Wie heutig ist Vincenzo Bellinis Norma? Fragt Regisseurin Gabriele Rech. Am 18. Januar ist Premiere in Wiesbaden

Ist Norma als gallische Druidin unter einer keltischen Eiche heute noch vermittelbar? Gabriele Rech sagt nein, denn schon der Komponist Vincenzo Bellini habe die antike Kult-Szenerie nur als Alibi-Kulisse verstanden. Aber auch das Thema von Besatzungsmacht und Widerstand sei abgearbeitet. Die Duisburger Regisseurin entwickelt das Drama aus der Perspektive einer die Fassade wahrenden modernen Politikerin, die auf privater Ebene scheitert und damit Politik betreibt!
In einem Interview nach der Hauptprobe hat Gabriele Rech Einblicke in ihre neueste Regiearbeit gegeben.

Der Wald als Drohkulisse in Normas Welt. Erika Sunnegårdh als Norma. Foto: Paul Leclaire
Der Wald als Drohkulisse in Normas Welt. Erika Sunnegårdh als Norma. Foto: Paul Leclaire

klassikfavori: Ihre letzten Regiearbeiten, die ich gesehen habe, waren witzig, bewegt. La gran magia von Manfred Trojahn als konfliktgeladenes Beziehungsdrama in einer Familie; Gianni Schicchi eine makabre Komödie um einen Erbschaftsschwindel. Beides Familientragödien. Jetzt Belcanto und ein Schwergewicht im Opernrepertoire: Norma. Kehren Sie da zu Ihren Erfolgswurzeln zurück? Denn ihr Regiedebüt am Theater im Revier mit Madama Butterfly hat ihnen den Gelsenkirchener Theaterpreis eingebracht?

Gabriele Rech: Ja im gewissen Sinne schon. Ich habe sehr früh die ganze tragischen Frauenheldinnen darstellen dürfen. Und das war es, worauf man mich fast ein bisschen festgelegt hatte. Dann gab es eine andere Phase, wo ich an mir das komische Talent entdeckt habe. Aber ich freue mich, wieder in so eine Richtung gehen zu können, die mir auch sehr liegt.

kf: Norma ist eine große starke Respektsperson, aber auch eine zwischen offizieller Aufgabe und persönlichen Gefühlen zerrissene Frau. Wer ist Norma für Sie?

GR: Sie ist ein borderliner. Man hat natürlich diese Klischees im Kopf von der großen tragischen Heroine. Wenn man close reading macht, versucht, das Stück zu durchdringen, sieht man aber, wie sehr sie zerrissen ist. Wie sehr sie unter dem persönlichen Konflikt leidet, ausgerechnet mit dem Feind, mit dem Oberbefehlshaber liiert zu sein, zwei Kinder mit ihm zu haben, von denen noch nicht einmal ihr Vater etwas weiß und dem Auftrag als Politikerin vor einer Meute zu stehen, die sagt, wir wollen Krieg führen, wir wollen uns von den Besatzern befreien. Alles, was sie letztendlich tut, tut sie im Hinblick auf ihre Kinder und ihren Geliebten. Und dass das nicht ohne Verwundungen und Verletzungen von statten gehen kann, ist klar. Natürlich braucht sie eine starke Fassade: „Nein, die Götter haben mir gesagt, es gibt noch keinen Krieg.“ Aber die Wahrheit ist, dass sie aus ganz persönlichen Motiven handelt. In dem Moment, wo sie erfährt, dass sie betrogen wird und sich Pollione – ihr Geliebter – längst eine Jüngere genommen hat und nicht zu ihr zurück kehren will. In dem Moment ruft sie den Krieg aus. In dem Moment ist das Stück für mich so wahnsinnig heutig. Und das ist der Kern des Stückes. Welche privaten Motive sind bestimmend, wo wir immer denken, die hehre Politik wird rein aus Kalkül oder Rationalität geführt. Nein, es sind häufig private Motive!

kf: Ihre Norma sieht auch ziemlich heutig aus. Diese Norma, ist keine gallische Priesterin. Sie haben also versucht, einen realistischen Bezug herzustellen!

