Haßprediger in Düsseldorf an den Schandpfahl! Regisseurin Lanzino erzählt „Nabucco“ mit Witz, ohne Ernsthaftigkeit Preis zu geben

Und es klingt! Obwohl die zweite Vorstellung der Eröffnungsproduktion die neue Kapellmeisterin Katharina Müllner nachdirigiert. Der frisch amtierende GMD Vitali Alekseenok dirigierte die Premiere. An der Oper am Rhein wird eben gefördert. Die designierte Chefdirigentin des WDR Sinfonieorchesters, Marie Jacquot, ist hier groß gemacht worden. Regisseurin Ilaria Lanzino war hier Spielleiterin, als sie 2020 mit dem 1. Platz des Europäischen Opernregie-Preises ausgezeichnet wurde. Jetzt beweist sie, wie Verdis Schlachtross „Nabucco“ mit Witz und genauem Fingerzeig unterhaltsam und so aktuell wie kaum sein kann. (Von Sabine Weber)

Chor, Statisterie. Foto: Sandra Then

(29. September 2024, Oper am Rhein, Düsseldorf) Ilaria Lanzino unterlaufen eben keine handwerklichen Fehler. Und in der derzeitigen politischen Lage den Befehlshaber der Hebräer ebenso wie den der heidnischen Feinde an den Pranger zu stellen, ohne sie zu Stellvertretern der aktuellen Politakteure (Israeli? Syrer?/ Libanesen?/ Palästinenser?) im Nahen Osten zu machen, ist ein Kunststück. Die Oberen, die Zerstörung predigen, sind doch alle gleich. Sie stehen auf der Bühne schlussendlich an mattweiß kannelierten Schleiflack-Säulen mit Goldsockeln, die die ehemaligen Herrschaftszentralen schmückten, gebunden am Pranger. Das Volk vereint sich gegen die Oberen. Ihre Vertreter sitzen am Ende im Ratssaal am Tisch, und lassen sich auch nicht mehr von Freiheitsversprechungen, die offensichtlich aus der Not geboren werden, die eigene Haut zu retten, verführen.

Menschliche Dimensionen hervorlocken

Die kleinen Änderungen in der Deutung gelingen durch Nichtübersetzung von Sätzen. Schlagwörter wie Frieden bleiben auf der Obertiteltafel einfach länger stehen. Und dass es Lanzino auch noch gelingt, Abigailles Wutzorn aus erlebten Demütigungen in der Kindheit mittels Kinderdoubles nebenbei zu erzählen, ist ein Kunstgriff, der menschliche Dimensionen hervorlockt. Dass die leibliche Tochter Nabuccos, Emene, kindlich naiv – im pinken Tüllrock – dabei blass bleibt, dafür um so schöner singt (hinreißend Kimberley Boettger-Soller in ihrer einzigen Arie kurz vor Schluss), ist angemessen.

…wenn sie nur von Opfern zu Tätern werden können

Bei all dem politischen Spiel – Bombardierung, eine in Schutt-und-Asche-gelegte Stadt wird im schrägen Spiegelbild gezeigt; auch bei der ohnmächtigen Masse, die aus den auf dem Boden liegenden Fenstern steigt (Bühnenbild Dorota Karolczak) – wird man nie peinlich von der Realität berührt. Und erkennt doch den Kern der Sache. Es geht doch nie um Religion, sondern immer um die Mächtigen und ihre geostrategischen Überlegungen. Und da sind sich doch alle gleich, wenn sie nur von Opfern zu Tätern werden können.

Gewaltige Choroper

Die Masse, das Volk, bekommt mit Verdi also folgerichtig die lauteste Stimme. Und der Chor und Extrachor der Deutschen Oper nutzt sie hervorragend. Alexey Zelenkov ist ein in dieser Inszenierung „untotbarer“ fast komischer Nabucco, mächtig-schwach, weil Abigaill, Svetlana Kasyan mit Kraft und Volumen in der Stimme, sowie Erotik im Leopardenmuster (Kostüme Carlos Volles) ihn zornig entmachtet. Und welche stimmlichen Herausforderungen sie dazu stemmt, von virtuoser Koloratura bis emotionaler Erzählung – „auch ich war mal glücklich“ –, um ihre Rache an den Hebräern zu rechtfertigen, ist beeindruckend.

Melodienseligkeit und Schönklang

Dass misslicher Weise ihre ungeliebte Halbschwester und Ismaele (Jussi Myllys), den sie eigentlich liebt, ein Paar werden, ist eine merkwürdig jüdisch-babylonische Querliebe, die man nicht nachvollziehen muss, um die menschlichen Verwerfungen dahinter zu fühlen. Dem Menschlichen widmet sich Verdi nämlich vor allem mit Hingabe. Also sind der Hohepriester (Beniamin Pop), der aufhetzt („zerfleischt die Feinde wie Löwen“) aus gleichem Holz wie Nabucco: „legt die Stadt der Feinde in Schutt und Asche“. Der Gedanke auf goldenen Flügeln, damals als Verdis heimlicher Freiheitshymne zur Überwindung der zerteilten italienischen Heimat verstanden, führt in Düsseldorf das Volk an die Macht. Und das Publikum ist von der Melodienseligkeit und dem Schönklang berauscht. Dieser Verdi ist Unterhaltung im besten Sinne. Wenn das Finale in Licht und Gloria donnert, und alle Herrscher mit Pappnase und Möchtegernkronen angebunden Dingfest stehen, weiß man sofort: Die kommen wieder.

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