HAT DIE RUHRTRIENNALE 2020 NOCH EINE CHANCE?

(Foto: Gebläsehalle Duisburg von Joerg Brueggemann) Bereits am 22. April wurde die Ruhrtriennale als eines der ersten internationalen Festivals abgesagt. Das Aushängeschild der Festivals in NRW hat der Lockdown der Corona-Pandemie früh getroffen. Gegen den Wunsch der Intendantin Stefanie Carp, die vom Kultusministerium nur wenige Stunden vor der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde. Dabei böten die kolossalen Hallen, Kokereien und Maschinenhäuser der einstigen Schwer- und Stahlindustrie-Ruinen doch enorm viel Platz, um Abstandsregelungen für die Künstler und das Publikum einzuhalten. Das Angebot umfasst ja auch nicht nur Musiktheater-, Schauspiel- und Tanzprojekte, sondern auch Installationen mit Video und Lichtprojektionen. (Siehe Pressemeldung Zur Absage der Ruhrtriennale 2020) Museen werden derzeit im Rahmen der Corona-Lockerungen wieder geöffnet. Die Theater öffnen Ende Mai, freilich unter komplizierten Hygienebedingungen. Aber auch diesen Anforderungen könnte man sich in den Ruhrtriennalen-Hallen mit entsprechend geschultem Personal stellen. Der Kulturrat NRW hat die NRW-Landesregierung jedenfalls aufgefordert, wenn Kulturbereiche noch in diesem Monat wieder geöffnet werden, auch die Ruhrtriennale wieder stattfinden zu lassen. In einer angepassten und kondensierten Version. Worum könnte es gehen? Die Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp stellt sich den Fragen von klassikfavori!

Frau Carp, Ruhrtriennale „nein“! Jetzt möglicherweise wieder „ja“! Das muss für die Intendantin gefühlt eine unglaubliche Achterbahn sein.

Zuallererst muss ich da sagen, dass ich einen Beschluss des Ministeriums und des Aufsichtsrats vorliegen habe, der ganz klar „nein!“ sagt. Ich möchte mir daher nicht zu viele Hoffnungen machen. Aber ich würde natürlich sehr gern darum bitten, dass wir einen Teil des ursprünglich geplanten Programmes im September in einer verkürzten und verkleinerten Variante stattfinden lassen dürften.

Sind Sie da auch in Kontakt mit anderen Sommer-Festivalintendanten, die ähnliches erleiden?

Ich habe mit vielen Intendantinnen und Intendanten deutscher Sommerfestivals geskypt. Alle Festivals sind sehr unterschiedlich. „Tanz im August“ in Berlin oder das Theaterspektakel in Zürich sind Festivals mit häufig kleineren Formaten, anderen Räumen, und finden außerdem früher statt. Vergleichbar wäre jetzt das Beethovenfest, das ja um ein Jahr verschoben wurden. Da gibt es auch Unterschiede. Das Beethovenfest ist viel stärker als die Ruhrtriennale auf große Orchester angewiesen. Und es findet in kleineren Räumen statt als die, die wir zur Verfügung haben. Und das Bonner Festival kann verschieben. Ich kann nicht verschieben. Es ist meine letzte Spielzeit, mein letztes Jahr als Intendantin. All die Künstler, die jetzt schon gearbeitet haben, die Kunstwerke, die entstehen würden, all das kann nicht stattfinden. Das ist eine andere Situation. Da hat man auch eine Verantwortung, alles zu versuchen, die Ruhrtriennale doch stattfinden zu lassen. Die Ruhrtriennale mit ihren riesigen Räumen kann problemloser auf all die Abstands- und Hygieneregeln eingehen. Da ist es doch beschämend, dass Theater mit viel engeren Räumen sich krumm legen, um diese Regeln umzusetzen und die Institution, die die allergrößten Räume bespielt, die Räume leer stehen lässt. Da sich die Politik aufgrund der erfreulichen niedrigeren Ansteckungszahlen geändert hat, – am 6. Mai kam es in den Nachrichten, dass die Theater wieder öffnen und spätestens am 1. September auch wieder die Opernhäuser -, ändert das aus meiner Sicht auch die Strenge des Beschlusses.

Und die meisten Produktionen werden ja erst vor und für die Ruhrtriennale entwickelt. Da gäbe es Anpassungsspielraum. Mit der Ruhrtriennale stehen immerhin auch 33 Produktionen und Projekte auf dem Spiel, davon 12 Ur- und Erstaufführungen an 17 verschiedenen Spielstätten.

