Die Resonanzen 2024 – kreisen in Wien um die Planeten!

Die Resonanzen in Wien sind das Alte-Musik-Festival 2024 im Januar. Und zählen in ihrem Kosmos Sonne und Mond zu den Planeten! Mit „Atys” von Jean-Baptiste Lully mit den Talens Lyrique unter Christophe Rousset eröffnen sie fulminant, lassen nach dem französischen Sonnentag die britische Venus tanzen und tags darauf leidet herrlich die deutsche Erde! (Von Sabine Weber)

Christophe Rousset. Foto: Carlos Suarez

Der Mensch hat die Planeten schon immer für das Schicksal verantwortlich gemacht. Jetzt verantworten sie also die Resonanzen-Tage in Wien, die herrlich mit der Sonne eröffnen, dem Zentralgestirn. Für Louis Quatorze, den selbsternannten Sonnenkönig eines leuchtenden Hofstaates in Versailles, war Atys von Jean-Baptiste Lully die Königsoper. Denn er selbst hat sich mit Atys identifiziert, so wie Cybèle mit seiner Königin, und Sangaride sei auf seine Mätresse Mme de Maintenon gemünzt. Christophe Rousset und sein Ensemble Les Talens Lyriques sind jedenfalls derzeit die Königsklasse im Lully-Repertoire. Der Stile classique bescherte Frankreich eine Zeit, in der gefeierte klassische Dramendichter ihre französischen Texte Lully zur Verfügung stellten, damit er sie im Duktus und Rhythmus der Sprache in der Tragédie en musique aufgehen lassen sollte. Und Lully gelingt es, den französischen Sprachrythmus perfekt umzusetzen. Und er kreiert damit typische Idiome der französischen Musik.

Ob Rindenhaut glücklich macht?

In dieser Hinsicht ist Atys sein Meisterwerk. Eine „durchgesprochen-durchgesungene Oper“ – ohne Arien!, in der Arien und Rezitative ineinander übergehen und die Handlung im ständigen Dialog Drama entfacht. Ich mache es kurz: Liebe taucht da auf, wo sie nicht hin programmiert ist. Zwischen Atys und Sangaride nämlich blüht sie auf. Dabei ist Atys das Objekt der Begierde einer Göttin, lebensgefährlich, sich dem zu entziehen, und Sangaride ist einem König versprochen. Politisch unmöglich da auszuscheren. Nach einigen Eifersuchtsattacken, einer berühmten Schlafszene – wir würden das heute klingende Meditation nennen – und einer Wahnsinnsszene sind Atys und Sangaride tot und die Göttin Cybèle darf sich beweinen, weil letztendlich ihre Rache Atys umgebracht hat. Sie verwandelt ihn in eine Pinie. Ob Rindenhaut irgend jemand glücklich macht?

Les Talens Lyrique. Foto: Karin Zeleny
Erstklassige Sängerinnen und Sänger

Christophe Rousset hatte jedenfalls ein erstklassiges Ensemble am Start, allen voran Reinoud van Mechelen (leider auf diesem Bild nicht zu sehen!) als Atys, absolut textverständlich, elegant und mit ausreichend Stimmkraft für seinen Wahninn. Sangaride hat mit Céline Scheen ein schönes Timbre. Scheen phrasiert wunderbar, kennt aber keine Konsonanten, weswegen sie, wie die meisten anderen auch, nicht zu verstehen ist. Das ist bei dieser Kunst an der französischen Sprache eigentlich unverzeihlich. Am besten noch in dem riesigen Ensemble an 13 Sängern, die mehrere Figuren interpretierten, nach von Mechelen Judith van Wanroij als Cybèle mit energischem Duktus. Die Augen hängen also im Almanach am Text. Der gesamte große Saal liest mit. Und die drei Stunden vergehen im Flug. Obwohl die 10 Stunden Zugfahrt doch plötzlich müde machen. Aber so viel erstklassigen Lully zu hören, mit wunderbaren Tanzmusik-Einlagen, traversflötenden Zéphyren und Blumen, sowie säuselnden Schlafgöttern – das lässt wachbleiben.

Die Wiener wollen Lully!

DER GROSSE SAAL ist übrigens ausverkauft! Heißt, 1800 Zuhörer und Zuschauer in Wien wollen Lully! Wo auf dieser Welt gäbe es einen Ort, wo Lully derart gefeiert und goutiert werden würde? Die Resonanzen haben auf ihe Wiener richtig gesetzt!

Am Sonntag danach gibt Christophe Rousset um 11 Uhr auch noch eine Lully-Lecture auf dem Podium des großen Saals. Die Wiener kaufen sich für 15€ eine Karte, um von Rousset zu erfahren, warum Lully die beste Musik überhaupt ist, wenn sie richtig interpretiert wird und zwar im neuen Rousset-Stil! Weniger Akzente, größere Zusammenhänge. Lockerer. Selbstverständlich. Christophe Rousset hat den Lully-Pionier William Christie abgelöst und mit einer Lully-Gesamtaufnahme längst die Führung übernommen. Seit 20 Jahren ist er dran. Übrigens saß Christophe Rousset am Cembalo, als William Christie mit Les Arts Florissants Atys in den 1980ern zum 300. Lully-Jubiläum erstmals in einer neuzeitlichen, aber historisierenden Inszenierung in Paris wieder auf die Bühne gebracht hat.

