Bernard Foccroulle feiert am 23. November seinen 70.!

(Titelbild: Oliver Metzger) Eigentlich müsste jeder in der klassischen Musikszene ihn kennen: Bernard Foccroulle! Den Organisten,  Mitbegründer eines der renommiertesten belgischen Barockensembles, ehemals Professor für Musikanalyse in Brüssel, dort auch Operndirektor, später Direktor des wichtigsten französischen Musikfestivals in Aix-en-Provence. Darüberhinaus Mitgründer der Plattform „Opera Europa“, hat er Bücher geschrieben, und ist Komponist – seit diesem Jahr sogar Opernkomponist. Es gibt also viele Gründe, über ihn zu sprechen. Unser Anlass ist sein 70. Geburtstag am 23. November dieses Jahr. Auf einer Insel in der Bretagne hat klassikfavori ihn telefonisch erreicht. (Die Fragen stellt Sabine Weber)

Ein herzliches Hallo auf die Belle-Île in der Bretagne. Ist das Ihr Lieblingsort für einen Urlaub? Verbringen Sie dort auch Ihren Geburtstag?

Das ist mein Lieblingsort für die Arbeit. Hier komponiere ich in Ruhe und Stille. Ich komme sehr häufig hierher. Aber das sind dann keine Ferien.

Eine erste Oper im Alter von 70 Jahren fertigstellen, ist eine Ansage. Vor zwei Monaten gab es die Welturaufführung, und die war ein riesiger Erfolg im La Monnaie in Brüssel. Nicht zuletzt, weil „Cassandra“ eine Oper von brennender Aktualität ist. Eine Oper über den Klimawandel, in der Sie den weiblichen Mythos der warnenden Kassandra aufgreifen, die den Untergang Trojas hätte verhindern können, wenn ihre Warnungen ernst genommen worden wären. Sie sind der Meinung, dass diese – weiblichen – Warnerinnen auch heute nicht gehört werden, weshalb Sie Kassandra in Ihrer Oper mit einer modernen Klimaaktivistin zusammentreffen lassen…

Meine erster Impuls war, die mythologische Person Kassandra ist unglaublich aktuell. Man kann heute viele Kassandras finden, den Papst, Juristen, viele Menschen mit gutem Willen, die nicht gehört werden. Viele Wissenschaftler, die nicht gehört werden, viele Menschen mit Wissen, denen man allenfalls geistesabwesend zuhört. Und natürlich ist der Klimawandel präsent. Als der Stoff Kassandra feststand, war für meinen Librettisten Matthew Jocelyn und mich ziemlich schnell klar, dass eine zweite, eine zeitgenössische Kassandra dazu kommen müsse, die Wissenschaftlerin und Klimaaktivistin ist.

Eine Oper zu komponieren lässt sich ja nicht einfach improvisieren. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Diese Oper war eine Arbeit von drei Jahren. Nachdem ich das Festival d’Aix 2018 verlassen hatte, stand für mich fest, eine Oper zu komponieren. Das war ein tiefer Wunsch. Als Chef der Brüsseler Oper und dem Festival d’Aix stand mir nie genug Zeit zur Verfügung. Ich komponierte allerdings einige szenische Formen, die fast kleine Opern sind. Le Journal d’Hélène Berr 2021, ein Opernmonodram für Sopranistin, Klavier und Streichquartett, über das Tagebuch einer Pariser Jüdin, die ihr Leben bis 1944 festhält. Es ist nicht wirklich eine Oper, aber es nähert sich der Oper an. (Konzertant am 3. Mai 2023 in Trident – Scène nationale de Cherbourg-en-Cotentin. Im Dezember gibt es in der Colmarer Comedie  und in Strasbourg an der Opéra du Rhin die szenische Uraufführung. Anm Redaktion).