Das ursprünglich geplante Programm kann natürlich so nicht mehr stattfinden. Das betrifft vor allem internationale Produktionen. Wir müssen davon ausgehen, dass Einreisebeschränkungen aus anderen Kontinenten bis Ende August, Anfang September nicht aufgehoben sein werden. Das wäre zu kurzfristig und zu spekulativ zu planen. Spekulationen sind nicht planbar.

„Das wäre ein Wunsch von uns, dass wir, angepasst an die Pandemie-Bedingungen, für Publikum und Künstler, proben, kreieren und aufführen dürften“

 

Wenn wir davon ausgingen, dass der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr unter dem Vorsitz der NRW Ministerin Pfeiffer-Poensgen grünes Licht gäbe, was wäre denn noch zu machen?

Was zu machen wäre und wir flehen darum, und auch die Künstler*innen flehen darum, ist die Produktion von Christoph Marthaler.

Carp und Artiste Associé Marthaler. Foto: Daniel Sadrowski

An dieser Produktion sind fast ausschließlich in Deutschland lebende Akteure, Akteurinnen, Musiker und Musikerinnen beteiligt. Natürlich würde es nicht mehr mit dem gesamten Orchester der Bochumer Symphonikern plus zusätzlichen Musikern und Darstellern, mit mehr als 100 Menschen stattfinden können. Aber da hat Christoph Marthaler sehr früh – auch in Telefonaten mit Frau Pfeiffer-Poensgen – deutlich gemacht, dass er das reduzieren würde, mit weniger Musikern, dass er sich intensiv mit Peter Rundel, dem musikalischen Leiter, per Zoom-Konferenzen darüber austauscht, welche musikalischen Veränderungen und welches Konzept möglich sind. Die Produktion heißt „Die Verschollenen“ und ist eine Eigenproduktion für die Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle. Das wäre ein Wunsch von uns, dass wir die, angepasst an die Pandemie-Bedingungen, für Publikum und Künstler, durchführen, proben, kreieren und aufführen dürften. Was die Zuschauersituation betrifft, würden wir keine Tribünen mehr aufbauen, sondern einzelne Sitze im Raum verteilen. Alle 200 Zuschauer, die in einem so großen Raum zusammen sein dürften, hätten immer noch gute Sichtlinien. Christoph wäre auch sicher bereit, eine Kreation zu machen, die nur ein oder anderthalb Stunden lang wäre, sodass zwei Aufführungen pro Tag gespielt werden könnten. Wir also zwei Mal 200 Leute als Publikum teilnehmen lassen könnten. Man müsste in einer solchen verkleinerten Variante des Festivals wahrscheinlich alle Produktionen länger, also mehr Vorstellungen spielen.

Die Jahrhunderthalle Bochum. Foto: Joerg Brueggemann

Die andere Produktion ist die mit der Choreographin Meg Stuart, ihrer Truppe Damaged Goods, dem Künstler Philippe Quesne und der Musik von Brendan Dougherty, die wir bei PACT Zollverein probieren und zeigen. Da haben wir auch eine große Koproduktionssumme zugesagt, haben die Premiere und sind die Hauptproduzenten. Philippe Quesne ist ein französischer Regisseur, der vom Bühnenbild her kommt. Mich hat von vorneherein fasziniert, dass Meg und er sich zusammentun und etwas für die Ruhrtriennale kreieren wollen. Das Projekt heißt „Cascade“. Meg probt zur Zeit mit Zoom und Video und demnächst wohl auch wieder persönlich in Berlin. Sie hätte sehr lange Endprobenzeit im Rahmen der Ruhrtriennale und könnte, wenn wir jetzt im September das Minimalfestival durchführen dürften, bei PACT Zollverein Premiere haben.

Essen. PACT Zollverein. Foto: Sabine Weber

Eine andere Arbeit ist „2020“ von Candice Breitz. Das ist eine Auftragsarbeit von uns zusammen mit dem Museum Folkwang. Die neue Videoinstallation würde im Museum Folkwang im Rahmen der Ruhrtriennale eröffnet werden. Auch dort ist die Ruhrtriennale die Hauptproduzentin. Die Künstlerin arbeitet seit einiger Zeit an dieser Installation. Wenn wir da aussteigen, wird die Produktion schlicht nicht stattfinden.
Da gibt es noch die Musiktheaterkreation der Komponistin Brigitta Muntendorf zusammen mit der Choreographin Stephanie Thiersch.