GR: Auch das. Wir wissen natürlich, dass sich das Publikum spalten wird. Es gibt natürlich Leute im Publikum, die Druiden erwarten und die Priesterin. Das ist aber, was wir nicht erzählen konnten. Sachen wie Irminsul oder die Gallier ist ja für uns sofort mit Asterix und Obelix gekoppelt. Und das ist etwas, das der tragischen Heroine nicht gerecht wird. Wenn man Alexandre Soumet liest, das Urstück, da geht es auch schon um andere Dinge. Wir haben uns die Freiheit genommen, zu sagen, es muss ein Stück sein, dass mit uns zu tun hat. Was wir nachvollziehen können. Da schon Bellini und Soumet lax mit den kultischen Dingen umgegangen sind, also Irminsul und der keltische Brauch und die Gallier als Nebensache behandelt haben, haben wir uns die Freiheit genommen, das zu ignorieren.

kf: Also statt Eisenkrautzweigen auf dem Kopf trägt Norma einen Etuirock und sieht aus wie die Hauptdarstellerin von dieser dänischen Serie Borgen.

GR: In der Tat haben wir uns genau davon inspirieren lassen. Das ist doch ein Schicksal, das uns brennend interessiert. Das ist kühn. Es gab unlängst zwei tolle Norma-Versuche in Stuttgart und Salzburg. Ich war nicht dabei. Aber Will Humburg hat ja in Stuttgart dirigiert. Sie haben das Stück in die 30er Jahre verlegt und da primär die Besatzungszeit gezeigt. Wir wollten es nicht ein drittes Mal auch noch so erzählen. Wir haben versucht, einen ganz eigenen Ansatz, nämlich ganz an Norma gebunden zu finden.

Gabriele Rech mit Erika Sunnegårdh (Norma) und Anna Lapkovskaja (Adalgisa). Foto: Sven Helge-Czichy
Gabriele Rech mit Erika Sunnegårdh (Norma) und Anna Lapkovskaja (Adalgisa). Foto: Sven Helge-Czichy

Wenn man das Stück länger reflektiert ist vor allem interessant, dass alles, was in dem Stück passiert, von Norma ausgelöst wird. Ihr Vater Oroveso sagt, „wir wollen Krieg!“ Das Volk kommt und sagt, „wir wollen Krieg!“ Nichts passiert, solange Norma nichts auslöst. Pollione kommt und sagt, „die proben den Aufstand. Ich werde sie alle vernichten!“ Auch das tut er nicht. Er behauptet das nur im ersten Duett mit Flavio. Alles bleibt folgenlos. Adalgisa ist guten Willens, Pollione zur Rückkehr zu seiner Familie zu bewegen, aber auch ihre Bemühungen bleiben folgenlos. Nichts bewegt sich in dem Stück außer Norma löst es aus. Das hat uns noch einmal bestärkt, es extrem an ihre Perspektive zu binden. Wir zeigen nicht eine realistische Situation, in der sie als Druidin eine Ansprache hält. Wir zeigen schon ganz zu Anfang, wie in gewisser Weise ihr Angstbild aussieht. Pollione wird gehängt und ihre Kinder werden mit Maschinenpistolen bedroht. Wenn sie Casta Diva singt, singt sie gegen die Angst und gegen dieses Bild.

kf: Hatten Sie auch Einfluss auf das Bühnenbild und die Kostüme, die getragen werden?

GR: Wir haben uns im Vorfeld sehr oft und sehr lange getroffen, weil wir weit über das Eigentliche hinausgehen wollten. Wir mussten da sehr ‘wasserdicht’ sein. Deshalb haben wir uns sehr lange darüber unterhalten. Das hier ist auch der zweite Bühnenbildentwurf. Und wir haben das im Austausch miteinander entwickelt, was ich sowieso sehr wichtig finde.

kf: Eine wichtige und bedrohliche Rolle spielt der Wald, der sozusagen in das Trauma von Norma hineinspiegelt, die man ja quasi die ganze Zeit in ihrem Raum sieht, den sie ja gar nicht verlässt!

