Davos ist ein Wintersportort. In der Wintersaison lädt auch das World Economic Forum immer zum Wirtschaftsgipfel ein. Der legendäre Davoser Kur-Sommer ist längst keine Hochsaison mehr. Auch wenn ihn Thomas Mann in seinem Zauberberg literarisch verewigt hat. Vielleicht ist deshalb das Davos Festival „Young artists in concert“ über Musikerkreise hinaus kaum bekannt. Es findet im Juli oder August statt. Seit rund 30 Jahren verfolgt das Kammermusikfestival ein ehrenwertes Ziel. Jungen talentierten Musikern nach dem Studium beim Sprung in die Karriere zu helfen. Zwei Wochen lang bietet das Davos Festival gegen Reisespesen, Kost und Loigs ein Forum der Begegnung und Konzertmöglichkeiten vor spektakulärer Bergkulisse. Gecoacht werden die jungen Musiker von dazu geladenen Profimusikern oder Profi-Ensembles. Dieses Jahr ist das deutsche Amaryllis Quartett angereist. Auch einen composer in residence leistet sich das Festival. Marc-André Dalbavie aus Frankreich ist angereist, um mit den jungen Musikern seine jüngsten Kammermusikwerke einzustudieren. Seit letzter Saison ist Reto Bieri Intendant des Davos Festival. Und der Klarinettist aus dem Kanton Zug hat sich vorgenommen, hier einiges zu bewegen. Das bisher eher elitär wahrgenommene Festival will er öffnen, in Davos und international wahrnehmbar machen.
Von Sabine Weber
(Davos, 31.07.- 04.08.2015) Das ist natürlich Luxus pur! 70 engagierte junge Musiker aus 20 Nationen brennen darauf, aufzutreten. Sänger, Choristen, Bläser, Streicher, Pianisten und drei junge Ensembles sind angereist. Da schöpft Intendant Reto Bieri aus dem Vollen. Die Ensembles mischt er in den 24 offiziellen Programmkonzerten immer neu auf. Da geht’s rund gleich im Eröffnungskonzert: György Kurtags kreisende Glissandi aus seinem Klavierzyklus Játékok stimmen ein auf den großen naturmystischen Wasserkreislauf, den Schubert mit seinem Gesang der Geister über den Wassern mit Männeroktett und tiefen Streichern beschwört. Auf Marc-André Dalbavies Vexierspiel mit Ganztonleitern und Akzentgesten in seinem Klaviertrio folgt Sprachpoesie in Mundart. Der Berner Volksliedsänger Manni Matter lässt „Dene, wos guet geit“ um die „wos weniger guet geit“ kreisen. Worauf Steve Reichs Different Trains, Part III für Streichquartett und Zuspielband Fahrt aufnimmt mit minimalistisch wiederholten patterns. Dieser Art kreisen die Konzertideen von Reto Bieri. „Wiederholungen sind ein musikalische Ausdruck für das Kreisen!“, so Bieri. Das diesjährige Thema Kreisverkehr ist mit einem musikalischen Phänomen verknüpft. Und das Kreisen hat auch noch mit dem Leben zu tun. Solche Koinzidentien liebt Bieri. Da lässt sich Kunst mit Leben verbinden. Wobei „Kunst dem Leben dienen muss, nicht umgekehrt!“ fordert Bieri. „Hörexperiment“ bezeichnet Marc-André Dalbavie solche Konzertdramaturgien. Da könne man das Hören entdecken! Der französische Komoponist experimentiert in seinen Kammermusikwerken mit der transformation permanente – einer Musik im ständigen Übergang. Dabei sucht er das Konsonante oder Schwingende im permanenten Changieren von Klangfarben und Klanggesten. In seinem Werk Palimpseste für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier von 2002 ist sogar eine musikalische Vorlage transformiert. Das Madrigal Beltà, poi che t’assenti aus Carlo Gesualdos 2. Madrigalbuch stellen die Davos Festival Choristen auch vor. Da sind die Akkordfolgen des Recycelten Madrigals am Ende von Dalbavies Komposition als ursrprüngliche Schmerzensrufe auszumachen. Dalbavie schmunzelt auf die Bedeutung von Recycling in seinem Werk angesprochen. „Das sei ein Recycling wie beim Haus- und Industriemüll!