Familienoper‘ und ‚Kooperation‘ sind neue Zauberwörter in NRW! Drei Opern-Intendanten werfen ihre Erfahrung zusammen, um zukünftig Aufführungen gemeinsam zu stemmen. Am vergangenen Freitag war Premiere, nein: die Welturaufführung der ersten gemeinsamen Kooperation. Felix Marius Langes Familienoper „Das Mädchen, das nicht schlafen wollte!“ auf ein Libretto des Düsseldorfer Kinderbuchautors Martin Baltscheit war nämlich der erste gemeinsame Kompositionsauftrag. (Von Sabine Weber)
(Duisburg, 14.02.2014) Und wenn man den Lärmpegel des Schlussapplauses als Massstab nimmt, dann hat die „Junge Opern Rhein-Ruhr“-Kooperation mit ihrer ersten Produktion einen Coup gelandet! Johlen, Schreien, begeisterter Jubel. Ein paar Buhrufe bekommt der schwarze Totengräber, wohl, weil er ernst, unheimlich, vor allem mit seiner tiefen Bassstimme nicht ganz geheuer war. Ausnahmslos Schulklassen füllen den Zuschauerraum. Wer könnte sonst um 11.00 Uhr eine Premiere besuchen? Jan ist mit seiner Schulklasse aus Kalkar sogar im Bus angereist. „Ob der schlafende Mann vorne rechts auf der Bühne – ein Schützenbruder – betrunken sei“, will er von den paar Erwachsenen hinter ihm wissen. Wir wissen es natürlich nicht. „Ob viel gesungen wird?“, diese Befürchtung bestätigen wir allerdings. 10 Jahre ist er alt. Es ist sein erster Opernbesuch. Das offene Bühnenbild gefällt ihm, sagt er. Seine drei Freunde nicken auch. Der mit Moos bewachsene Felsen links im Vordergrund ist der geheime Treffpunkt von Lena und Leander, der beiden Hauptfiguren im Stück. Die dörflichen Fachwerkhäuser, die Tiefen-perspektivisch den Hintergrund füllen, ihre Heimat. Warum plötzlich geklatscht wird, müssen wir allerdings auch noch erklären. Dann entdecken die Jungs den Dirigenten im Graben (Lukas Beikircher), der sich mit wedelnden, in die Luft geworfenen Armen seinem jungen Publikum auch bemerkbar macht. Ja, diese Premiere ist Weltpremiere, aber vor allem eine Lektion in Sachen „Mein erster Opernbesuch“! 30.000 Besucher hätten die vorangegangenen, von der Düsseldorf-Duisburger Oper (Oper am Rhein) allein gestemmten Kinderopern besucht (u.a. Der gestiefelte Kater vom katalanischen Komponisten Xavier Montsalvatge und Ernst Tochs Prinzessin auf der Erbse). Familienopern sind eine Marktlücke! Und viel Hänsel und Gretel Repertoire, das für Erwachsene und Kinder spannend ist, gibt es auch nicht. Die Chefs von vier Opernhäusern, Christoph Meyer, seit 2009 GMD in Düsseldorf-Duisburg, Jens-Daniel Herzog, seit 2011 Intendant in Dortmund und der GMD Bernhard Helmich, seit 2013 verantwortlich fürs Bonner Opernhaus, wollen fortan auch für neues Hänsel und Gretel Repertoir sorgen und jedes Jahr eine Produktion wie diese stemmen. Durch die vier Häuser soll sie dann wandern. Die mit der Produktion vertrauten Spielleiter sollen mitreisen. Man hilft sich untereinander, damit auch Kinderoper auf gleichem Niveau zu herkömmlichen Opern gearbeitet werden kann. Nicht im Kinderschonraum, sondern auf der großen Bühne mit sorgfältig ausgewählten Regisseuren (der aktuelle Regisseur Johannes Schmid ist mehrfach ausgezeichneter Filmregisseur und gerade für den Grimme-Preis 2014 nominiert worden), mit erfahrenen Bühnen- und Kostümbildner und den Sängern der Ensembles und Orchestern vor Ort. Da die Bühnenräume der vier Opernhäuser gleich dimensioniert sind, können die Kulissen per Lastwagen verschickt und 1:1 wieder aufgebaut werden. Das erspart erhebliche Kosten, mit