Marais-Caldara-Bononcini! Da liegen drei CDs auf meinem Schreibtisch, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gambistin Noémie Lenhof entdeckt Marin Marais. Und erweckt Werke, die nicht in dessen fünf Büchern, sondern in einem Manuskript zu finden sind, das in der National Library of Scotland, in Edinburgh aufbewahrt wird. Das Ensemble Intende Voci und das Orchestra Da Camera Canova stellen unter Mirko Guadagnini ein Gloria von Antonio Caldara in Weltveröffentlichung vor. Und Counter Alois Mühlbacher – ebenfalls in Weltersteinspielung – Alt-Kantaten mit Violin-Begleitung von Antonio Bononcini. (Von Sabine Weber)
Ob die von Noémie Lenhof ausgewählten Werke aus dem Panmure-Manuskript hier erstmals aufgenommen sind? Die französische Gambistin behauptet das im Booklet jedenfalls nicht. Mir ist aber noch keine Einspielung der 45 Piècen unter gekommen, die angeblich zwei Geige-spielende Brüder, James et Harie Maule, in Paris erstanden und in ihre schottische Heimat exportiert haben sollen. Weil es keine schlechten Marais-Stücke gibt, sind auch die von Lenhof ausgewählten Stücke, zu einer Suite in d-moll gebündelt, eine Hörentdeckung. Sie sind auch exzellent gespielt. Mit der nötigen Akuratesse und Verspieltheit, sowohl im pianissimo wie forte immer klangschön und nie forciert. Ihre von Judith Kraft in Paris gebaute Basse de viole klingt auch fantastisch! Die Enflés sind genau gesetzt. Bogenansprache auch bei Doppelgriffen gelingen. Ihre Artikulation und Abphrasierung sind vorbildlich. Die Couplets de folies scheinen eine Erstfassung zu sein, die Marais für sein zweites Buch 1701 revidiert hat. Denn darin enthalten sind Couplets, die nur im Panmure Ms überliefert sind. Ergänzend erklingt noch Marais‘ Tombeau, ebenfalls 2. Buch, das vielleicht etwas zu exaltiert klingt, wozu das Tombeau aber auch verleitet. Sehr heftige Flattements, aber stets noch im „Bon goût“! Das Continuo Ensemble schmiegt sich immer geschmackvoll an die Solistin an und stützt. Das ist eine lobenswerte Einspielung eines neuen Gambenstars, die übrigens auf dem Klavier ihre musikalische Karriere begonnen hat…
Caldaras in Wien
Von Antonio Caldara sind Kantaten, Oratorien, Opern und für Wien auch Sepolcri, Heiliggrab-Feier-Musik überliefert, die mit Theaterdekoration aufgeführt wurden. Hierzu wurde in den gotischen Gewölben der Allerheiligen-Kapelle der Alten Hofburg das Heilige Grab nachgebildet. Und die Sänger verkörperten die Gestalten der Kreuzigungsszene. Wo Caldara 1726 geboren ist, weiß man übrigens nicht. Man vermutet in Venedig, weil er in Quellen zu seiner ersten Oper ein „Veneziano“ genannt wird. In Mantua und in Rom hat er gearbeitet, bevor er 1717 am Wiener Hof von Karl VI als Komponisten-Star regelrecht hofiert wird.
