Schicksal trifft auf Staatsmacht. Gian Carlo Menottis Der Konsul bringt am Großen Haus in Mönchengladbach das menschliche Leid von Asylbewerbern nahe

Die Macht der Staatlichen Bürokratie. Jana Bartolova und Izabela Matula als Sekretärin und Magda Sorel in Gian Carlo Menottis Der Konsul. Foto: Stutte, Krefeld
Die Macht der Staatlichen Bürokratie. Jana Bartolova und Izabela Matula als Sekretärin und Magda Sorel in Gian Carlo Menottis Der Konsul. Foto: Stutte, Krefeld

Die Realität hat die Neuproduktion in Mönchengladbach unverhofft eingeholt. Das Dekret der US-Regierung, muslimischen Staatsbürgern vorläufig die Einreise zu verweigern, bezieht sich auf ein restriktives Einwanderungsgesetz der McCarthy-Ära. Genau in diesem zeitlichen Umfeld entsteht Gian Carlo Menottis Der Konsul. Staatsbürger aus sieben Ländern könnte in den US amerikanischen Konsulaten also blühen, was Magda Sorel derzeit auf der Bühne in Mönchengladbach erlebt. Das sollten wir alle miterleben, um zu verstehen, um was es geht!
(Von Sabine Weber)

(4. Februar 2017, Großes Haus in Mönchengladbach) „Es steht dem amerikanischen Präsidenten zu, jeder ‚Gruppe‘, deren Einreise er als ’schädlich für die Interessen der Vereinigten Staaten‘ ansieht, diese zu verweigern. Sagt das Einwanderungsgesetz von 1950. Heute morgen sind die Titelseiten voll davon, dass sich ein Bundes-Richter der aktualisierten Neuauflage dieser Restriktion durch Donald Trump widersetzt. Aber das US-Justizministerium hat bereits Berufung gegen diesen Richter eingelegt. Der Kampf geht weiter!
Was sich wie ein Kampf der Giganten in den Zeitungen mitteilt, ist im Alltag vieler Menschen grausame Härte. Darum geht es Gian Carlo Menotti in diesem Musikalischen Drama von 1952. Und miterlebt hat er es in der McCarthy Ära bei Freunden oder am Flughafen. Wie man Menschen durch die Verweigerung eines Visum, einer Ausreise-, Einreisegenehmigung, Meldebescheinigung und ohne Geburtsurkunde oder gültigen Pass zu rechtlosen Menschen macht! Sie stehen auf der Bühne vor dem übergroßen Schreibtisch der Konsulats-Sekretärin. Ausgeliefert einer Schickse mit grell blond gefärbten Haaren, grellrotem Lippenstift und im grauen Kostüm übt sie ihre Amtsmacht aus. Die Bittsteller stehen eingeschüchtert vor ihr in einer Schlange. Wenn sie drankommen, fehlt immer ein Papier. Oder sie müssen noch ein weiteres Papier ausfüllen – und wiederkommen. ‚Es kann zwei drei Monate dauern‘, bis alle Papiere da sind, bekommt eine Italienerin zu hören, die zu ihrer todkranken Tochter will. ‚Da kann ich nichts tun‘, ist der Sekretärin liebste Antwort. Schlimm ergeht es der vom Geheimdienst verfolgten Familie Sorel. Der Vater taucht unter, die Frau bleibt bei dem kranken Sohn. Vergeblich läuft sie gegen die Mauern des Riesenschreibtischs an. Bis sie aus Verzweiflung Selbstmord begeht.

Die Geheimpolizei bei den Sorels. Der Mann versteckt sich in einem Loch unter dem Teppich. Izabela Matula, Satik Tumyan und Rolf Giesen als Magda, Oma und Agent. Foto: Stutte, Krefeld
Die Geheimpolizei bei den Sorels. Der Mann versteckt sich in einem Loch unter dem Teppich. Izabela Matula, Satik Tumyan und Rolf Giesen als Magda, Mutter und Agent. Foto: Stutte, Krefeld

