Isabelle Huppert als Bérénice

RT_24: Castellucci inszeniert „Bérénice“ von Racine als großen Monolog für Isabelle Huppert

Heiß und stickig ist es in der großen Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg-Nord, einer der Spielstätten der Ruhrtriennale 2024. Ausnahmsweise ist es den rund 600 Zuschauern erlaubt, Trinkwasser mit hineinzunehmen; Papierfächer werden verteilt, die das Publikum auch eifrig nutzt. Die widrigen klimatischen Umstände sind vergessen, sobald das Spiel beginnt. Alle warten auf den Star Isabelle Huppert. Der italienische Regisseur Romeo Castellucci hat jauch Racines Tragödie „Bérénice“ auf sie perfekt zugeschnitten. Und wie sollte es anders sein, Isabelle Huppert bannt ihr Publikum und löst Begeisterung aus. (Von Jukka Höhe)

(29. August 2024, Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord) Das ist ja auch ein starkes französisches Frauenstück, das an Jean Cocteaus La Voix Humaine denken lässt. Nicht zuletzt an La Femme Rompue von Simone de Beauvoir. Die Franzosen fokussierten das Weibliche also schon zu barocken Zeiten. Jean Racines Bérénice (1670)  ist übrigens französische Schullektüre und hat es wohl nicht von ungefähr nur selten auf deutsche Bühnen gebracht. Immerhin Racines Phèdre, wohl aufgrund der Übersetzung durch Friedrich Schiller, wird hier regelmäßig inszeniert.

Das ist das Drama

Die Franzosen brauchen nämlich kein Verbrechen, keinen Verrat oder Verstrickungen in Schuld, die in die Katastrophe führen. Es reicht eine Frau, die aus Staatsräson auf ihre Liebe verzichten soll.  Zum geschichtlichen Hintergrund: der römische Senat billigt nicht, dass der neu ernannte Kaiser Titus seine langjährige Geliebte Bérénice, eine jüdische Prinzessin aus Kilikien, heiratet. Eine Ausländerin ist als Gattin eines römischen Herrschers nicht erlaubt. Titus beugt sich, weil er Kaiser werden will, kann sich aber nicht überwinden, seiner Geliebten diese Botschaft mitzuteilen.  Er meidet Bérénice, lässt sie in Unbestimmtheit warten, während sie ahnt, es nicht glauben will, ihre Liebe beschwört, hadert und wütet. Sie überwindet am Ende Zorn und Hass in der Agonie, die nach anderthalb Stunden des Verzweifeln folgt. Das ist Drama genug.

Sie verliert ihre Sprache

Bérénice sinkt auf den Boden, beugt sich Titus, weil sie seine Tränen gesehen hat, und, ganz französische Frau, ihnen glaubt. Ja, sie hält ihm die Treue auch in der Verbannung. Wobei Isabelle Hupperts Bérénice anfängt zu stammeln. So stark ist sie doch nicht, ihre Sprache, ihre Persönlichkeit, lösen sich auf. Zum Schluss sitzt sie stumm da, blickt mit leeren Augen ins Publikum und hält diese Spanne so lange, dass einige  klatschen wollen. Und dann richtet wie sich auf und schleudert dem Publikum ein zorniges „Ne me regardez pas!“ – „Seht mich nicht an!“ entgegen. Wie ein verletztes Tier, dass sich gegen einen letzten Angriff vor dem Tod wehrt. Das Publikum zuckt zusammen. Es kann noch nicht zu Ende sein. Wie diese kühle, fast zerbrechliche Isabelle Huppert mit ihren 71 Jahren plötzlich noch so rüde und aggressiv werden kann… Dann wird es ganz schwarz. Doch Ende …

Castelluccis Neuinszenierung verdichtet für Huppert

Romeo Castellucci hat der ursprünglichen Sieben-Personen-Tragödie in einer großen Kooperation mehrerer Spielstätten in einer Neuinszenierung ganz auf Huppert abgezirkelt. Und er hat richtig gesetzt. Nach der Uraufführung am 23. Februar 2024 in Montpellier und einer Aufführung am Théâtre de la Ville in Paris wird das Stück nach der Ruhrtriennale noch über weitere europäischen Bühnen wandern.

