Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis fordern in Aix ihr Publikum mit zwei französischen Erstaufführungen heraus, aber begeistern es auch!
Von Lina-Marie Dück
(Aix-en-Provence, 15. Mai 2014) Eine kleine Brise, Ausläufer des berüchtigten Mistralwinds, durchkämmt die Haare an diesem Maiabend in der Hauptstadt der Provence. Die untergehende Abendsonne, der helle Sandstein der modernen Fußgängerzone führen zielsicher zum im selben Stein errichteten Grand Théâtre d’Aix-en-Provence.
Der Sommer hat auch schon in der Garderobe Einzug gehalten – luftige Kleidchen und Sandalen. Die Aixer, oder „Aixois“ wie man hier sagt, sind ein legeres Publikum, selbst Jeansjacken tauchen auf.
Und sie lieben Publikumslieblinge. Natürlich ihren Renaud Capuçon – hier bejubelt wie ein Rockstar. Aber auch eine Grande Dame wie Anne-Sophie Mutter spielt im ausverkauften Haus. Und dass das vorgestellte Programm für den Zuhörer teils etwas schwieriger ist, spielt angesichts der Diva in leuchtend rotem Kleid am Ende dann auch keine Rolle mehr.
Krzysztof Penderecki (* 1933)
La Follia für Soloviolone (Uraufführung Dezember 2013 in der Carnegie Hall, New York)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Sonate für Pianoforte und Violine e-moll KV 304
André Previn (*1929)
Sonate n°2 für Violone und Klavier
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Sonate n°9 für Pianoforte und violine, op. 47 « Kreutzer – Sonate »
Das Programm ist kontrastreich und in sich stimmig. Typisch für die Mutter ist die Kombination aus zeitgenössischen Werken, im Programmheft als französische Erstaufführungen angekündigt, und „großen Klassikern“ der Geigen-Literatur. Selbst Zugaben – und derer drei (!) – sind perfekt ausgewählt.
Die Stücke verlangen der Geige einiges ab, und die Mutter zeigt auch, was möglich ist.
Schon im Eingangsstück, einer Follia von Krzysztof Penderecki, ist vom Pizzicato bis zum Legato, vom Spiccato bis zum Flageolett, alles gefordert. Und selbst der Dämpfer wird gebraucht. Im Dezember letztes Jahr hat sie das ihr gewidmete Stück in New York uraufgeführt. Und nicht zu überhören ist, dass der polnische Komponist in dieser Solo-Caprice die ganze Bandbreite ihres Könnens herausfordern wollte. Musikalisch nicht völlig disharmonisch, ist dieses Geigensolo doch eher schwer zugänglich. Da tat es gut, sich einfach ein Stück weit von den glitzernden Steinen am Kleidsaum der Solistin mittragen zu lassen. Trotz wunderbar melancholisch verweilender Zwischenstücke, gespielt mit einzigartig gleitendem Bogen, in denen auch die Interpretin selbst sich für den nächsten gewagten Galopp über alle Seiten mit zahlreichen Doppelgriffen gespickt zu wappnen schien, stößt die Aufmerksamkeit und die Geduld des Aixer Publikums nach gut 10 Minuten an ihre Grenzen. Der Huster werden immer mehr – angeblich haben die meisten Aixer eine starke Pollenallergie! Es kommt ein „Schht“ vom oberen Rang, eine Dame flüstert sogar „ah j’aime pas du tout, j’aime pas du tout….“
Die Sonate für Violine und Klavier von Wolfgang Amadeus Mozart kommt im Anschluss gerade Recht. Der tröpfelnd klar von Lambert Orkis vorgetragene Klavierpart bietet angenehme Abwechslung. Die leichte Unbeschwertheit einen Gegensatz, auch wenn die Sonate in e-moll KV 304 insgesamt wohl eher eine der schwermütigeren Schöpfungen Mozarts ist, starb doch seine Mutter im selben Jahr. Im ersten Satz wirkt Anne-Sophie Mutter noch ein wenig statisch, vielleicht noch im Wirbel des vorherigen Stücks verhangen. Mehr Gefühl zeigt sie dann im zweiten Satz, brillant eingeleitet von ihrem Begleiter. Beide Interpreten rücken sogar räumlich auf der Bühne zueinander. Und nicht nur die singenden Klänge der Violine, sondern vor allem die delikat und feinsinnig gefühlten Bögen des Pianisten lassen die romantische Färbung des Stücks aufleuchten. Da macht es geradezu Sinn, dass Mozart sämtliche Sonaten mit Erstnennung des pianoforte schrieb!
