Er war zu Recht stolz wie Bolle, als er das festliche gestimmte Publikum zum Eröffnungskonzert der neuen Isarphilharmonie in München begrüßte: Max Wagner, Chef des Kulturzentrum Gasteig und damit Bauherr dieses fantastischen, in anderthalb Jahren für nur 40 Millionen gebaute Ausweich-Quartiers für „sein“ Haus. Es beherbergt neben der Philharmonie auch Zentral- und Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, die Hochschule für Musik und Theater sowie die Münchner Volkshochschule. Alle werden im HP8, so genannt nach der Adresse Hans-Preißinger-Straße 8 in Sendling, für die vielen Jahre Unterschlupf finden, in denen der Gasteig mit seinem großen Konzertsaal radikal saniert und umgebaut wird. (Von Klaus Kalchschmid)
(9. Oktober 2021, Isarphilharmonie München) Als Entrée fungiert die denkmalgeschützte ehemalige Trafo-Halle E der Münchner Stadtwerke von 1926, die mit ihren umlaufenden Galerien fast originalgetreu erhalten ist. Hier flanieren gemäß 3G+ die 1900 Besucher ohne Maske, darunter viele Berühmtheiten wie die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, und ihr Intendant, Markus Hinterhäuser, Herzog Franz von Bayern und sein Mann, oder jede Menge Schauspieler. Auch der Oberbürgermeister der Stadt München, Dieter Reiter, ist voll des Lobes für alle Beteiligten und hält frei eine wunderbar launige Rede, in der nicht zuletzt von Chefakustiker Yasuhisa Toyota die Rede ist, der nicht nur unter anderem für den Klang der Elbphilharmonie in Hamburg, sondern nun auch der Isarphilharmonie, direkt an einem Kanal der Isar gelegen, verantwortlich ist.
Es ist ein besonderer, magischer Moment unter all den beglückenden an diesem Eröffnungsabend der Isarphilharmonie HP8 in München: Da erklingt der berückend religiös archaische erste Satz von Rodion Shchedrins Der versiegelte Engel a cappella gesungen vom Philharmonischen Chor. Er hat hoch über den Münchner Philharmonikern, deren Pulte bis auf den Platz des Solo-Flötisten abgedunkelt sind, auf der Chor-Empore Platz genommen und scheint, nur gedämpft beleuchtet, zu schweben. So klingt es auch: ungemein präsent, warm und reich, dabei noch im zartesten Pianissimo bestechend schön und seidenweich. Was für eine Verheißung für ein großes Chor/Orchesterwerk wie das Verdi-Requiem oder Beethovens Missa Solemnis, die gerade wieder den Herkulessaal an seine Grenzen brachte.
Der weich geschwungene Raum, ausgekleidet mit anthrazitfarben gebeiztem Holz, umfängt den Hörer wie ein gewaltiger Schiffsbug und beschert auf Anhieb ein großes Wohlgefühl. Dabei konzentriert er Blick und Ohren auf das Podium. Doch das ganz große Fortissimo ist in der neuen Isarphilharmonie durchaus nicht problemlos zu erzeugen. Als Valery Gergiev am Ende der zweiten Suite aus Maurice Ravels Ballett Daphnis et Chloé, in dem der Chor ebenfalls in Vokalisen prominent beteiligt war, das Orchester so richtig aufdrehen lässt, da hört man, dass es zwar immer noch gut und rund klingt, aber nicht ganz so schön wie das hier bestechende Pianissimo oder eine mittlere Lautstärke. Wo die Philharmonie am Gasteig enorm trennscharf klang, ist hier ein ebenfalls enorm durchsichtiger, aber eben auch großartig warmer, weicher und voller Klang zu hören. Wenn, wie zu Beginn des Ravel, mal nur Bratschen, Celli und Kontrabässe spielen, ist das intensiv hörbar und raunt herrlich dunkel.
Begonnen hatte das Konzert mit einer Uraufführung: Thierry Escaichs Arising Dances. Schon hier konnte man schon solistische Streicher, wie den Konzertmeister Lorenz Năsturică-Herschcowici, sehr präsent und viel Kammermusikalisches zauberhaft deutlich hören konnte. Aber auch große Orchestermischungen und rhythmisch Prägnantes, das manchmal an Strawinskys Sacre erinnerte, konnten sich gut entfalten. Das Pendant dazu war nach der Pause Henri Dutilleuxs Meisterwerk Métaboles – Wechselspiele. Die fünf ineinander übergehende Sätze sind – im Original französisch – mit „Beschwörend“, „Linienförmig“, „Besessen“, „Betäubt“ und „Lodernd“ betitelt. 1964 uraufgeführt, ist diese Viertelstunde ungemein klar disponiert und enorm konzentriert komponiert, kulminierend in einem wahrhaft in den verschiedensten Aggregat-Zuständen flackernden und züngelnden, schließlich hell lodernden Finale. Die Philharmoniker spielten das unter Gergiev höchst facettenreich, enorm präzise und schlicht traumhaft schön.
Zwar hätte man sich beim Eröffnungskonzert nicht zuletzt eine gewichtige romantische Symphonie gewünscht, aber immerhin gab es als Auftakt eines Zyklus aller fünf Konzerte mit Daniil Trifonov Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 in G-Dur. Und wieder gab es eine Überraschung! Nicht nur, dass Trifonov mit einer wunderbaren Klarheit und Prägnanz wie Eleganz spielte, sondern dass auch der Steinway-Flügel so ungemein plastisch seine Facetten entfalten konnte. Wo es in der Philharmonie am Gasteig manchmal recht neutral klingen konnte, herrscht hier „Fülle des Wohllauts“, wie Thomas Mann sagen würde. Dass das „Andante con moto“, in dem das selbstvergessen träumende Klavier immer wieder vom aggressiven Dreinfahren des Orchesters unterbrochen wird, bevor Solist und Kollektiv sich allmählich annähern und schließlich versöhnen, am allerbesten gelingen würde, war zu erwarten. Aber schon der Kopfsatz geriet immer aufregender und das Finale war entfesselt im besten Sinne. Da verschmolzen Solist und das immer phänomenaler mitgestaltende Orchester an manchen Stellen oder man warf sich höchst lebhaft und intensiv die Bälle zu.
Begeisterter Applaus eines glücklichen Publikums, das unter Beachtung von 3 G+ einen großartigen Abend ohne Maske genießen durfte, der noch bis 6. Januar 2022 in der ARD-Mediathek abrufbar ist.