Splitternackt ohne Priestergewand

Castellucci reduziert das fünfaktige klassische Drama auf den zweiten Teil, in dem die politischen Konfrontationen abgeschlossen und es nur noch um Bérénices geht. Auch die letzte Konfrontation mit Titus passiert bei Castellucci nur indirekt, indem Bérénice darauf reagiert. Titus und Antiochus treten in einem Intermezzo stumm auf. Zwei Models, Cheik Kébé und Giovanni Manzo, an Körperstatur fast identisch, der eine dunkel, der andere hell, führen archaisch- rätselhaften Rituale auf und zeigen dabei viel schönen Oberkörper. Was diese Rätselchoreografie mit Bérénice zu tun hat, bleibt offen. Römische Senatoren wuseln als stumme Statisten auch fast unsichtbar hinter den Volans, die die Bühne zu einem halbdunklen Karree eingegrenzen. In dem Model-Intermezzo bekommen sie auch Bühne und ergänzen splitternackt ohne Togaüberwurf, eher ein christliches Priestergewand, mit Körperbildern und tanzen. So kommt Castelluccis Antike als Surround ins Bild!

Isabelle Huppert als Bérénice
Isabelle Huppert (Bérénice). Foto: Alex Majoli
Huppert intoniert Racines klassisches Französisch

Der Theaterabend ist ein einziger großer Monolog für Isabelle Huppert, die immer fern entrückt auf Distanz bleibt. Ein Gaze-Vorhang vorne läßt Bérénice wie in einem fernen Nebel erscheinen. Theaternebel wabert zusätzlich auf der Bühne. Racines klassisches Französisch intoniert sie zunächst zwar zurückhaltend, fast monoton. Begleitet wird sie allerdings fast permanent von  Scott Gibbons Sounds zwischen sphärisch klingend, Rauschen und brachialem Geräusch. Singende Stimmen erklingen in Madrigalfragmenten in einem Intermezzo. Zu Anfang gibt es heftige rhythmische Impulse. Gong-Schläge, die die von Racine scheinbar im Takt kongruent konstrurierten Sätze, einhämmern, die Huppert absolut rhythmisch zu den Schlägen vorträgt. Nach dem Gong, übrigens in Hundeform auf der Bühne, absurde Requisiten liebt Castellucci ja, gibt es elektronische Schlagakzente aus dem Off zu wippenden Goldstäben.

Die Tragödie als „Drama im Kopf“

Die Umwandlung des Dramas in einen Monolog enthebt die Handlung jeglichen Zeitbezugs. Das Drama spielt sich „in Bérénices Kopf oder in einer Person, die glaubt, Bérénice zu sein“ ab, so Castelluci in einem Gespräch mit Mélanie Drouère im Programmheft. Es könnten auch die Erinnerung einer gealterten Bérénice sein, die sie wieder durchlebt.

Große Frauen füllen Bühne mit Drama
Isabelle Huppert als Bérénice
Isabelle Huppert (Bérénice). Foto: Jean Michel Blasco

Bérénices inneres Drama steigert sich kontinuierlich. Doch bleibt sie auf Distanz. Adlig, edel. Die zunächst karg rituellen Gesten stellen wie im Barock der Racine-Zeit Gefühle und Affekte eher dar. Die Sprache wirkt umso mehr. Und sprachlich differenziert lässt Racines Bérénice nachdenken, über das, was war, ist, sein und nicht sein kann. Da wirken die einige Requisiten als sonderlicher Kontrast. Der altmodische Rippenheizkörper, den Huppert hinter sich her hereinzieht, um sich davor zu knien und zu beten. Die Waschmaschine, aus der sie eine Stoffbahn zieht, die einen Blutflecken hat… Aber man muss bei Castellucci nicht alles verstehen umd seinem Theaterbann zu erliegen. So ist das mit Mysterien eben…

One-Woman Shows und Koproduktionen

Nach Sandra Hüllers One-Woman-Show I want Absolute Beauty, eine Neuproduktion dieser Ruhrtriennale, ist das die zweite erfolgreiche One-Woman-Show, in Koproduktion. Ruhrtriennalen-Intendant Ivo van Hove hat mit den beiden Frauen-Shows richtig gelegen. Alle Aufführungen waren ausverkauft. Dass Frauendarstellerinnen in gewaltigen Monologen die Bühne beherrschen scheint seit längerem angesagt. Lina Beckmann hat als Richard III frei nach Shakespeare vor zwei Jahren sogar einen Theaterpreis gewonnen, und Sandra Hüller hat schon Hamlet gegeben. Allerdings bemerkt man auch die Zunahme der Koproduktionen. Aber Philipp Venables Musiktheater The faggots and their frinds ebenso wie Bérénice mit Huppert hätten wir nicht missen wollen.

Letzte Vorstellung am 29. August 20 Uhr

 

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