Ab April war der Kontakt zwischen Matthew Jocelyn in Toronto, dem Dramaturg Louis Geisler in Paris und mir in Brüssel sehr eng. Wir haben Schritt für Schritt die Oper entwickelt. Wir haben natürlich alles gelesen, was es über Kassandra gibt. In der Antike, in der Moderne. Und so ist das Werk entstanden.

Der Liederzyklus Zauberland, nach Versen von Martin Crimp, wurde 2019 von Katie Michell inszeniert und ist anschließend auf Tournee gegangen. Wurde die Idee zur großen Oper auch ein stückweit im Jahr 2019 geboren?

Die Idee zu einer Oper ist noch viel älter. Ich habe viele Opernuraufführungen und Aufführungen junger Komponistinnen und Komponisten erlebt. Und ich habe sie oft auch beraten, und immer geraten, nicht sofort mit einer großen Form zu beginnen, sondern sich dem Projekt mit einer Kammeroper zu nähern. Am Ende bin ich selbst diesem Rat gefolgt. Ich habe von meinen eigenen Erfahrungen profitiert. Und bin diesem Weg gefolgt.

Ihre Tochter Alice ist Sängerin und hat in Köln bei Josef Protschka und Christoph Prégardien studiert. War sie auch eine Motivation, für Stimmen zu komponieren?

Ja, ich habe mehrere Stücke für Alice geschrieben. Vor 10 Jahren 2013 Nigra Sum für Alice, ihren Mann, einen hervorragenden Zinkenisten (Cornettisten) und mich an der Orgel. Das haben wir oft aufgeführt und auch schon aufgenommen. Später, für eine Aufführung im Palais des Beaux Arts in Brüssel, habe ich einen Ausschnitt aus Dantes Purgatorio für Alice vertont. E vidi quattro stelle für zwei Sänger, Sopran und Bariton, Cornetto, drei Posaunen, Harfe und große Orgel. Es ist ein Stück mit großer dramatischer Kraft und könnte auch auf der Bühne funktionieren.

Die Oper scheint Ihre „Idee fixe“ zu sein! Die Oper leben lassen, eine Kunst, die der Welt Sinn verleiht, ist der Titel eines Buches, das Sie 2018 veröffentlicht haben. Können Sie uns sagen, worum es darin konkret geht?

Die Oper kann viel zu unsere Zeit und der Welt beitragen, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Damit sie eine lebendige Kunst ist, muss die Vergangenheit und die Gegenwart vereint und den heutigen Schöpfern viel mehr Platz eingeräumt werden. Nicht nur den Komponisten, sondern allen schöpferischen Disziplinen. Ich habe immer dafür plädiert, dass die Opernhäuser jungen Künstlern aller Disziplinen eine Residenz an ihrem Haus anbieten sollten. Bühnenbildner, Librettisten, Choreografen und so weiter. Das betrifft auch Musiker, Musiker auch aus anderen Kulturen als der westlichen. Es muss außerdem eine enorme Arbeit ums Publikum geleistet werden. Und mit dem Publikum passieren! Unsere Zuschauer partizipieren an der Oper. Jungen Zuschauern muss Zutritt geschaffen werden, die „entfernten“ Zuschauer muss man immer wieder überreden zu kommen, und auf der Ebene der interkulturellen Arbeit muss auch viel geleistet werden. Warum sollte Oper eine westliche Kunst bleiben? Sie muss sich öffnen, dem Jazz und auch der Pop-Musik und anderen Musikkulturen. Wenn wir das alles umsetzen, dann hat die Oper eine Chance in der ganzen Welt. In allen Epochen hat die Oper an den Visionen der Welt teilgenommen. Hätte es die französische Revolution gegeben ohne die Werke der Aufklärung? Mozart hat beispielsweise daran mitgewirkt, die Mentalität der Zuschauer zu ändern. Natürlich hat er nicht die französische Revolution ausgelöst. Aber an den Änderungen der Geisteshaltung hat er Anteil. Ich denke, heute brauchen wir nicht nur Oper, sondern alle Künste, um an den Änderungen mitzuarbeiten, die wir nötiger haben denn je!