GF: Absolut! Wald ist ja immer sehr symbolhaft. Ist immer auch ein Spiegel der Seele. Da Norma dem Wahnsinn immer weiter verfällt, so dass sie auch versucht, ihre Kinder zu töten, beziehungsweise das vorhat und faktisch überlegt, weil sie sieht, dass sie Pollione nicht zurück gewinnen wird, fällt im ersten Finale der Chor aus dem Waldbild ins Zimmer. Das ist ein Vorläufer des Waldes, den wir im zweiten Akt dann in ihrem Zimmer haben als Spiegelbild ihrer Seelenverfassung. Es ist ja so, dass bei Soumet Norma die Kinder tötet. Das eine tötet sie, das andere will sie töten. Da hat Bellini anders entschieden als Soumet. Aber der Wunsch ist bei Bellini immer noch da. Man sieht, dass sie da schon außer sich ist. Der bedrohliche Waldes, der sich auf der Bühne immer mehr verdichtet, ist ein Korrelat zu ihrer Seelenverfassung. Und wir haben auch zwei Szenen ineinander geschnitten. In der Szene, wo sie sich vorne noch einmal aufrüstet, um Pollione zu treffen, probt der Chor im Hintergrund den Aufstand.

kf: Der Wald durch- und überwächst also Norma und ihr Schicksal. Wie ist die Arbeit mit den Sängern hier in Wiesbaden. Die Norma ist ja eine anstrengende Partie. Muss die Regie darauf Rücksicht nehmen?

GR: Partiell tue ich das. Ich habe da auch sehr viel gelernt durch die mittlerweile fast 70 Inszenierungen. Die Zwängen sehe ich heute deutlicher. Und natürlich auch noch einmal verstärkt dadurch, dass ich jetzt eine Professur habe für szenischen Unterricht. Ich bin sehr viel nachgiebiger geworden. Früher habe ich gedacht, es bricht die vierte Wand raus, wenn der Sänger nach vorne raussingen muss. Auch wenn man sich das so wünscht, dass die Sänger immer Partner-orientiert sind, man muss auch mal nach vorne gucken und singen. Ich bin nicht mehr jemand, der immer sagt, „nein, das muss so und so sein, so habe ich mir das vorgestellt!“ Und natürlich nehme ich Rücksicht, wenn jemand sagt, ich muss aber hier dieses machen und kann das so nicht singen, so schwer wie das ist. Dann trete ich zurück. Prima la musica! Ich muss sagen, das war hier eine sehr beglückende tolle Arbeit mit den Sängern. Aber das ist auch reziprok. Wir haben die Rollen gemeinsam entwickelt. Und das ist für mich immer das Ideal.

kf: Da nimmt die Regisseurin Rücksicht. 2013 haben sie Gianni Schicchi in Köln inszeniert. Dirigent Will Humburg stand damals im Orchestergraben. Und auch in dieser Produktion ist er ihr Dirigent. Wie wichtig ist es, den Dirigenten und musikalischen Sachwalter in der eigenen Inszenierung zu kennen?

GR: Sehr wichtig! Wir haben eine lange Geschichte zusammen. Wir haben bereits in Münster zwei Mal zusammen gearbeitet. Will hat mich zwei Mal nach Catania nach Sizilien geholt, als er dort musikalischer Leiter und Operndirektor war. Und ich muss sagen, das ist eine wahnsinnig beglückende Arbeit mit ihm. Ich glaube, es ist auch toll, dass wir gegenseitig Vertrauen haben. Will ist grandios, weil er szenisch denkt und Musik immer als Geste begreift. Das heißt, ich weiß sehr gut, dass ich für jede Musik einen Auslöser brauche und dass kein Takt verstreicht, ohne, dass wir alle wissen, was wir da denken, warum das jetzt so ist, warum die Musik hier ein forte und da ein piano ist, dass das auch in den Körpern der Sänger gespiegelt sein soll. Das ist für mich immer eine notwendige Verdichtung. Auch wenn das anstrengend ist, ist es beglückend. Es geht etwas zusammen!

kf: Haben Sie das auch schon einmal anders erlebt, dass es schwierig war mit einem Dirigenten?

GR: Leider ja.

kf: Was war da so schwierig?

GR: Ich habe schon erlebt, dass Dirigenten gekommen sind und sich nicht für die Inszenierung interessiert haben und mehr oder weniger erst zu den Proben mit Orchester aufkreuzten und die dann nur musikalisch begleitet haben. Dann fällt man als Regisseur weit zurück. Dann ist die Musik nur so etwas Begleitendes. Und es wächst nichts zusammen, wie ich das in der Zusammenarbeit mit Will Humburg erlebe. Gottseidank ist das nur selten vorgekommen.

kf: Man muss als Team zusammenwachsen an allen Ecken und Fronten der Opernbühne. Will Humburg ist nicht ihr einziger Bekannter aus Köln. Auch Uwe-Eric Lauffenberg, Intendant seit dieser Spielzeit am Staatstheater Wiesbaden. Hat er Sie angefragt?