Regisseurin Katja Bening kommt mit zwei Bühnenbilder aus, entworfen von Bühnenbildner Udo Hesse. Das ist einmal die farblose und kärgliche Dachwohnung der Sorels, die immer wieder von Geheimagenten durchsucht wird. In Melone und Kamelhaarmantel erinnern die Agenten an Sherlock-Holmes-Filme. Zuhause läuft man im Bademantel und auf Socken herum! Dann die knallrote Amtstube der Konsulatssekretärin mit Riesenschreibtisch und Riesenschubladen im Hintergrund, aus denen sogar Gestalten aussteigen können. Beide Bühnenbilder rücken im Verlauf der zwei Akte ineinander. Die Szenerie wird ein einziger Alptraum. Die Kostüme – ebenfalls von Udo Hesse, sind unauffällig. Ein Antragsteller scheint Jude zu sein, er trägt ein rundes Käppi. Die Italienerin einen Berry, Magda Sorel tritt im Trenchcoat und weiß-schwarzen Oma-Schuhen ihren Behördengang an. Gesprochen, rezitiert oder gesungen werden die Fälle vorgetragen. „Wo soll ich denn hin?“ Die Antwort der Sekretärin berührt aktuell ganz unangenehm: „gehen Sie doch dahin zurück, wo Sie herkommen!“ Klingt wie ein hämisches Echo aus dem politischen Umgang mit Flüchtlingen im hier und jetzt. Wen interessieren die Umstände, die zu diesen Schicksalen geführt haben? Sie sind übrigens auch kein Thema in diesem Drama. Der Amtsgang ist hier die Handlung. Selbst wenn einer dem anderen in der Schlange mal beisteht oder hilft, bleibt doch alles schemenhaft. Und fast pädagogisch! „Eine Anklage gegen Tyrannei in jeder Form!“, so Menotti.

Budenzauber im Konsulat. Jana Bartolova, Rolf Giesen, Gabriela Kuhn, Debra Hays, Hayk Dèinyan und Izabela Matula. Foto: Stutte, Krefeld
Budenzauber im Konsulat. Jana Bartolova, Rolf Giesen, Gabriela Kuhn, Debra Hays, Hayk Dèinyan und Izabela Matula. Foto: Stutte, Krefeld

Dramaturgisch merkwürdig ist ein Zauberer, der die Warteschlange mit Tricks unterhält und sich musikalisch zu einer Kabarett-Nummer auswächst. Hat Menotti etwa für den Erfolg seiner Anklage in den Staaten vorsorglich Entertainment eingebaut? Die Musik Menottis geriert sich überhaupt in Stilkopien und Illustrationen. Sie übernimmt nie die Regie, sondern geht mit kurzen Floskeln oder Kommentaren dazwischen, wirft einen Blick aufs Spannungsbaromenter und bleibt insgesamt Filmmusikalisch begleitend. Während der Umbauten werden Bilder einem Bühnenentwurf von 1952 projiziert. Bereits im Uraufführungsjahr ist Menottis Der Konsul nämlich in Mönchengladbach bereits das erste Mal inszeniert worden! Das soll Erwähnung finden! Klänge dazu liefern perfekt abgepasst und eingeworfen die Niederrheinischen Sinfonikern unter ihrem ersten Kapellmeister Diego Martìn-Etxebarría. Es klingt nach Bernhard Herrmanns Hitchcock-Filmmusik, oder wiegende Siciliano-Rhythmen im relativ kleinbesetzten Orchester, dann, wenn es mal um „beruhige dich!“ geht. Ein Lamento für Trauer, einen pompösen Trauermarsch. Hier und dort auch leicht jazzige Allüren. Oder das Klavier fällt mit jagenden Rhythmen ein, weil die Geheimpolizei wieder vor der Tür steht. Alle Beteiligten bringen sich mit Engagement ein. Allen voran das Ensemble mit der aus Krakau stammende Izabella Matula, mit großer Stimme stattet sie die Magda Sorel aus. Satik Tumyan hat als vermittelnde Oma im ersten Teil viel zu singen. Ihr unfreiwilliger Akzent könnte immerhin daran erinnern, dass es sich um Asylanten handelt. Der hilfsbereite Jude Kofner, Hayk Deinyan, oder Rolf Giesen, der den Geheimpolizisten und dem Zauberer seine Stimme leiht. Das englische Libretto von Menotti selbst vefasst ist ins Deutsche übersetzt worden. Schade vielleicht nur, dass das Sprechen vor allem am Anfang, an die künstliche „Opern-Spreche“ erinnert. Die Apotheose am Schluss, wenn Magda Sorel sich am Gasofen vergiftet hat und alle Gestalten tot oder lebendig sich um sie wie im Jenseits scharen, hat etwas sehr melodramatisch Überzogenes. Da reagiert die Regie vielleicht allzu sehr auf Menottis Musik, die wie in einer Nino Rota Filmmusik zu einem Visconti-Historiendrama aufdreht. Licht wirbelt durch das Dachkammer-Sekretariat. Verklärung durch Tod? Insgesamt ist das aber eine wunderbare und couragierte Produktion, mit Umsicht und Weitsicht. Die sollten sich keiner entgehen lassen. Und vor allem nicht die Mönchengladbacher selbst, die wohl aus Angst vor Neuer Musik bei der Premiere zurück geschreckt sind. Das sollten sie an den folgenden Aufführungstagen wettmachen! Das ist keine Neue Musik! Das ist eine gut durchhörbare und spannende Inszenierung…

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