Erschienen 2018 bei Actes Sud.

 

 

Bis 2018 waren Sie auch auf institutioneller Ebene mit der Oper verbunden. Sie wurden 1992 Direktor der Brüsseler Oper und traten die Nachfolge von Gerard Mortier an. Hat Gerard Mortier Sie damals nach Brüssel gerufen? Wie wurde er auf Sie aufmerksam?

Ich kenne Mortier seit seiner Berufung nach Brüssel 1980. Ich habe alles von Mortier hautnah miterlebt, als Zuschauer, als Dramaturg, als Assistent von Sylvain Cambreling (Generalmusikdirektor in Brüssel), auch als Musiker im Orchester, wenn ich in bestimmten Produktionen Cembalo gespielt habe. Ich habe seinen faszinierenden Weg von ganz nahe miterlebt. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass der Tag kommt, an dem ich sein Nachfolger werde. Aber so ist es aber gekommen.

Brüssel zählt weltweit zu den Spitzenhäusern in Sachen Musiktheater. Worauf sind Sie stolz, wenn Sie auf ihre Zeit am La Monnaie in Brüssel zurückblicken?

Ich bin stolz darauf, eine Menge großer Opern uraufgeführt zu haben. Oder unmittelbar nachgespielt zu haben. Da spreche ich bestimmt von an die 20 zeitgenössischen Opern. Und das ist etwas sehr wichtiges. Ich habe mich auch auf unser Publikum zubewegt. Für das junge Publikum habe ich 1992 einen pädagogischen Service eingerichtet. Der geht an die Schulen. Der Service heißt noch heute Brücke zwischen den Welten, Un pont entre monde. (Und ist gerade mit dem Opera Award für Equal Opportunities & Impact ausgezeichnet worden. Anm. Redatkion). Dieser Service kooperiert auch mit Institutionen wie Krankenhäusern. Das Publikum am La Monnaie hat sich inzwischen diversifiziert. Und dieser Prozess setzt sich fort. (Aktuell mit jungen Umweltaktivisten! Anm. Redaktion). Das Bild unserer Oper hat sich gewandelt. Die Oper hat Schwellen abgebaut, sie ist weniger elitär. Ich bin aber auch sehr stolz darauf, mit großen Regisseuren und Dirigenten zusammen gearbeitet zu haben. Antonio Pappano habe ich 10 Jahre lang begleitet. Er war vollkommen unbekannt als er in Brüssel angekommen ist. Er ist als Star gegangen. Kazushi Ono, oder Anne Teresa De Keersmaeker für den Tanz, Philippe Boesmans als Komponist. Fabrizio Casol ist ein Saxophonist, der uns mündlich überlieferte und improvisierte Musik in der Oper vermittelt hat. Dieses Gemisch an Kulturen in den Produktionen hat der Oper frische Luft gebracht. Davon hat sie profitiert.

Welche Welturaufführungen gab es denn während Ihrer Intendanz?

Medea Material von Pascale Dusapin 1994, Reigen von Philippe Boesmans 1993, The Cave von Steve Reich haben wir im Jahr der Uraufführung gespielt, ebenso Eötvös’ Tri SestryThe Quest of Love von Jonathan Harvey, nochmal Boesmans, dessen Wintermärchen und July, Ballata von Luca Francesconi, A King Riding (1996) von Klaas de Vries, Benoît Merniers Frühlings Erwachen, Oedipe sur la rue von Pierre Bartholomée, The woman who walked into doors von Kris Defoort (2001), Hanjo von Toshio Hosokawa…, nein, das war in Aix 2004 …

Hat das auch dazu beigetragen, dass Sie eine „gute“ Oper komponieren mussten? Cassandra wurde ja euphorisch gefeiert!