Archipel von Muntendorf und Thiersch

Da gibt es inzwischen allerdings einen Zweifel bei den Künstlerinnen, weil ihnen jetzt die Probenzeit, die sie im Tanzhaus gehabt hätten, weggefallen ist, ob sie das noch schaffen würden bis Anfang September. Im Wesentlichen ginge es also um Christoph Marthaler, Candice Breitz, Meg Stuart, eine Theaterproduktion von Kornél Mundruczó, die fertig ist, eine Premiere des Choreographen Serge Aimé Coulibaly, wenn er einreisen kann, und zwei Konzerte. Wenn uns das ermöglicht würde und wir auch noch zwei Uraufführungsfilme von Mariano Pensotti zeigen dürften, wären wir sehr glücklich. Mariano Pensotti ist ein argentinischer Regisseur, der im ersten Jahr „Diamante“ in Duisburg gezeigt hat, und den ich dieses Jahr wieder mit einer Premiere eingeladen hatte. Er kann sicherlich nicht persönlich aus Argentinien anreisen. Aber diese beiden Filme „El Público“ und „The Audience“, der eine spielt in Buenos Aires, der andere in Athen, die hätten wir gern mit seiner Erlaubnis gezeigt. Es ist natürlich nicht das Programm, was wir uns ursprünglich ausgedacht haben. Aber es kann ja gerade niemand machen, was er sich ursprünglich ausgedacht hat.

„Alles wegzuwerfen wäre ein falsches Zeichen für die Künstler*innen und die Ruhrtriennale…“

 

Es trifft derzeit viele Künstler. Und auch eine Ruhrtriennalen-Intendantin, die ja drei Ausgaben konzipiert, die zusammen geplant und in der letzten kulminieren, zusammengefasst werden und ihren Höhepunkt finden. Was verlören Sie, wenn diese dritte Spielzeit platzt?

Ein Programm, an dem nicht nur ich, sondern auch viele Mitarbeiter*innen, Dramaturg*innen, Kurator*innen, zwei, in manchen Fällen sogar drei Jahre gearbeitet haben, das ist ein extremer Verlust. Man hat etwas kreiert mit vielen Emotionen, schlaflosen Nächten, Diskussionen, Streit, weil man immer mehr machen will als man kann usw. Und dann wird es komplett weg geworfen. Das ist sehr traurig für alle, für uns, für die Künstler*innen und ich finde auch ein falsches Zeichen für das Festival.

…kostet wahrscheinlich viel Herzblut…

Ja…. In manchen Fällen weiß ich, dass Produktionen gerettet werden, weil sie genügend andere Koproduzenten haben. Bei anderen Fällen weiß ich, wenn die Ruhrtriennale nicht mehr dabei ist, dann fehlt das Geld, die Infrastruktur, um die Produktion weiter zu erarbeiten. Die Produktion von Christoph Marthaler wird ohne Ruhrtriennale eben nicht stattfinden. Sie lässt sich auch nicht einfach in einen anderen Raum und eine andere Zeit schieben.

Das wäre auch bei der Video-Produktion von Candice Breitz der Fall, die nicht weiter drehen könnte…

Zum Beispiel. Wenn wir jetzt nicht die zweite Rate bezahlen, kann sie nicht weiter arbeiten. Es ist ein ganz großer Verlust, nicht nur für Candice und für mich, auch für das Publikum, dass das gern gesehen hätte. Und für das Museum Folkwang mit dem wir eine Verabredung haben. Ich finde, in den Fällen, Christoph Marthaler, Meg Stuart und Candice Breitz macht es ja auch keinen Sinn, die Arbeiten nicht zu realisieren. Es gibt keinen vernünftigen Grund mehr, diese Arbeiten nicht im Rahmen einer kleinen Ruhrtriennale zu produzieren und zu zeigen.

Einen Funken Hoffnung gibt es wohl noch! Wir hoffen alle mit. Der Festivalredner Achille Mbembe, Philosoph, Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Postkolonialismusforschung …

… darf ich da einmal unterbrechen. Ich wollte Achille Mbembe auch mal als postkolonialen Wissenschaftler ankündigen. Das stimmt nicht. Das korrigierte er. Er betrachtet sich nicht als Wissenschaftler der „postcolonial studies“.