Fair Oriana im ausgeleuchteten Mozartsaal. Foto: Sabine Weber
Die britische Venus – Fair Oriana

Soviel zur Sonne. Jetzt kommt der Kontrast. Der Mond, allerdings nur als kleine Mondsichel auf der Stirn der Venus. Fair Oriana – das sind zwei Sängerinnen mit jeweils anderen engagierten Instrumentalisten für ihre Programmationen. Sie lassen Venus in einem extra-Programm für die Resonanzen very britisch aufscheinen. In Masques und musikalischen Einlagen von Purcell, Banister, bis Pepusch, Händel und Arne. Eine Auftragskomposition von Owen Park erklingt sogar. Penelope Appleyard und Lucinda Cox geben in klassisch antik wallenden Stoffen die goldgelockte Doppelvenus. Durchs Programm führt Erzähler Timothy Vaughan. Und Venus leuchtet in Liebesnächten und vertonten Legenden,

Fair Oriana cool. Foto: Sabine Weber

weint und leidet mit dem Tod von Lustknabe Adonis und gewinnt wieder Lust am Leben. Es begleiten meist Arciliuto, Viola da gamba und Cembalo. Das Abel-Solo gelingt dem Gambisten mittelprächtig. Leo Duarte spielt auch noch ein bisschen Oboe, Traversflöte und Blockflöte dazu. Es klingt alles sehr anämisch. Aber einmal eingehört, entwickelt das Programm seinen puristischen Reiz, mit kleinen Gags wie Sonnenbrille und Lederjacke bei einer Folkballade.

Barocktanzspezialistin Legler und ihre Tänzerinnen. Foto: Sabine Weber
Venus tanzt

Danach werden wir aus dem Mozartsaal wieder in den Großen Saal bestellt, wo die Stühle im Parkett weggeräumt sind und wir in Hundertschaft als Venus den Pas de Bourrée und eine Choreographie zu einer Lully-Chaconne lernen dürfen. Mein Gott, wie schwer ist das denn! Und Barocktanzspezialistin Margit Legler ist unerbittlich. Gott sei Dank hat sie zwei junge Tänzerinnen mitgebracht, die oben auf der Bühne vormachen. Von Spannung in der Körperhaltung und Gesten reden wir erst gar nicht. Aber die Hundertschaft hat ihren Spaß, und kommt sich näher, denn es müssen Paare gebildet werden.

Die Hundertschaft versucht den Pas de Bourée. Foto: Sabine Weber
Die Erde und Keplers Seufzer

Der Erde ist das dritte Hauptkonzert gewidmet. Und Deutschland. Ordnete nicht Johannes Kepler in seiner Weltharmonie der Erde den leidenden Halbtonschritt als Seufzer zu? Die Welt litt zu seiner Zeit an Hunger und am Krieg. Der 30jährige Krieg tobte. Und so müssen wir auch leiden, aber mit schönster Musik. Wir werden als zerknirschte Sünder angesprochen mit dafür berühmten Komponisten der norddeutsch-protestantischen Schule: Franz Tunder und Matthias Weckmann, zwischendrin noch der Arnstädter Bach Johann Christoph, berühmt für sein Lamento Ach, dass ich Wassers gnug hätte – das auch zu Gehör gebracht wird. Das 5stimmig besetzte Hathor-Gambenensemble unter  Romina Lischka spielt mit noch zwei Violinen in der Führung perfekt in Harmonie. Dazu das vierstimmige Gesangsensemble, das das Publikum mit Psalmvertonungen, Vertonungen der Klaglieder des Jeremia und weiterer Erbauungsliteratur zum Weinen schön in Rührung versetzt. Auch die solistischen Einsätze sind exquisit.

Hathor Consort. Foto: Karin Zeleny

Hervorragend Bassist Matthias Winckhler, der uns mit Johann Christoph Bachs Wie bist Du denn, o Gott dem Zorn Gottes aussetzt. Hannah Morrison singt Tunders An den Flüsseln Babylons. Zion meldet sich dann mit Weckmann in männlicher Triobesetzung zu Wort. Wenn der Herr die Gefangenen zu Zion erlösen wird. Lautmalerische Begleitung – immer anders instrumentiert – sowie variierte Vers-Einsätze lassen hören, wie hoch diese Vertonungen des Wortes galten. Bachs A-capella-Gesang Es ist nun aus mit meinem Leben beendet unser Schmachten mit den Worten: Welt gute Nacht! Dürers Stich Melencolia hätte bestens zum Programm gepasst, ist im Almanach dem Saturnkonzert mit mittelalterlichen A-Capella-Literatur beigefügt. Die Begeisterung für die irdische Leidenslektion am dritten Tag, dem Montag, ist groß. Am Dienstag ist Ruhetag, denn dieser Tag ist aus Kostengründen gestrichen worden. Das Wiener Planetarium ist geöffnet. Dahin werden wir geschickt.