denen zum Beispiel die Eintrittspreise niedrig gehalten werden können (10€ für Kinder – für Schulklassen gibt es extra Rabatte). Die märchenhaft liebevolle Ausstattung von Tajana Ivschina wird im Juni nach Düsseldorf und in der nächsten Spielzeit nach Dortmund und Bonn weitergereicht. Seit 2009 sorgt die Usbekin schon für zauberhafte Szenarien. „Im Mädchen, das nicht schlafen wollte“ verwandelt sich die Bühne einmal in ein Unterwasserszenario mit gefährlichem Riesenfisch, der die kleinen Fische vertreibt. Oder der Felsen wird zu einem treibenden Boot, das zu einer überkandidelten Koloraturen-trällernden Märchenfee im Riesenblumenkleid führt. Alle möglichen Opernklischees versteht der Komponist Marius Felix Lange witzig und sympathisch einzubringen. Eine Schützenkapelle zieht immer wieder zum passend unpassenden Moment mit polternder Marschmusik über die Bühne. Eine Ärztehorde macht sich im gelehrten Fugen-Stil lächerlich. Tiefes Blech umgibt den Riesenfisch aber auch den Totengräber mit einer Drohkulisse. Groß orchestriertes wechselt mit feinen kammermusikalischen Tönen und auch zahlreichen Instrumentensoli ab. Das erinnert fast ein wenig an Brittens Young Person’s guide to the orchestra… Ein bisschen Pädagogik ist auch erwünscht. Wunderbar das träumerische Nachtduett, das Lena und Leander (Alma Sadé und Dmitri Vargin) am Fluss singen. Genial fährt der Mann im Mond (Florian Simson) auf einer Schaukel aus dem Himmel und steuert als völlig schräger Pop-Showmaster Typ im Rudi Carell Format ein paar Strophen von „Der Mond ist aufgegangen!“ bei. Seine Erkennungs-Melodie wird herrlich umklimpert, auch mit ein paar schrägen Akkorden verballhornt und immer wieder streut er Kommentaren zum Geschehen ein. Sehr gelungen ist die Kombination von stilisierter „Opern-Spreche“ und ganz natürliche Sprechhaltung, für die der Kinderbuchautor und Librettist Martin Baltscheit verantwortlich zeichnet. Dass der Lärmpegel auch während der anderthalb Stunden dauernden Aufführung nie ganz abreißt, weil hinter uns eine Handvoll unruhiger Kinder durch quasselt, muss man wohl hinnehmen. An fehlender Dramatik im Stück und hervorragender Spielleistung auf der Bühne hat es sicherlich nicht gelegen. Als Lena und Leander sich endlich küssen und die Musik Filmmusik-mäßig auf Großartigkeit pocht, merkt auch die Quassel-Ecke hinter uns, dass das Finale angesteuert ist. Der Mann im Mond auf der Riesenschaukel streut Glitzer über den Kuss. Das Parkett tobt und schreit. Auch diese Generation hat das romantische Hollywood-Gen in sich, das durch solche Opern offensichtlich mächtig erregt wird. Was die Kinder von dieser Geschichte mit nach Hause nehmen, die um Schlaf-Tod, beziehungsweise Nicht-schlafen-wollen weil Nicht-sterben-wollen kreist, könnte man sich am Ende ernsthaft fragen. Aber auch im normalen Leben werden solche existentiellen Fragen durch ein leckeres Stück Kuchen schon einmal nebensächlich. Auch wenn es nicht vom Mann im Mond gereicht wird, sondern aus der nächsten Bäckerei kommt. Und die nächste Familienoper ist auch schon in der Backröhre: der in Hamburg lehrende Komponist Jörn Arnecke hat den Auftrag eine Oper über Astrid Lindgrens Ronja Räubertochter zu vertonen.
Weitere Aufführungen in Duisburg: 21.Februar 11.30 Uhr, 25. Februar 11.00 Uhr und 31. März 18.00 Uhr.http://www.duisburg.de/theater/repertoire/1314/Oper/Vom_Maedchen_das_nicht_schlafen_wollte.php
Am 25. Juni ist dann die Düsseldorfer-Premiere.