“ Dalbavie hat nicht wie Boulez Tabula rasa mit der Vergangenheit gemacht. Er versorgt sich mit sogenannten „ready-made“ Objekten aus der Vergangenheit. Ohne stilistisch wie Gesualdo – in diesem Fall – zu komponieren. Besonders freut sich Dalbavie, dass er seine Werke mit den jungen Leuten auch einstudieren kann. „Seine Musik funktioniere wie energetische Felder. Und die Jugend hat Energie im Überangebot.“ Für Intendant Bieri schließt sich mit Dalbavie ein weiterer Kreislauf: „Bei Dalbavie sieht man, wie viel Altes im Neuen steckt, und wenn man Gesualdo hört wie viel Neues im Alten.“ Dieser Art funktionieren und zünden Bieris abgezirkelte Programmideen. Neue Musik – Alte Musik, Klassik und Volksmusik bilden für ihn keine Gegensätze. Ein Ensemble steht programmatisch auch dafür. Federspiel aus Wien. Die sieben klassisch ausgebildeten Blechbläser mischen mit volksmusikalisch aufgerauten eigenen Kompositionen und witzigen Arrangements das Festival in der Graubündener Edelstadt auf. Da dürfen auch Jodler sein. Zur Festivalsphilosophie gehört, dass sich die Musiker immer neu mischen und auch die im Ensemble angereisten Musiker sich aufteilen. So verhilft Trompeter Simon Zöchbauer vom Ensemble Federspiel mit weiteren 4 Musikern einem Werk der russischen Komponistin Galina Ustwolskaja zur Aufführung. Und der Primarius vom Amaryllis Quartett Gustav Frielinghaus unterstützt als Geiger die Aufführung von Dalbavies Palimpseste. „Das ist auch nicht einfach mal so zusammengesetzt!“, so Frielinghaus. Der albanische Geiger Ilias Kadeshi und die britische Cellistin Vashti Hunter scheinen sich hier in Davos gefunden zu haben. Mit dem Schweizer Pianisten Gilles Grimaître überzeugen sie in Dalbavies Klaviertrio, und zusammen mit dem finnischen Pianisten Jonaas Ahonen brillieren sie in Brahms Trio in h-moll. Da knistert es im nüchternen aber akustisch hervorragenden Bankett- und Vortragssaal des Schweizerhofs. Dieses Hotel ist im Sommer eigentlich geschlossen und öffnet seine Tore nur für das Festival. Auch andere Hoteliers unterstützen das Festival mit Unterkünften für die Musiker. Und Reto Bieri steht inzwischen mit ihnen in Verhandlungen, um Wochenpauschalen für Festivaltouristen auszuhandeln. Bisher rekrutieren sich die meisten Besucher aus Davos. Hier überproportional aus den rund 6000 Zweitwohnungsbesitzer. „Viele Visonäre gibt es in Davos“, schwärmt Bieri. Aber auch die „Bergler“ will er einnorden. Alle sollen sich zukünftig vom Davos Festival angesprochen fühlen. Daher rücken die Musiker auch an ungewöhnliche Orte aus. Sie spielen im Bahnhof, in Kaffeehäusern und in Möbelhäusern auf. Treten in Kapellen und Kirchen auf, auch einmal in Davos-Klosters. Einmal locken sie das Publikum auch auf Alpwanderung. Es geht los mit einem Konzert auf der historischen Schatzalp, die einst Thomas Mann inspiriert hat, und endet mit einem Konzert in der Kapelle Frauenkirch. Dazwischen Naturlaut von Kuhglocke oder Wasserquell und eine Sause auf der Stafelalp.