Erstmals ziehen die Resonanzen in die Vorstadt

Aber ich sitze schon im Zug, weil die DB ab Mittwoch eine Woche Streik angekündigt hat. Und verpasse den exzentrischen Mars mit dem Concerto Scirocco und einige frühbarocke Battaglias des 17. Jahrhunderts. Den Jupiter mit gotischen Harfen- und Fidelklängen unter der Leitung von Gulliermo Pérez. Der ist ein ausgewiesener Spezialist auf dem Organetto und Clavicymbalon. Die Sinfonie und ein Oboenkonzert des Komponisten-Astronomen William Herschel im Uranuskonzert (Opera Settecento unter Leo Duarte, der schon die Fair-Oriana-Damen unterstützt hat) und auch das Resonanzen-Menue im Anschluss des Konzerts von Chef de cuisine Christian Wallner angerichtet. Erstmals ziehen die Resonanzen auch in eine urige Kneipe in der Harnalser Vorstadt. Eine Novität der diesjährigen Ausgabe.

Merkur – Burney

Die drei ersten Tage waren erfüllt genug. Das Newcomer-Ensemble Apollo’s Cabinet, Gewinner der Göttinger Händel Competition und des Concorso internazionale di musica antica wäre noch im Vorspiel zum zweiten Konzerttag zu erwähnen. Dem Merkur, dem Gott der Reisenden, huldigt das Cabinet mit vorgetragenen Auszügen aus Charles Burneys Reisememoiren. Kennen wir. Aber wer wusste, was der Verfasser eines aufschlussreichen Artikels im Almanach weiß, dass Burney nämlich Zeit seines Lebens – in Kontakt mit William Herschel – an einer poetischen Astrologie gearbeitet hat. Nur das erste Buch ließ er leider gelten, die restlichen Bände hat er angeblich verbrannt, um seine musikalischen Studien nicht durch astrologische Mystik zu entwerten.

Nachwuchsbariton Green

Nachwuchsbariton Rory Green trat im Vorkonzert des dritten Tages auf. Er war Finalist des letzten Cesti-Gesangswettbewerbs in Innsbruck und hat dort auch den Sonderpreis der Resonanzen erhalten. Allerdings irritierte er mit einem Gesang in pfeilharter Diktion ohne wirklich Klang zu produzieren und schöne Linien zu formen. Obwohl er eine große Stimme hat. Irgendwie ist da ein Kurzschluss in der Stimme. Er klang in der weltlichen, chromatisch durchzogenen Bachkantate Amore traditore BWV 203 teilweise sogar irritierend atonal. Auch weil sein Begleiter Patrick Orlich auf dem Cembalo so dicht spielte, als gelte es das Italienische Konzert im Continuo hören zu lassen. Beide Rohdiamanten brauchen noch den Endschliff. Aber auch das ist ja interessant zu erleben.

Die LETTER-Stiftung Köln in Wien bei den Resonanzen!
Aus den sieben Planetendrucken von Maarten van Heemskerck die Venus um 1568. Abbildung: LETTER Stiftung Köln
Uranus von Emma Schlangenhausen. Abbildung: LETTER Stiftung Köln

Manchmal muss man weit weg fahren, um etwas von zuhause zu erfahren. Als besonderen Begleitprogrammpunkt gab es eine kleine Ausstellung mit Druckgrafiken der LETTER-Stiftung. Diese größte Sammlung an Druckgrafiken hat ihr Lager – wie ich – in Köln! Sieben Blätter eines Planetenzyklusses von Maarten van Heemskerck aus dem 16. und sieben Planetenradierungen vom Augsburger Georg Balthasar Probst aus dem 17. Jahrhundert steuert sie bei. Sie zeigen Planeten auf Himmelswagen, von immer unterschiedlichen Gestalten gezogen, und die späteren eine Anordnung der Planetenallegorien in einem perspektivischen Theaterszenarium. Leichtes Gruseln verursacht die Tiroler Künstlerin Emma Schlangenhausen mit ihren vier Planetengestalten im Holzdruck. Sie gemahnen an faschistoide Arno Brekker Gestalten. Eine wunderbare Ergänzung zum Programm. Hoffentlich haben die Wiener diese Planeten auch gesehen und in der Pause nicht nur in ihren Almanach geschaut…

2 Gedanken zu „Die Resonanzen 2024 – kreisen in Wien um die Planeten!“

  1. Hallo Sabine! Wie schön war es Montagabend, dich wiederzusehen, und ein paar Wörter zu wechseln. Nur fand ich dich leider nicht nach dem Konzert… es wäre ja super gewesen, etwas mehr über dich zu hören. Doch sehe ich auf deiner Seite, dass du schon viel zu tun hast, und die Gambe hört wieder dazu! Lass dann öfter von dir hören, wenn du Lust und Zeit hast, ich würde mich freuen! Bis bald, und danke dir, dass du dich in Wien gemeldet hast! lieben Grüß Liam

    1. Lieber Liam,

      Auch wunderbar Dich nach all den Jahren wieder getroffen zu haben. Ich melde mich demnächst wieder. Herzlichst, Sabine

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