Ja! aber das war doch nicht das Ziel der Uraufführungen in Brüssel. Das war eine Dienstleistung. Aus dem Haus La Monnaie wollte ich eine erste Adresse machen. Diese Opern haben mich sicherlich auch als Komponist genährt. Natürlich hat das Einflüsse und Spuren hinterlassen. Das merke ich jetzt, wo ich zum Komponieren zurück gekehrt bin. Aber ich habe vor allem als Zuhörer vom Milieu profitiert und da auch von Barockopern, Klassik, Romantik, Moderne und Zeitgenössischem …

2007 übergaben Sie in Brüssel den Staffelstab an Peter de Caluwe, der immer noch künstlerischer Leiter in Brüssel ist. Sie übernahmen dafür die Leitung des Festival d’Art Lyrique d’Aix en Provence von Stéphane Lissner. Ist er ein Freund? Wie ist es dazu gekommen?

Brüssel nach 15 Jahren zu verlassen hielt ich für absolut richtig. Und ich wollte eigentlich ein „Sabatical“ einlegen. Da lag das Angebot vom Festival d’Aix auf meinem Schreibtisch. Ich habe lange nachgedacht, aber hielt es für schwierig, zu einem solchen Vorschlag „Nein“ zu sagen. Das Festival kannte ich sehr gut. Ich habe die Arbeit von Stéphane Lissner immer verfolgt. Wir hatten in Brüssel eine enge Kooperation mit Aix. In Aix waren die Anforderungen dann schon anders. Viel Arbeit mit neuen Teams und neuen Spielstätten. Dem Grand Théâtre, Aufführungen open air und in einem kleinen Barocktheater. Aber ich liebe Aix-en-Provence sehr.

Bei diesem Festival habe ich Sie 2014 zum ersten Mal persönlich erlebt, d. h. miterlebt, wie Sie den Streik der Intermittents abgewendet haben, indem Sie ihnen erlaubten, ihre Anliegen vor und nach der Aufführung auf der Bühne zu präsentieren. Braucht man, um in solchen Institutionen etwas zu bewegen, Empathie mit dem, was abseits der Bühne passiert?

Natürlich. Die Empathie ist ausschlaggebend für die Arbeit in einer Kulturinstitution. Als der Streik der Intermittents in Frankreich begonnen hat, auch bei anderen Festivals, hat sich die Direktion unseres Festivals sofort auf die Seite der Intermittents gestellt. Ihre Situation ist sozial und beruflich sehr schwierig. Da ist die Arbeit ganz anders als in Deutschland, wo es in jeder größeren Stadt ein Theater und eine Oper mit Ballett und Orchester gibt. In Frankreich ist das anders. Und das staatliche System der Intermittents (die nur auf Produktionsdauer beschäftigten Kulturschaffenden werden über den Rest des Jahres mit staatlichem Arbeitslosengeld unterstützt. Anm. Redaktion) ermöglicht erst die Arbeit der Bühnenarbeiter, der Techniker, auch der Artisten übers Jahr. Und wir haben uns um die angemessene Bezahlung der Intermittents gekümmert. Wir hatten eine enge Verbindung mit dem zuständigen Ministerium der Regierung. Der damalige Premierminister Manuel Valls hat viel dafür getan, den Status der Intermittents zu verbessern.

Worauf blicken Sie in Aix-en-Provence mit Stolz zurück?

Auf vieles. Zu meinen eindrücklichsten Erinnerungen gehört George Benjamins Written on Skin, auch, weil es eine Arbeit von 20 Jahren war, diese Oper zustande zu bringen. George Benjamin ist ein guter Freund. Dann die Elektra von Patrice Chéreau und Esa Pekka Salonen. Chéreau war damals schon schwer krank, und es sollte seine letzte Produktion werden. Dann die Zusammenarbeit mit Katie Mitchell, ihre Alcina oder Pelléas et Mélisande. Die Liste ist sehr lang.

Sie haben Ihre Karriere als Organist begonnen. Wie sind Sie Organist geworden? Brauchte Ihre Pfarrkirche in Liège einen Organisten, als Sie jung waren?

