(Foto von Wilfried Hösl mit Timothy Oliver (Bardolfo), Boris Pinkhasovich (Ford), Kevin Conners (Dr. Cajus), Callum Thorpe (Pistola)
In der Premiere dieser Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper – eigentlich schon für die Opernfestspiele im Juli geplant – geht es elegant und aufgetakelt neureich zu. Das ist schön anzuschauen und mit Witz inszeniert. (Von Klaus Kalchschmid)
(4. Dezember 2020, online aus der Bayerischen Staatsoper, München) Irgendwie hat man am Ende vor dem Bildschirm dieser Online-Premiere ohne Publikum den Moment verpasst als alles kippt. Gerade noch umgarnen mehr oder weniger nur mit weißen Federn bekleidete und diese als Kopfschmuck wie Showgirls präsentierende Damen – und ein Herr! – den Schwerenöter Falstaff. Dabei sollten sie ihn doch eigentlich triezen: „Pizzica, stuzzica, spilluzzica“! Da gerinnt das Bild am PC plötzlich zur Video-Schalte in Schwarzweiß, in der die Köpfe der Protagonisten plus Dirigent bei der Arbeit und ohne Schminke erscheinen.
„Tutto nel mondo è burla – Alles in der Welt ist Posse“
Doch der kleine Gag verschwindet nicht, sondern weitet sich aus, das Bild hat bereits acht Felder, der Ton kommt offen hörbar vom Band und die Kamera zommt langsam in die Totale zurück. Und das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt wird wieder zur Gänze sichtbar. Es besteht fast nur aus hohen Holztüren, die sich oft geisterhaft vervielfacht zur Seite bewegen und das Geschehen wie bei einer Reliefbühne an die Rampe drängt. Da tauchen jetzt um den Bildschirm herum allerlei Choristen und auch die Solisten auf. Alle tragen sie verschiedenfarbigen Mundschutz und singen – nicht! Zum allerletzten: „Tutto nel mondo è burla – Alles in der Welt ist Posse und wir sind die Gefoppten“ der berühmten finalen Fuge schwenkt die Kamera über die Musiker im überbauten und ins Parkett gezogenen Orchester-„Graben“. Da stehen nun die Musiker im gebührenden Abstand mit ihren Instrumenten in der Hand und tun, während die Musik aus imaginären Lautsprechern krächzt – nichts! Was für ein Schreckmoment am Bildschirm, wenn die vermeintliche Live-Aufführung ohne Publikum zum Fanal wird und uns mehr als deutlich gesagt wird: Oper live, das ist zurzeit nichts als Fake. Man hat Euch alle am Bildschirm gerade gefoppt, belogen und betrogen. Schluss mit Lustig. Es ist wieder Ernst angesagt. Jetzt widmet Euch bitte alle wieder der Hygiene und dem Abstand!
Die Grenzen der Stände und des Anstands verwischen – mit einem hochkarätig vergnüglichen Ensemble
Dabei hatte zuvor Regisseurin Mateja Koležnik alles getan, um einen hintergründig vergnüglichen Opernabend zu inszenieren, bei dem die Grenzen der Stände und des Anstands verwischen. Sir John Falstaff (Wolfgang Koch) ist keineswegs ein heruntergekommener, saufender, feister Zausel, sondern so elegant und extravagant gekleidet wie die anderen Besucher eines Bürogebäudes Casinos, das von allerlei Mafiosis und deren aufgetakelten Gattinnen besucht wird. Personal wuselt herum und der Zuschauer am Bildschirm kann sich an den großartigen Kostümen von Anna Savić-Gecan erfreuen, die so in schönen, extravaganten Mustern schwelgen, dass man sich gleich ein Teil von ihr schneidern lassen möchte. Obwohl gegenüber den geplanten Aufführungen im Juli die Damen neu besetzt werden mussten, erfreut ein bis in die kleinsten Rollen wie Dr. Cajus (Kevin Conners) und Pistola (Callum Thorpe) hochkarätiges Ensemble. Ford (ein eifersüchtiger Geck: Boris Pinkhasovich) wäre auch bei den Opernfestspielen dabei gewesen, Galeano Salas durfte jetzt statt Bardolfo (nun Timothy Oliver) einen feinen, jungmännlichen Fenton singen. Neu sind Mrs. Alice Ford (ein Prachtweib mit ebensolcher Stimme: Ailyn Pérez), Mrs. Quickly (Judit Kutasi), Nannetta (ebenso lyrisch wie zart-zickig: Elena Tsallagova) und Mrs. Meg Page (ebenfalls eine wunderbar singende Erzkomödiantin: Daria Proszek).
Statt Kirill Petrenko dirigiert Michele Mariotti
Statt Kirill Petrenko, für den diese Premiere eigentlich nicht zuletzt angesetzt wurde, damit er sechs Wochen Zeit zur Einstudierung bekommt (denn die klassische Inszenierung auf einer beweglichen Scheibe aus dem Jahr 2001 hätte noch gute Dienste geleistet), dirigierte nun Michele Mariotti mit derselben Eleganz, die auch auf der Bühne herrschte. Bei ihm klang nichts verhetzt oder allzu vordergründig pointiert und hatte doch stets Witz und Charme. Immer wieder beglückt, wie der greise Verdi sich selbst und das Genre Oper auf die Schippe nimmt und statt eines „Bühnenweihfespiels“ wie Wagner eine herrlich subtile Musiktheaterparodie auf das kongeniale Libretto des 30 Jahre jüngeren Arrigo Boito komponierte.
Ab Samstag, 5. Dezember kann der Mitschnitt der Premiere on demand für 14.90 Euro über die Website der Bayerischen Staatsoper abgerufen werden. Das Ticket ist 24 Stunden gültig. Die 45-minütige Einführungsmatinee zu „Falstaff“ kann noch einen Monat kostenlos im Netz aufgerufen werden.