GR: Ja, er hat mich gefragt. Das fand ich ganz toll. Wir haben in Köln Elektra inszeniert dann Gianni Schicchi und er hat mich dann gefragt, ob ich auch hier für ihn arbeiten möchte. Das hat mich beglückt. Ich versuche, zur Zeit meine Regiearbeit etwas zu reduzieren, weil meine Professur dazu gekommen ist. Und um beidem gerecht zu werden, muss ich auswählen. Ich mache jetzt nicht mehr vier oder fünf Stücke pro Jahr oder Spielzeit. Ich kann es jetzt auf zwei begrenzen. Oder auf drei. Das ist wunderbar.

kf: Da ist Norma ein Highlight unter den Inszenierungen, die Sie sich in dieser Spielzeit leisten. Sie sind in Duisburg geboren. Haben in Gelsenkirchen als Assistentin begonnen. Was hat den Ausschlag in ihrem Leben gegeben, die Bühne als Regisseurin erobern zu wollen? Gab es ein Erweckungserlebnis oder war das ein stetiger Prozess?

GR: Das war ein stetiger Prozess. Man soll es nicht meinen, aber als ich klein war, war ich im Kinderballett, und das werde ich nie vergessen. Es war Zarewitsch, und wir durften auftreten. Damals war ich zutiefst berührt. Und weil mich meine Eltern immer nur so spät abholen konnten, saß ich auf der Seitenbühne und war hin und weg von diesem Phänomen Theater. Aus einem bürgerlichen Haushalt kommend habe ich aber nie gedacht, dass ich das zu meinem Beruf machen könnte. Habe Klavierunterricht genommen, nicht sehr erfolgreich und ich habe auch in einem Extrachor gesungen, hätte aber nie gedacht, dass sich das einmal zusammen setzen würde. Dann bin ich noch einmal einen anderen Weg gegangen, habe Germanistik und Anglistik studiert. Und sehr viel Literatur gemacht. Dann wurde ich von einem befreundeten Regisseur gefragt, ob ich nicht Lust hätte, in der Dramaturgie mit zu arbeiten. Das war im Schauspiel Neuss. Das habe ich mit Leidenschaft gemacht. Und dann wechselte das ganze Team nach Gelsenkirchen und hat mich mit genommen. Und dann wurde mir erst einmal klar, dass sich die Dinge verdichtet haben und alles folgerichtig war. Auch wenn ich das damals für Glück und Zufall hielt.

kf: Oft ergeben sich die Dinge mit Menschen im Team, mit denen man zusammen weitergeht. Gab es Vorbilder auf ihrem Weg?

GR: Ich bin geprägt durch die Arbeit mit Dietrich Hilsdorf. Ich habe ihm sechs oder sieben Mal assistiert. Ich habe Christof Loy erlebt. Mit sehr unterschiedlichen Handschriften. Damals auch Uwe-Eric Lauffenberg assistiert in Gelsenkirchen. Das waren die prägenden Einflüsse. Dann findet man hoffnungsvoller Weise seine eigene Handschrift. Aber das war, was mich geprägt hat. Gelsenkirchen, das muss ich nach wie vor sagen, war für mich ein ganz tolles Pflaster, weil es einen Intendanten gab, der einem eine Chance gegeben und gefördert hat. Es ist ja nicht einfach, seine ersten Schritte zu gehen. Und dann kommt ja nicht die ganze Welt angelaufen und sagt, wir wollen dich des weiteren haben! Da hatte ich auch hier Glück. Schon meine vierte Inszenierung war hier am Staatstheater Wiesbaden. Ich habe hier vor Urzeiten Carmen inszeniert. Nach Butterfly, was hatte ich da noch? Bajazzo und Cavalleria. Und ein Stück in Detmold und dann kam Wiesbaden. So lustig, dahin zurück zu kehren!

Kf: …nach so vielen Jahren! Inzwischen lehren Sie auch, Sie haben es mehrmals erwähnt, Sie haben eine Professur an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln, am Standort Aachen und in Köln unterrichten Sie. Was geben Sie denen, die Sie unterrichten, aus ihrem Regiefundus weiter?