Nein, das war nie mein Ziel. Ich war fasziniert von Orgelmusik und Bach. Als ich fünf war, erklärte ich meinen Eltern ich wolle Orgel spielen. Mir sagte man, ich sei zu klein, die Beine zu kurz. Meine Mutter war Pianistin, also habe ich erst mal mit Klavier am Konservatorium begonnen. Bis ich in die Orgelklasse einteigen konnte. Die Orgel war meine Berufung. Und dann hatte ich das Glück, dass ich meinen Traum, Bach zu spielen, mit einer Gesamtaufnahme aller Orgelwerke von Bach verwirklichen konnte.  Ich werde beim Label Chateau de Versailles übrigens eine neue Gesamtaufnahme mit Orelwerken von Georg Muffat beginnen. Das wird die 50. CD sein, die ich aufnehmen werde.

Die 16 CD sind bei Outhere-Music 2018 erschienen und mit dem Diapason d’Or und Prix de Choc.

Die Aufnahme aller Werke Bachs auf 16 CDs hat Sie in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Aber auch die Neue Musik hat Sie immer interessiert. Gab es Komponisten, die Sie angeregt haben? Wann haben Sie überhaupt mit dem Komponieren begonnen?

Ich glaube, es lag an einem Erlebnis eines großen Werks von Olivier Messiaën. Das Komponieren ist aber erst später gekommen. Und hat sich dann entwickelt. Zwischen 20 und 30 habe ich zwar erste Stücke geschrieben. Aber das Komponieren ist erst in den letzten 20 Jahren wichtig geworden.

Sie haben auch mal ein Ensemble gegründet. Das Ricercar Consort. Was war da Ihr Ziel?

Da ging es um die pure Freude, Barockmusik zu spielen. Wir hatten dann gleich eine Zusammenarbeit mit dem Label Ricercar, mit dem ich immer noch zusammen arbeite. Deutsche Barockmusik war damals unser Schwerpunkt. Geistliche Musik, Kantaten und Instrumentalmusik der Vorbachzeit. Und dann auch die französische und italienische Musik dieser Zeit. Das war in den 80er Jahren eine tolle Arbeit, schöne Erinnerungen.

Von wem sind Sie stilistisch als Komponist beeinflusst? Eher von den alten belgischen Komponisten wie Ocheghem, De Prez oder eher von den modernen Henri Pousseur oder Philippe Boesmans?

Ich bin Philippe Boesmans sehr nahe. Auch, weil er fürs Publikum schreibt, was bei vielen zeitgenössischen Komponisten nicht der Fall ist. Er achtet darauf, dass das Publikum beim Zuhören der Oper und des Textes unterstützt wird. Die belgischen Komponisten der Vorzeit sind mir weniger nah, obwohl ich Ockeghem, Lassus und andere sehr schätze. Ich habe eher ein intensives Verhältnis zu Claudio Monteverdi. Das ist sehr speziell, so wie zu Bach. Monteverdis Vokalwerke sind ein Höhepunkt in seiner Musik, die haben mich sehr beeinflusst.

Zu ihrer Arbeit an dem Konservatorium, beziehungsweise Musikhochschulen in Lüttich und Brüssel müssen wir noch kommen. Was hat das zu Ihrer Karriere beigetragen?

Das war sehr nützlich, Kurse in musikalischer Analyse zu leiten. Ich wollte nie Orgelkurse geben. Das war klar. Ich habe die Analyse gewählt, weil ich mir so das sinfonische Repertoire, das Gesangsrepertoire und Kammermusik erarbeiten konnte. Das hat mir einen viel größeren musikalischen Überblick verschafft als der Orgelunterricht. Und ich wollte kein Organist eingeschlossen im Orgelkosmos bleiben. Die Analyse war also eine gute Chance.

Sie haben „Opera Europa“ mitbegründet – eine Plattform für den Austausch und die Vernetzung von Opernhäusern. Ist das Teil von der Idee, „Die Oper leben lassen“? Was war das Ziel?

