Wie wirkt sich die 9. Sinfonie am Sonntagmorgen aus? Im Radio eine Einführung und anschließend die ersten beiden Sätze zu Spiegeleiern und Heilandt-Kaffee! Der Mann kommt rein und ruft sofort: „Beethoven?“ – „Ja, die Neunte!“ „Die Neunte? Warum?“ Daraufhin Schweigen. Die Neunte, weil … Beethovenjahr! Aber nur die ersten beiden Sätze, weil sie insgesamt – in der längsten Version – sogar 75 Minuten dauert. Und wer braucht sonntagsmorgens schon die direktive finale Freudenakklamation des letzten Satzes, werden sich die Programmplaner gedacht haben. Ein Musikjournalist und Redakteur hat es sogar gewagt, das Finale dieser Neunten auf eine möglich Überschätzung hin neu zu bewerten. Friedrich Schillers „Ode an die Freiheit“ war ja sogar mal verboten. Regimentsmedikus Schiller wurde vom württembergischen Herzog wegen unbotmäßig schriftstellerischem Einsatz und Theaterbesuches die Schriftstellerei insgesamt untersagt. So dichtet er 1785 auf Bitten seines Freundes Christian Gottfried Körner für eine Freimaurerloge sozusagen heimlich. Schiller hielt die Ode nicht für ein Welten-verbrüderndes Meisterwerk. „Es habe keinen Wert für die Welt und die Dichtkunst…“, schreibt er seinem Freund. Aber die von Schiller überschwänglich beschworenen – natürlich männlich determinierten – Gesellschaftsideale werden das Retro-Bekenntnis zu den niedergemachten Idealen der französischen Revolution. Deshalb greift sie auch Beethoven im restaurativen Metternich-Wien demonstrativ wieder auf, freilich erst öffentlich, als das Verbot sich erledigt hatte. Gedanken für ein nicht-gehörtes Finale! Frühstück beendet und jetzt zu aufmerksam gehörten Streichquintetten in einer Neueinspielung (ALP 585)! Da gibt es wirklich etwas zu entdecken. (Von Sabine Weber)
Was für Preziosen verstecken sich hinter den Streichquintetten in C-dur op. 29 und c-moll op. 104! Fünf Musiker des WDR Sinfonieorchesters haben sie fürs Beethovenjahr eingespielt. Am 10. Januar werden sie beim Label Alpha herauskommen! Und wer hätte überhaupt mit Streichquintetten gerechnet? Beethovens Streichquartette, darauf legt es doch jedes renommierte Streichquartett an, das auf sich hält. Das Juilliard Quartet hat alle Streichquartette in den 1960ern aufgenommen. Das Alban Berg im Laufe seines Ensemblelebens, die Gewandhaus-Quartett-Box steht als erste Gesamtaufnahme in meinem Regal, das Cuarteto Casals ist mit dem gesamten Streichquartett-Œuvre im Gepäck letztes Jahr durch Europa getourt. Dagegen müssen die beiden Streichquintette Beethovens in Konzertprogrammen oder unter den CD-Aufnahmen regelrecht mit der Lupe gesucht werden! Fünf Streicher des WDR Sinfonieorchesters haben jetzt dafür gesorgt, dass sie einen Platz in der CD-Sammlung finden können.
Für Orchestermusiker ist Kammermusik immer eine besondere Kraftquelle, die noch einmal anders beseelt als das Tuttispiel, für die allerdings auch ein besonderer Einsatz nötig ist. Bei Ye Wu und Christian-Paul Suvaiala, Violinen, Micha Pfeiffer und Tomasz Neugebauer, Viola, und Susanne Eychmüller, Violoncello, spürt man vor allem die Hingabe, mit der sie sich in diese Aufgabe stürzen. Dabei kehren sie konzentriert die Struktur als auch die Vielschichtigkeit der Ideen heraus und scheuen nicht davor zurück, die emotionalen Gegensätze auszuspielen. Luigi Boccherini klingt im ersten Satz des c-moll Quintetts durch. Der in Madrid wirkenden Italiener hat wie kein anderer mit Quintetten, statt einer Bratsche auch mal eine Gitarre verwendend, experimentiert. Etwas von seiner spanischen Verve scheint in Wien angekommen zu sein. Oder hat Beethoven sogar Boccherinis Fandango gekannt? Es braust tänzerisch auf, fast stampft es und verhaucht dann auch schon wieder in Melancholie. Da wäre auch ein kleiner vorweg genommener pastoralhafter Einbruch nach dramatischem Aufruf in der Coda des ersten Satzes von Opus 29. Schroffheiten des Spätwerks tauchen in der klassisch wohlaustarierten Melodieanlagen ebenso auf wie sich trotzig steigernde Wiederholungsstellen, Ausbrüche, ein Verhauchen aber auch harmonische Fortspinnungen, Sequenzen, wie sie im Barock geliebt wurden und bei Beethoven für träumerisches Flair sorgen. Opus 29 hat Beethoven um 1800 komponiert. Das C-dur Quintett wurde vom Grafen Moritz von Fries bestellt. Und es hat wohl mit dem Label Beethoven zu tun, dass sich dieses Werk bruchlos zu Opus 104 fügt. Das c-moll Quintett ist 17 Jahre später entstanden. Und das ist eine kuriose Geschichte. Ein komponierender Amateur bearbeitet Beethovens ursprüngliches Klaviertrio von 1782. Ein gewisser Joseph Kaufmann, der dann Beethoven auch sein Quintett-Arrangement zuschickt. Das scheint Beethoven angespitzt zu haben, sodass er 1817 eine eigene Quintett-Version fertig stellt. Aber den Urheber dieses Unterfangens vergisst er nicht und schreibt aufs Titelblatt seines neuen Opus 104: „Bearbeitetes Terzett zu einem dreistimmigen Quintett von H. Gutwillen und aus dem Schein von fünf Stimmen zu wirklichen fünf Stimmen ans Tageslicht gebracht von H. Wohlwollen.“ Die also wohlwollend auf fünf gleichberechtigte Stimmen verteilten Ausdrucksmomente sind in dieser Einspielung im klanglich perfekt austarierten Zusammenspiel zu erleben. Niemand zu laut. Keiner unterbelichtet. Und der Klang von fünf einzelnen Streichern ist tatsächlich ein Hauch weniger streng als nur bei vieren. Vielleicht liegt es an den beiden Bratschen-Mittelstimmen. Die Aufnahme ist sehr direkt, also lenkt die Raumakustik auch nicht ab. Das garantiert gerade in den extremen Dynamiken, die hier gewagt werden, eine gute Durchhörbarkeit. Ergänzt werden die beiden Streichquintette übrigens noch durch eine fünfstimmige Streicherfuge op 137. Beethoven hat sie als eine Fugen- und Bachstudie fertig gestellt, wie Norbert Hornig im Booklet verrät. Auf dieser CD gibt es also wirklich etwas zu entdecken. Und mit ihrer ersten CD-Aufnahme präsentieren sich die „WDR Sinfonieorchester Chamber Players“ zudem als wirklich starkes Streicher-Team. Nur der Ensemble-Name ist etwas sperrig. Da wird man sich dran gewöhnen müssen. Denn diese fünf Kammermusiker*innen will man doch unbedingt wieder hören!