Vor der Pause kommt der aus meiner Sicht Höhepunkt des Konzerts. Wieder zeitgenössisch und ein Auftragswerk, doch von ganz anderer Textur als Penderecki. André Previns zweite Sonate für Violine und Klavier beginnt spritzig, lebendig wie Limonade an einem Sommerabend im Park. Das Glück ist immer nur kurzweilig. Düstere Einlagen werden nur vom wieder angenehm tröpfelnden Klavierpart etwas gemildert. Dass Geige und Klavier sich in diesem Stück gegenseitig brauchen wird selbst beim Seitenblättern deutlich – Die Mutter unterstützt Orkis beim Ringen mit den Noten und gibt ihm gleichsam den Lauf frei für eine faszinierende Soloeinlage mit geradezu jazzig klingenden Elementen. Beide Parts finden auch wieder zusammen, werden zur Einheit in kleinen und großen tonleiterähnlichen Läufen, punktgenau und treffsicher. Die Läufe kehren im zweiten Satz abgeändert wieder, dazu in sich immer wieder galoppierende, gar aufbrausenden Zirkel, abrupt zum Stillstand gebracht von Akkorden im fortissimo oder ausgebremst von krassen Ritardandi. Die Stille nach dem Sturm mit gefühlvoll wiegenden Klängen wird zur Stille vor dem Sturm. Das Klavier lässt Peitschenhiebe durch die Luft sausen, um dann wieder behutsame Streicheleinheiten zu geben. Im dritten Satz steht die Geige im Vordergrund. Die Virtuosin lässt die Finger fliegen, hüpfen und springen. Mit energischen Schwüngen werden Tonelemente verbunden. In den wiegenden Zwischenstücken Kraft geschöpft, um dann den gerade eingelullten Zuhörer mit disharmonischen Akkorden aufzurütteln. Obwohl unterschiedlich – in dem extremen Gegensatz der Dynamiken und der Stricharten ähneln sich beide modernen Werke!
Der Endspurt kurz vor dem Entracte kostet Geige und Klavier gleichermaßen Konzentration und Anstrengung. Die gemeinsamen Läufe in ihrer fast schon getriebenen Schnelligkeit fordern von beiden Solisten absolute Genauigkeit, keiner darf zu früh oder zu spät einsetzen, eine Gratwanderung am Rande des Abgrunds. Doch Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis sind seit 25 Jahren auf einander eingespielt und ergänzen sich wie Zahnräder eines Uhrwerks. Der fast schon hämmernde Schlussakkord des Pianisten landete punktgenau. Der letzte Strich der Geigerin kurz zuvor ist nicht minder kraftvoll.
Die von allen wohlverdiente Pause findet auf dem Vorplatz des Grand Théâtres statt. Der warm leuchtende Sandstein sorrgt für ein warmes Ambiente, der Mai Abend lädt zum Luftholen, zum Flanieren ein.
Und schon lockt wieder der Konzertsaal mit der gewaltigen Kreutzer-Sonate von Ludwig van Beethoven. Nach den schwermütigen Anfangsakkorden stellt Anne-Sophie Mutter erst einmal ihren Bogen weicher. Was folgt, bleibt nicht nur ein Spiel mit Gefühlen. Bald scheinen beide Instrumente in einen Wettstreit zu treten, sich gegenseitig zu immer höheren Schwüngen anzuspornen. Mit unglaublicher Energie, fast schon mit Wucht als gält’s die Geige durchzusäbeln, geht sie zu Werk. Und auch der mitnichten „begleitende“ Lambert Orkis zeigte sein Virtuosität. Und wieder, wie in den vorherigen Stücken, trifft der Zuhörer auf diese sich stets von Neuem aufbauenden Spannungsbögen, die sich mit aufgeladener Stille abwechseln. Die Stille vor dem letzten Gipfelsturm – ein intensiv gespieltes Rallentando – verheißt dem Publikum einen letzten Kraftakt. Die Aixer geben sich alle Mühe, still zu bleiben und finden schließlich Erlösung in einem wahrlich fulminanten Ende. Aber das ist erst der erste Satz. In den Variationen des zweiten Satzes erreicht Mutter mit schwebender Leichtigkeit und singendem Klang die allerhöchsten Lagen. Man fragt sich, was sie wohl in der Pause zur Erholung getan hat. Der Pianist sorgt mit perlenden Läufen und auch mit klar pointiertem Anschlag, dass keine Trillerkette zu Schmalz gerät. Und dann noch ein Presto. Jedenfalls ist sie bei den beiden Musikern immer noch da und bis zuletzt, die Luft für große, von der Geige diktierte Gesten und für spielerische, neckische Intermezzi des Klaviers. Hier sind Meister der Pausen, von Abbruch und Neubeginn am Werk. Viel Wucht zum Endpurt, sodass der Bogen schon einmal schnarrt. Der letzte Strich kommt mit großem Schwung im Arm, fast wie ein Befreiungsschlag. Tosender Applaus. Soviel Applaus, dass beide Solisten dreimal für Zugaben auf die Bühne zurückkehren: Dvořáks Humoresque Nr. 7, eine Bearbeitung von Brahms Ungarischem Tanz Nr. 1 und schließlich zum endlichen Schluss noch Kreislers „Caprice Viennois“ – nach dessen Ansage ein lautes „Danke“ (auf deutsch) aus dem Publikum ertönt. Die Aixois bewiesen letztlich noch einmal ihre Geduld – mucksmäuschenstill ist es, sämtliche Allergien mit dem Mistral Wind verflogen, ein jeder ist sich bewusst, welches Geschenk diese Zugaben sind. Standing Ovations nach diesem Abend, diesem „Kraftakt“ – eigentlich eine Selbstverständlichkeit!