2001 haben wir „Opera Europa in Brüssel gegründet. Von 2001 bis 2009 war ich Vizepräsident der Vereinigung „Opera Europa“. Mir war wichtig, nicht für eine kleine Energiequelle in einem Opernbetrieb zu arbeiten und eine andere auszuschließen. Es ging mir also nicht darum, beispielsweise Produktionen zu ändern, oder Einfluss zu nehmen. Es ging mir um das Verhältnis zwischen der Künstlerischen Direktion, der Technischen Leitung oder anderen Funktionen der Oper, die sich praktisch über die Schwierigkeiten im Opernbetrieb austauschen können sollten. Was macht beispielsweise den Erfolg einer Produktion aus? Lässt sich das auf ein anderes Haus in einem anderen Land übertragen? Was sind die großen Herausforderungen im Opernbetrieb? Am Anfang waren 30 Häuser dabei. Inzwischen sind es 200 Häuser in ganz Europa. Das hat sich unglaublich entwickelt. „Opera Europa” hat dann Opera Visions” gestartet, die Streaming Plattform. Und ich war Präsident von Opera Europa. Aber ich bin nicht mehr aktiv.

Sie sind gerade zum Vorsitzenden der Jury des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs ernannt worden? Ist das eine Ehre oder eher viel Arbeit?

Das ist ein Glück, junge Sänger zu hören! Nur wegen des Gesangs habe ich akzeptiert. Ich habe in meiner Karriere als Opern- und Festivalleiter viele Sänger gehört. Und stand ihnen immer zur Seite. Einige sind Stars geworden. Ich habe mit Stéphane Dégout zusammen gearbeitet. Eine seiner ersten Opern-Produktionen war eine Monteverdi-Oper am La Monnaie. Eine Sabine Devieilhe. Der concours gibt mir jetzt die Möglichkeit, die junge Generation weiter zu verfolgen und einige auch zu begleiten.

Wenn es noch etwas gäbe, das Sie in Zukunft verwirklichen wollten, was wäre das? Eine zweite Oper?

Ich werde weiter komponieren, das ist jetzt meine zentrale Arbeit. Ich würde aber auch gern daran weiterarbeiten, Pfade zwischen den verschiedenen Kulturwelten und der politischen Welt, der Welt der Aktivisten und der Wissenschaftler zu bahnen. Wie in meiner Oper Cassandra. Es gibt da schon Überschneidungen. Es gibt noch so viele Hinternisse zu überwinden. Ich glaube, Kunst und Kultur haben eine große Wichtigkeit für die Änderungen in unserer Zivilisation, die nötig sind. Und dennoch ist die Kultur dabei weniger zu werden. Ich weiß nicht, ob ich da nützlich sein kann. Aber ich denke das ist die große Herausforderung heute.

Haben wir etwas von Bernard Foccroulle vergessen?

Noch eine Sache, über die wir nicht gesprochen habe, die ich wunderbar finde und angesichts des Krieges zwischen Israel und der Hamas vielleicht erwähnenswert ist. Wir haben in Aix viel mit dem Orchester des Jeunes de la mediterranés gearbeitet. Die haben eine Residenz seit 2011. Wir hatten viele sinfonische und interkulturelle Projekte. Was mir daran wichtig ist, ist, dass Musiker heute an Ko-Kreationen teilnehmen. In Kriegszeiten nehmen wir nur an den Negationen teil, an der Negation der Andersartigkeit, an der Verweigerung des Zuhörens. Musik kann helfen, diese Negationen zu überwinden. Wir brauchen solche Projekte. Sie sorgen für eine positive Haltung.

Und mir fällt auch noch eine Frage ein. Was komponieren Sie denn gerade?

Eine Kantate für vier Solisten und eine Barockensemble, das ein Festival in Frankreich bestellt hat. Mit einem Text von Franz von Assisi über die Schöpfung und einem arabischen Text von Adonis, der die gleiche Blickrichtung hat.

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