GR: Das war für mich interessant, noch einmal einen neuen Input zu bekommen…

kf: Sie unterrichten ja nicht Regisseure, sondern Sänger…

GR: Ja, ich unterrichte angehende Sänger in szenischer Darstellung. Das heißt, zu hinterfragen, was mache ich wie? Wie schaffe ich es, bestimmte Stimmungen, Haltungen und Gedanken auszudrücken? Also wie ‘verkörpere’ ich eine Rolle im wahrsten Sinne des Wortes? Was mache ich mit meinen Händen, wo gehen die hin? Wie setze ich eine für den Gesang spezifische Körperhaltung ein? Wie lege ich überhaupt eine Rolle an? Was sagt die Musik, wieso singe ich jetzt piano? Welche Welten öffnen sich mir, was ist der Kontext meiner Rolle? Was stelle ich mir vor, wenn ich singe? Wie ‘sende’ ich, also erreich den Zuschauer über den Orchestergraben hinweg. Ich arbeite mit Subtexten oder Bilder. Das ist auch für mich learning by doing. Ich habe viel bei Michael Hampe gelernt, der auch an der HfMT unterrichtet. Und ich habe jetzt angeregt, dass er allen, die neu sind an der Hochschule, eine Einführung hält. Er hat gerade auch ein Buch herausgegeben. Ich finde diesen Unterricht fundamental wichtig. Die Ansprüche an die szenische Darstellung ist immens gestiegen. Man kann heute nicht einfach mehr dastehen und die Hände ringen und nicht wissen, warum man das jetzt so singt, was man da singt!

kf: Also an der Bühnenrampe stehen und Singen ist nicht mehr angesagt. Was wären Ihre persönlichen Visionen in diesem Beruf. Gibt es Träume??

GR: Ich muss ehrlich sagen, ich bin glücklich, so wie es ist. Da ist eine gute Portion Glück gewesen. Ich war immer gut beschäftigt. Es hat nie eine Zeit gegeben, wo ich gedacht habe, „o Gott, wie soll es jetzt weitergehen?“ Ich laufe dem fast hinterher. Mir fällt es jetzt schon schwer, dass ich einiges absagen muss. Und denke, „o je, wann bist du dann komplett draussen“, denn natürlich fragen dich Intendanten zwei, drei Mal und irgendwann sagen die sich dann „jetzt ist es gut!“

kf: Also Sie müssen die Balance halten zwischen Inszenieren und Lehren.

GR: Ja, das ist es, was ich mir am meisten wünsche, zwei Mal im Jahr zu inszenieren und die Hochschule nicht zu vernachlässigen.

kf: Wie ist eigentlich das Verhältnis Frauen zu Männern in der deutschen Regisseursszene. Spielt das überhaupt noch eine Rolle, ob Mann oder Frau? Oder hat sich das Problem aufgelöst?

GR: Ich glaube nicht, dass sich das aufgelöst hat. Es gab ja mal eine Zeit, da gab es Intendantinnen, die gesagt haben, „wir wollen Frauen fördern!“ Die Zeit ist vorbei. Wenn man sich umschaut und fragt, wer regelmäßig inszeniert und sagen wir mal über 35 ist …? Es sind immer noch wenig Frauen in der Opernregie, und vor allem nennen Sie mir Frauen, die gut im Geschäft sind. Während Männer noch bis 60 oder 70 inszenieren. Ist meine Beobachtung…

kf: Könnten Sie sich erklären, warum das so ist?

GR: Einerseits ist es schön, dass junge Regisseure gehypt werden. Ist aber auch eine unheimliche Hypothek. Da liegt ein Erwartungsdruck auf ihnen. Man muss immer besonders sein, neu sein. Und es passiert schneller, dass man aus so einem System wieder rausfällt. Wenn man dann einmal nicht genügt. Das hat einen Zeitwert. Dann muss wieder Frischfleisch her. Ich weiß keinen Grund. Aber können Sie mir Frauen über 40 nennen, die noch inszenieren?

kf: Tatjana Gürbaca? Aber da müsste ich jetzt wissen, wie alt sie ist. Wie alt sind Sie dann eigentlich?

GR: (lacht) …Rosamund Gilmore inszeniert immer noch! Die könnte ich Ihnen nennen, und die ist sogar noch etwas älter als ich …
Das Interview führte Sabine Weber

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