Aha! Also er beschäftigt sich philosophisch-literarisch-gesellschaftskritisch mit dem Thema…

Es gibt ein sehr wichtiges Buch „Die Postkolonie“, ist schon eine Weile her, dass es erschienen ist. Achille Mbembe beschäftigt sich mit der Geschichte des afrikanischen Kontinents, mit der Kolonialisierung und im Besonderen mit der Dekolonialisierung. In seinem letzten Buch beschäftigt er sich allgemein mit Segregation und auch mit dem kolonialen Aspekt, aber weiter, globaler gefasst, mit Segregation und Trennungsregimen im modernen Kapitalismus. Zur Zeit arbeitet er an einer Theorie des planetarischen Zusammenlebens. Einer Theorie, die nahelegen möchte, nicht mehr darüber nachzudenken, was uns trennt, sondern darüber, was uns zusammen bringt. Sonst werden wir in dieser Welt, die uns allen gehört, nicht überleben.

In diese Richtung sollte ja wohl auch sein Vortrag für die Ruhrtriennale zielen. Unter dem Titel „Reflections on Planetary Living“ ist er im Programmheft angekündigt. Ich will jetzt hier nicht die Debatte ausbreiten, die ihn vorschnell unter Antisemitismus-Verdacht gestellt hat. Inzwischen haben die Gegenkritiker mit Argumenten in den Medien ja umfänglich Stellung bezogen. (Siehe auch) Aber könnten Sie sich vorstellen, dass Achille Mbembe diesen Vortrag doch noch hält?

Er wird genauso wenig wie William Kentridge aus Südafrika in die EU einreisen können. Alle die, die aus Kontinenten kommen, die den Pandemie-Peak noch vor sich haben, halten es für illusorisch, dass sie im Spätsommer in die EU-Länder einreisen können.

„Wenn im September die Theater wieder aufmachen und diese Produktionen dann an kleineren Häusern gespielt würden, nur die Ruhrtriennale darf nicht spielen, wäre das ein bisschen schräg“

 

Könnte es sein, dass die vorschnell ausgelöste Debatte Ihrer Meinung nach ein Grund gewesen ist, warum der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr so schnell abgewickelt hat?

Ich spekuliere sehr ungern. Ich möchte auch den Mitgliedern des Aufsichtsrats und den Gesellschaftern einen so großen Zynismus nicht unterstellen wollen. Es wäre zerstörerisch, ein Festival abzusagen, statt es zu machen, wenn es nicht einen ernsthaften Grund gibt.

Sie persönlich damit abstrafen zu wollen, eine hypothetische Schlussfolgerung, die unausgesprochen dennoch herumschwirrt, wäre letztendlich äußerst blamabel für ein solches Festival…

Das würde ich auch denken.

Sie haben in Ihrer Pressemeldung, in der sie als Intendantin auf die Absage im April sofort reagiert haben, von Überlegungen gesprochen, Projekte nachträglich und außerhalb der Ruhrtriennale zu realisieren? Welche wären das?

Das geht nur mit Partnern und mit unseren Koproduktionen. Dazu muss die Landesregierung erst einmal noch zustimmen, dass andere Partner das zeigen können. Die Partner hätten die Kosten vor Ort bei der Aufführung. Serge Aimé Coulibalys „Wakatt“ wäre so ein Fall, Meg Stuarts wäre so ein Fall. Aber wenn im September bei uns die Theater wieder aufmachen und diese Produktionen dann an kleineren Häusern gespielt würden, nur die Ruhrtriennale darf nicht spielen, wäre das schon ein bisschen schräg…

Passt alles nicht so ganz, vor allem, wenn Festivals wie die Salzburger Festspiele, das einen Monat früher als die Ruhrtriennale startet, zeitliche Stufenpläne entwickelt, um vorschnelle Total-Absagen zu verhindern. Da wird Ende Mai entschieden. Über den April-Schnellschuss bei der Ruhrtriennale darf man sich in Nordrhein-Westfalen wirklich immer wieder wundern …

Ich wundere mich auch. Ich habe damals in der Debatte über die Beschlussvorlage im Aufsichtsrat nur darum gerungen, und gefleht, uns Zeit zu geben bis zum 15. Mai. Bis dahin hätten wir einen kondensierten Spielplan, den ich vorgetragen hatte, gerechnet und genau erläutern können, was es kostet und wie wir in praktischer Hinsicht die Produktionen an die gegebenen Bedingungen anpassen.
(Das Gespräch mit Stefanie Carp führte Sabine Weber )

(Siehe auch das Audio-Interview zum Beginn der Ruhrtriennale 2019)

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