„Das blühende Leben“ steht als Überschrift über den drei Haydn-Sinfonien. Und als erstes überwältigt die Besucher seitlich des linken Schlossflügels ein üppig blühendes Blumenmeer in barock-symmetrischer Anordnung mit Wasserbecken und gestutztem Platanen-Umgang. Sich in diesem wogenden Blütenmeer, dann „nur“ Haydn vorzustellen, schien zunächst eine irgendwie puristische Angelegenheit. Aber puristisch blieb nichts im Stuck-umtosten Treppenhaus von Schloss Augustusburg. (Von Sabine Weber)
(22. Juli 2022, Schloss Augustusburg, Brühl ) Ausdruck und Leidenschaft ist von der erste Note an das Thema in diesem einzigartigen erzbischöflichen Treppenhaus. Und nicht zu überhören ist, dass die dänische Elitetruppe für Alte Musik, Concerto Copenhagen, regelmäßig im Graben der Königlichen Oper in Kopenhagen spielt. Joseph Haydns sogenannte „Sturm und Drang“-Sinfonien sind an diesem Abend unüberhörbar opernbeeinflusst. Opern, wie sie beispielsweise Kollege Gluck komponiert hat, dessen Orfeo oder Alceste Haydn gekannt hat. Um diese Zeit fing Haydn selbst an, Opern zu komponieren. Was nicht ohne Folgen für die Sinfonien bleiben konnte, wie der rhythmisch-gestische Schwung der 43. Sinfonie mit dem Beinamen Merkur gleich im ersten Satz beweist. Da öffnet sich geradezu eine Szene. Das Adagio der Sinfonie Nummer 44, später Trauersinfonie betitelt, weil dieser Satz angeblich die Wunschmusik Haydns für seine eigenes Begräbnis gewesen sei, fließt in den gedämpften Streichern leicht und scheint eher wie das hoffnungsvolle Versprechen eines Liebenden. Ich komme wieder! Zugleich lässt Haydn kontrollierte Experimentierlust los. In der Palindrom-Sinfonie, Nummer 47, wird das Thema eines ziemlich derben Menuetts al roverso im Trio rückwärts gespielt. Was bei den Synkopen eine geradezu unerhörte Betonungsverschiebung gibt!
Genau diese Akzente setzt Concerto Copenhagen genüsslich. Zumal die Ventil-losen Hörner auch mal einen forciert rauen Ton rausbellen dürfen. Er klingt nie zu laut oder unschön forciert. Die gesamte kammermusikalische Besetzung mit 14 Musikern – jeweils drei erste und zweite Violinen, eine Bratsche, ein Violoncello, ein Kontrabass und zu den beiden Hörnern noch zwei Oboen und ein Fagott – trifft hier die akustischen Verhältnisse perfekt. Und selbst die Akzentpausen koordiniert Mortensen mit dem Nachhall. Organisch crescendiert er Bögen bis zum Fortissimo, bei nonchalanter sofortiger Zurücknahme ins entspannte Legatospiel, oder er lässt harmonische Sequenzen in Fortspinnungen sich entladen, die erstaunlich barock klingen, aber dann elegant klassisch abgebunden werden. Das alles wirkt, als müsste es Haydn immer genau so gemeint haben. Wohltuend, dass die Tempi nie überzogen sind. Lars Ulrik Mortensen tritt nie die Flucht nach vorn an, sondern gewinnt der Musik lieber Finessen ab. Da dominiert auch mal der Bass und die Oberstimme fügt sich unter. Und der bescheidene, erstaunlich ernst und konzentriert wirkende Mortensen, entwickelt zum Schluss doch glatt Humor. Für den stehenden, nicht enden-wollenden Beifall, lässt er die 15 Takte der Coda der letzten Sinfonie wiederholen. Als der Beifall danach immer noch nicht nachlässt, eilt er nochmals vor seine Musiker und spielt nur die letzten drei Schlussschläge der Coda. Alles lacht, die Kiste ist zu! Was für ein Haydn-Spaß! Und im Nachhinein ärgert man sich auch nicht, zu wenig gesehen zu haben, weil ein Sitzriese mit massigem Kreuz einen halben Meter über die Reihe ragend die Sichtlinie komplett dicht gemacht hat. Das Erlebnis war gehörter Haydn. Und dazu konnte bestens der Blick auf Balthasar Neumanns Treppenhaus-Stuck wandern. Auch eine Form des Theaters!