Caldara in Mantua
Noch davor, zwischen 1699 und 1707, war er für den Gonzagafürsten in Mantua aktiv und hat sieben geistliche Werke komponiert, darunter dieses Gloria, dessen Autograph in einer venezianischen Bibliothek jüngst aufgetaucht und auf der Titelseite mit 1707 datiert ist. Erstmals jetzt aufgenommen von dem Barockensemble Intende Voci unter dem Gründungsleiter Mirko Guadagnini. Die Instrumentierung der Mess-Sätze, etwas unüblich angeordnet, die Rom-widrigen Gonzagafürsten hatten ihre eigene Liturgie, ist mit jeweils zwei Oboen – nur Violas – Violoncelli und natürlich zwei Trompeten für die Festlichkeit besetzt und immer anders wie auch die zum Teil doppelchörigen Chorsätze verwendet. Gloriose Instrumenteneinleitung – die Orgel klingt etwas penetrant – und nach dem Chortutti sofort Aufspaltungen in Stimmgruppen. Im Terra Pax nur die Männer, im Laudamus Te herzzerreißende Oboen-, Celli-, Violasoli im 6/8-Takt, und nur Frauen, wie auch am Anfang des Glorificamus Te. Die Vielfalt in den relativ kurzen Sätzen ist erstaunlich. Reine A-Capella-Sätze im alten Chorstil gibt es, wie das erste Domino Deus, immer wieder auch Corellische Concerto-grossi-Momente oder theatralen Opernstil in Einleitungen, auch ein Sopran- und Altussolo. Sehr schlank und schön Cristina Fanelli, Counter Leo Zappitelli mit etwas viel Vibrato, und Bassist Alessandro Ravasio ist bei einem virtuosen Solisten-Trio im Gratias Agimus Dei mit „Walking Base“ im Continuo eingebunden. Die italienische Singweise, den teilweise etwas kehligem Sound im Chor, der keine Angst vor Vibrato hat, sind wir puren „Barockisten“ gar nicht mehr gewöhnt. Es klingt zwar etwas urwüchsig aber dadurch inbrünstig, sodass man meint, vor dem Chor zu stehen. Eine wunderbare Entdeckung, die auf der CD ergänzt wird mit der Lauda per la Natività von Ottorino Respighi . 1930 im „Alten Stil“ komponiert ist das Respighis Versuch, eine mystische Klangsprache mit gregorianischem, psalmodierendem Gesang und einer archaischen Stilistik zu finden. Für die Geburt Christi gibt es Chorpassagen und solistische Partien mit Maria, Engeln und natürlich Hirten – die Oboen als Nachfolger der Schalmeien sind die Hirteninstrumente. Bekannt für seine Römische Trilogie, gilt Respighi noch heute als großartiger Orchestrator, liebte aber den antikisierenden Stil und anverwandelte Lautenlieder, überhaupt Renaissance- und Frühbarockes Repertoire. Diese geistliche Musik ist Respighis einzige geblieben und vielleicht auch nicht sein bestes Werk. Aber ein moderner Spiegel zurück in die Vergangenheit.
Antonio Bononcini
Antonio Bononcini entstammt einer Musikerfamilie. Und auch seine beiden Brüder hatten als Komponisten und Musiker Bekanntheitsgrad schon zu Lebzeiten. Gunnar Letzbour hat mit seinem Ensemble Ars Antiqua Austria schon einmal Solo-Kantaten von Antonio Bononcini aufgenommen. Eine Sensations-Antonio-Bononcini-CD mit dem moldawischen Sopranisten Radu Marian, der als endokrinologischer Kastrat gilt, weil er nie durch hormonelle Umstände in den Stimmbruch kam. Leider hört man schon länger nichts mehr von ihm. Es wäre also schön gewesen, ein paar mehr Infos als den kursorischen Beitrag von Gunnar Letzbor im Booklet zu bekommen.
Alois Mühlbacher, früher Knabensopran in der oberösterreichischen Bruckner-Abtei St. Florian, inzwischen Countertenor, präsentiert drei bisher noch nicht eingespielte Solokantaten, die am Wiener Hof unter Joseph I. die arkadische „Liebe zu einer fernen Seele“ pflegen sollten. Sie sind in einem eleganten Hofstil, einem Akademie-Stil ohne Mätzchen geschrieben, dem Allüre, gar Ausbrüche fern sind. Wie geschaffen für das lyrische Timbre Mühlbachers, das eine nicht zu große Lautstärkenamplitude hat, aber rund tonschön geführt wunderbar zu diesem Akademiestil passt. Es wird gepflegt und im Duktus „Akademie“ schön musiziert. Nur leider klingt die Cembalobegleitung bei den Rezitativen einfallslos simpel aufs Nötigste reduziert. Auch die Geigen hätten ein bisschen mehr Farbe dazu geben können.