Seliges Fest! Les Escapades kommt mit der Weltersteinspielung von Strattners Geistlichen Konzerten heraus

100 Jahre Entwicklung liegen zwischen Heinrich Schütz (*1585), dem Erfinder des Geistlichen Konzerts, und Johann Sebastian Bach (*1685), Schöpfer des gewaltigsten Kantatenwerks aller Zeiten. In dieser Zeitspanne ist Deutschland was Kirchenmusik angeht ein reges Experimentierfeld. Vielfältige Kirchenmusikwerke beflügeln die Entwicklung. Komponiert für Fürstenhöfe, in Städten, für Kirchen. Motetten, geistliche Vokalwerke, geistliche Kompositionen, Psalmvertonungen oder eben geistliche Konzerte, weil Instrumente mittun. Auf seiner neuen CD fügt das Gambenensemble Les Escapades einen Komponisten hinzu, der zu Unrecht vergessen und fortan nicht mehr überhört werden kann. Georg Christoph Strattner. (Von Sabine Weber)

Weltersteinspielung geistlicher Werke von Georg Christoph Strattner beim Label Christophorus

Georg Christoph Strattner (1645-1704) hat seine Vokalkompositionen wohl nicht Geistliche Konzerte genannt. Die Gattungsfrage ist im 17. Jahrhundert in der Kirchenmusik meist offen gelassen. Die sieben ausgewählten Vokalkompositionen mit zwei Violinen, drei bis vier Viole da gamba und Continuo-Besetzung, dazu vier Sängersolisten, für zwei Werke sind es sogar fünf Solisten, gelten für damalige Zeiten schon als ‚großbesetzt‘. Es ist auch noch nicht lange her, dass die Triosonate aus Italien transalpin herüber geschwappt ist. Die Violinen tummeln sich auffällig gern in Terzenseligkeit bevor sie in kontrapunktische Melodiespiele umswitchen, dann befeuert durch Dissonanzreibungen. Sie greifen Gesangslinien im Voraus- oder Nachspiel auf. Die Gamben sorgen für eine dunkel-samtene Grundierung. Instrumentaleinlagen bringen Nachdenkzeit zwischen den Zeilen. Die Solisten werfen sich die biblischen Worte und geistigen Texte solistisch oder im Dialog zu. Größer besetzte madrigaleske Stellen wechseln mit rezitativischen ab. Schlüsselworte wie Kreuzes Tod oder Hilf uns stellt Strattner rhetorisch geschickt heraus. In der protestantischen Kirchenmusik steht unüberhörbar der Aufruf zur Buße, die Darstellung von Zerknirschung über Sünden, das Hoffen auf Seelenheil, Jesu meine Freude und Gotteslob im Mittelpunkt. Unüberhörbar auch: Georg Christoph Strattner ist offenkundig kompositorisch auf der Höhe seiner Zeit gewesen.

Sich hochschraubende Harmonien wie immer wieder neu ansetzende Seufzer

Im Burgenland, im heutigen Ungarn in eine Organistenfamilie hinein geboren, hat Georg Christoph Strattner zunächst bei Samuel Capricornus in Bratislawa studiert. Mit ihm geht er nach Stuttgart und macht nach dessen Tod Karriere als Hofkapellmeister der Markgrafen in Stuttgart und Baden-Durlach. Er erreicht seinen Zenit als Kapellmeister der Barfüßerkirche in Frankfurt am Main.
„Ach mein Vater, ich hab gesündiget im Himmel und für Dir“ ist eines der in Frankfurt 1689 entstandenen Konzerte überschrieben. Als hätte er für seinen späteren Fehltritt, der ihn die Stellung kosten wird, vorab musikalisch um Vergebung bitten wollen. Sich hochschraubende Harmonien wie immer neu ansetzende Seufzer zu Anfang. Dann die beiden Violinen, die ihre Melodien im Sprachrhythmus „ich habe gesündiget“ umeinander wie ringende Hände schlingen. Die Beichte der Seele (Miriam Feuersinger mit feiner Tongebung leider nicht immer Textverständlich). Nach dem Geständnis die rezitativische Bitte: „Ach schone und erbarme dich meiner.“ Die Gamben rühren das Gemüt mit Tonwiederholungen an, sogenannten Tremoli auf einer Saite. Und dann antwortet Jesus (Markus Flaig mit elegant schlank geführter Bassstimme und hervorragender Textverständlichkeit) „Sei getrost mein Sohn, deine Sünde sind dir vergeben.“ Das Ensemble fügt ein kleines Ritornell an und – Tempowechsel – ein vierstimmigen Schlusschor vertreibt die Trauergeister. Wie schön das Dur klingt, wenn Jesu, meine Freude gefeiert wird.

Kurz ist Strattner sogar Vorgesetzter von Johann Sebastian Bach

Das Glück einer solchen Vergebung gönnten die Frankfurter Stadtväter Georg Christoph Strattner nicht. Wegen Ehebruchs und Schwängerung einer Hausangestellten wird ihm der Prozess gemacht. Er wird für schuldig befunden und der Stadt verwiesen. Ein unrühmliches Karriereende. Seine Familie, Frau und Kinder muss er notgedrungen zurücklassen und der Armut Preis geben. In Weimar taucht Strattner noch einmal auf, steigt sogar zum Vize-Hofkapellmeister der Herzöge von Sachsen-Weimar auf und ist sogar ganz kurz der Vorgesetzte Johann Sebastian Bachs, bevor er 1704 stirbt.

Les Escapades. Foto: Christine Gehringer

Beglückende Aufnahme und seliges Hörfest

Die meisten seiner Werke sind verloren. In Frankfurt sind die Vokalkompositionen überliefert, aus denen Cosimo Stawiarski ausgewählt hat. Dieses Strattner-Projekt hat er auch angestoßen, das Karlsruher Gambenensemble Les Escapades mit ins Boot geholt, und als erster Geiger auch die Aufnahmen geleitet. Geigen und Gamben mischen sich fein ausgewogen. Das Gesangsensemble – mit dabei noch Alexander Schneider, Altus, und Daniel Schreiber, Tenor, ergänzt sich perfekt. Wie selig klingt es, wenn die vier Singstimmen – in „Herr, der du uns hast anvertraut“ die Sequenz aus dem Weihnachtslied „O Jesulein zart“ im wiegenden Rhythmus zitieren. Das letzte Werk dieser CD hat Strattner sogar für ein Hochzeitsfest komponiert. Damit endet diese überaus beglückende Aufnahme mit einem seligen Hörfest. Alle Werke dieser CD sind in Weltersteinspielung zu hören. Etwas frischer hätte freilich das Cover wirken können, das im Büßer-Braun mit beigefarbenen Auferstehungsengel allerdings atmosphärisch im Thema ist.

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