das Ausmaß seiner verzweifelten Liebe ein. Im Dachgeschoss auf dem Modellberg liegend. Menschen, die ihre Liebe nicht leben können, zu Außenseitern abgestempelt werden und an unerfüllter Liebe zerbrechen, das ist wirklich richtig guter Opernstoff! Annie Proulx, Autorin der Kurzgeschichte, die auch die Vorlage für den 2006 mit drei Oscars ausgezeichneten Film von Ang Lee geliefert hat, war sofort bereit, das Opernlibretto zu verfassen. Die Uraufführung hat im Januar dieses Jahres in Madrid stattgefunden. Der renommierte USamerikanische Komponist Charles Wuorinen hat die zwei Akte mit gewaltigen und scharf konturierten Klängen ausgestattet, die unentwegt im wahrsten Sinne die Last des Berges spürbar machen. Der Mythos vom Cowboy im Wilden Westen, der doch für die Freiheit steht, verendet buchstäblich in der Enge. Die Musik ist ein einziger Schrei und ein um sich schlagen mit bedrohlichen Klangmassen, die von harten Staccati abgewechselt werden. Nur selten und kurz gibt es lyrische Lichtblicke. Gott sei Dank keine Sentimentalitäten, Aufweichungen und Endlösungsverklärungen. Und keine Filmmusik! Wuorinen gibt bis zuletzt nicht nach. Die wie im Film erzählte Operngeschichte packt auch ohne einen depressiven Heath Leader im Bild. Der in Stuttgart ausgebildete Bassist Christian Tschelebiew als trotziger Ennis de Mar und der holländische Tenor Mark Omvlee als Jack Twist bewältigen ihre großen Partien überzeugend und spielen in der Regie von Ludger Engels um ihr Leben. Im ersten Akt ist ihre Gestik manchmal etwas maniriert. Das ist vielleicht der für einsilbige Cowboys erstaunlichen Wortflut geschuldet. Wenn es Längen im Stück gibt, dann, weil erstaunlich viel Text sängerisch verarbeitet werden muss. Es kommt einem trotz der vielen instrumentalen Zwischenspiele jedenfalls so vor. Im Film bleiben die Helden ja eher wortkarg. Die Andeutungen aus den gezeigten Blickwinkeln der beiden Protagonisten aufeinander sprechen dafür Bände. Und auch die Kurzgeschichte arbeitet mit Aussparungen, die Assoziationen Freiraum gibt. An diesem Abend ist es die Musik, die in der Verweigerung auf gefühliger Register dem harten Drama von vorne herein seinen Ton verleiht. Ein bisschen überflüssig vielleicht die neu erfundene Brautkleidkaufszene von Alma mit Mutter und Verkäuferin. Aber auch sie finden als Gescheiterte ihrer Lebensträume hier Beachtung. Zu erwähnen sind die hervorragend aus dem Aachener Ensemble besetzten Rollen, Alma und Lureen, die Cowboy-Frauen, mit Antonia Bourvé und Polina Artsis, die Mutter von Jack, mit Ceri Williams. Das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Kazem Abdullah, der wohl durch seine USA-Kontakte die Erstaufführung nach Aachen geholt hat, lässt nichts zu wünschen übrig. Auch der Opernchor hat noch einen kurzen Auftritt zum Schluss. Er gibt der sich dieser männlichen Liebe verweigernden Gesellschaft Gesichter und Stimmen. Der american dream of freedom ist hier chancenlos. Das ist sicherlich noch heute in ländlichen Regionen des weiten Landes Realität. Das macht nachdenklich. Ein zu recht bejubelter Abend!
Weitere Vorstellungen: 12./21./27.Dezember 2014; 04./11./14./22.Januar 2015