Chamber Remix Cologne zum letzten!

Auf barocken Instrumenten mit live-Elektronik beschließt das Syntopia Quartet das Jahr 2023 im Kölner Rheinauhafen und rundet unter der Überschrift „Die Verwandlung“ eine bemerkenswerte Kölner Konzertreihe für Gegenwartsmusik ab! (Von Sabine Weber)

(28. Dezember 2023, Kunsthafen im Rhenania, Köln) Eine Verwandlung steht mit dem Neuen Jahr ja auch an. Zumindest eine Veränderung. Wie wohltuend aber vor allem, nach den Familientagen mit Kochexzessen, familiär verwursteter Weihnachtsmusik und den üblichen emotionalen Verwerfungen, kurz vor und während dem letzten Jahres-Vollmond, sich im Kunsthafen im Rhenania wiederzufinden und sich in gleichermaßen altbekannten wie neuen Klängen fallen zu lassen.

Eine Stunde lang erzählen die vier Musiker ihre Geschichten auf einer Barockgeige, Blockflöten (erweiterte Klappen-Modelle von Maarten Helder, für Neue Musik entwickelt), einer Viola da gamba und Cembalo, sowie zugespielter Live-Elektronik. Das Syntopia Quartet nimmt die rund 50 Interessierten, die locker verteilt in dem perfekt klingenden weißen Fabrikraum sitzen, auf eine Reise mit. Die Lichter der vorbeifahrenden Autos auf der Rheinuferstraße leuchten durchs Fenster aus dem Dunkel und begleiten die barocken Ostinato- sowie Tanzmodell-Experimente. Das sind durchaus bekannte Improvisationsmodelle an diesem Abend, der durchweg barock klingt! Gleich im ersten Satz, ein in ruhigen Vierteln fortschreitendes Variationsgeschehen, drücken sich, nach schräg dissonanten off-mode-Melodien zwischen Violine und Blockflöte, kleinen Jagd-Riffs und Solopassagen, irgendwann die bekannten Folia-Harmonien ganz klar durch. Das sei der „barocke Blues des 17. Jahrhunderts!“, wie Albrecht Maurer findet. Und muss den Anfang machen.

Das Neue – die zugespielte Elektronik sowie die dadurch angeregten Improvisationen – im Alten bekommt an diesem Abend aber zu keinem Zeitpunkt den Ruch eines Alibis, wie so oft inzwischen auf Alte-Musik-Festivals zu erleben. Da muss doch was Modernes rein, damit es Anspruch auf Aktualität behauptet. Die elektronische Ver- oder Anverwandlung von Kammermusik ist zentraler Fokus der Chamber-Remix-Reihe. Und da Albrecht Maurer auch ein Interpret Alter Musik ist, hat er jetzt eben mal Barockmusiker eingeladen.

Albrecht Maurer, Geiger, Gründer und Leiter der Chamber-Remix-Cologne-Reihe, ist in diesem letzten Konzert 2023 auch musikalischer Spiritus rector. Er hat die Suite in sieben Sätzen mit Freiräumen dazwischen konzipiert und komponiert. Bis zu 80% des Sets, sagt ein Musiker, nur 60% behauptet Maurer, seien notiert. Der Rest Improvisation. Im Großen und Ganzen spielt das an diesem Abend keine Rolle, was improvisiert oder ausnotiert ist. Maurer hat perfekt für seine Truppe komponiert. Deren Zusammenspiel ist absolut homogen. Alles fügt sich im Fluss, sodass man meint, die vier Musiker experimentierten schon seit Jahren in dieser Art und Weise zusammen. Das Syntopia Quartet, Syntopia klingt wie eine Wortschöpfung aus „Zusammen“ und „Utopie“, besteht neben Albrecht Maurer aus Kerstin de Witt, Blockflöten, Nathan Bontrager, Viola da gamba, und Stefan Horz, Cembalo. Ein Projektquartett aus dem Köln-Bonner Raum, das sich zu diesem Anlass bereits zum zweiten Mal trifft.

Wie Maurer die Live-Elektronik in den Zwischenspielen mit achttaktigen Loops einbringt, per eigener Stimme auslöst oder aufgenommenen Takes einspielt, zu denen dann jeweils Instrumente wie mit sich selbst ins Zwiespräch kommen, liefert faszinierende Klangmomente. Angeblich sei die geplante live-Aufnahme durch den Absturz des PCs gleich bei Konzertbeginn sogar unmöglich gewesen. Und das elektronische Equipment mit Keybord, Laptop, Reglersets. Mikros, etc. bedient ja nur er. Dafür hängt er die Geige an einem Ständer auf. Aber Irritierung ist zu keinem Zeitpunkt zu spüren gewesen.

Und wie genau Maurer mit der Materialzuspeisung umgeht! Auch wenn der Aufbau mit Mikros, Kabel, Boxen und PC Eindruck zwischen den Musikern Eindruck macht. Aber zu keinem Moment wird Leere, Einfallslosigkeit, lediglich elektronisch aufgereizt, getüncht, gar überpinselt. Alles wirkt musikantisch spontan, liefert Inspiration oder ist Vorlage. Nie verkopft oder Apologie-lastig. Und es fügen sich an diesem Abend modale, ganztönige irische Fiddlertunes, perfekt im Unisono vorgetragen, wie später ein Beat von Violine, Cembalo, Gambe und Blockflöte in Gegenrhythmen ein. Die jazzig gedachten off-mode „falschen“ Töne klingen überzeugt im stets klar rhythmisch strukturierten Fluss. Geblasen, gesägt oder geschlagen, als wäre das Schräge das Normale.

Ein Modell des franzäsischen Gambenbauers François Danger. Foto: Sabine Weber

Jeder ist auch mal Solist. Stefan Horz verfremdet mit Fensterabzieher im Resonanzkasten Cage-mäßig den Cembalosound. Kerstin de Witt wechselt permanent zwischen klein, mittel und großer Blockflöte. Gambist Nathan Bontrager wirbelt auf seinem außergewöhnlichen Gambenmodell (François Danger) mit Kontrabass-Wirbeln und antroposophisch freigeformtem Korpus über dem Griffbrett herum. Wenn er dann mal keinen Bassfundament-Dienst hat.

Zweimal gibt es in dem als durchlaufend angekündigten Set dann doch Pausen, in denen Maurer das Publikum um Applaus bittet. Und dann erzählt Maurer die verrückte Geschichte von einem Mann, der seiner Frau in einer lebenslangen Ehe ein einziges Mal ein Geschenkt macht, dazu Schachtel in Schachtel verstaut, bis in der letzten kleinen nur seine Zehennägel zum Vorschein kommen. Eine Story, die der Erfinder angeblich in einem Youtube-Film mit eindrücklicher Gesichtsmimik vorträgt. „Told Story“ ist dann auch das merkwürdigste Stück des Abends, in dem es ausnahmsweise Brüche gibt – wohl nach jedem Schachtelwechsel. Die Geschichte brennt sich ein. Wie der ganze Abend. Angeblich, so erzählt Maurer später, sei die Ehe des Mannes an diesem Geschenk nicht gescheitert! Und nachdem er sich auch noch Fragen des Publikums gestellt hat, bewegt sich dieses mit den Künstlern anschließend zu der kleinen Bar. Ein wunderbarer Ausklang!

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