„Ewig leben, doch erst sterben!“ klingt im christlichen Sinne banal. In der Deutschen Erstaufführung von Michel van der Aas „Upload“ geht es um einen etwas anderen Sterbeprozess. Ein Mensch wird vorher „gescannt“, dessen typische Bewegungen, Emotionen, Vorlieben und was messbar, erfassbar ist, hoch geladen für eine digitale Ewigkeit, die präsent bleibt (Mind-Uploading). Dann mischt sich das Cyberbild dieses Masterminds in eine menschliche Begegnung. Cybervater trifft auf reale Tochter. (Von Sabine Weber)
(19. April 2022 in der Oper Köln im Staatenhaus, zweite Aufführung) Im dritten Saal des Staatenhauses ist alles Dunkel-Schwarz. Eine weibliche Stimme hebt an. Monoton auf einem Ton geht es um physiologische Wahrnehmungsmomente: das Kitzeln auf der Haut etwa, das Handauflegen auf eine Schulter, ein Blick, eine Handgeste, alles fühlbare Aufzählungen, zu denen dann auch die Männerstimme beisteuert. Links bekommt ein realer farbiger Menschenumriss Licht, rechts steht der Cyperschatten – erst nur grau, dann als Pixelbild, das bei Bewegungen wie eine Sternschnuppe Fäden ziehen kann. Das Orchester bringt unisono eine Tonlinie hinzu, die in Sekundabständen reibt, wieder verschmilzt und wie eine leise Chorstimme klingt. Die physiologischen Wahrnehmungen sind eine Erinnerung oder eine Vergegenwärtigung von dem, was den Menschen doch auch ausmacht oder dem Cyberborg entzogen ist. Darf er ohne Wahrnehmung sich überhaupt Mensch nennen? Hinten öffnet sich das Bild einer 3D-Küche, wobei die räumliche Ansicht wie bei Immobilienhändlerbildern auf ihren Netzseiten durch den Raum wandert und Teile hervorhebt, als würde man sie besuchen. Dieselbe Küche ist an der Seite nochmals eingeblendet. Insgesamt vier Bildschirmwände, vorne zwei verschiebbar wie Wandtrennungen, füllen sich immer wieder mit Innenansichten, später auch der Silhouette von New York oder dem Innenraum einer hippen Atelierwohnung.
Das ist überaus kunstvoll gefilmt und als bewegliches Bühnenbild gesetzt und geht mit der Musik zusammen, die auch von elektronischen Impulsen lebt. Die Musiker der Musikfabrik NRW unter Otto Tausk sind als schwarze Schatten rechts zu erkennen. Sie sorgen für zumeist pulsierende reale Klänge und durch Trommelrhythmen akzentuierte Klangflächen, die mit Blechmotiven wie in einem Hollywoodfilm auch mit großem Pathos spielen. Sanfte zurückhaltende Momente gibt es aber auch, sogar ein Violoncellosolo.
Im ersten Dialog beschwert sich die Tochter, nichts von dem Vorhaben des Vaters geahnt zu haben und ihn jetzt als digitales Neuwesen verkraften zu müssen, ohne gefragt worden zu sein. Warum er das getan habe und ob es für die Beziehung gut sei, darüber wird sich in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln auseinandergesetzt. Der Vater: „Schon immer will der Mensch dem Tod doch ein Schnippchen schlagen, so sei es doch möglich.“ Die Tochter „aber was bist Du denn jetzt, ich kann dir noch nicht einmal die Hand reichen. Warum hast Du das nicht mit mir besprochen?“ Es wird filmisch ein architektonisch elegantes Gebäude in einem Wald eingeblendet, zu dem eine Gruppe von Menschen pilgert. Ein CEO, Typ Hugh Grant, erklärt den Klienten, was sie erwartet. Eine Forscherin erklärt im Detail die Scannprozedur. Beeindruckende Maschinenröhren mit Arztstuhl für den Klienten sind zu sehen. Ein bisschen Frankenstein-Labor muss sein. Dann wieder die Tochter, Julia Bullock, und der Vater, Roderick Williams, im Disput. Schnell wird deutlich, dass es dem Vater nur darum ging, als digitale Neukreation seine Ängste und sein Einsamkeitsproblem zu bewältigen. Die digitale Hoffnung hält aber leider nicht, was sie verspricht. Und irgendwann fordert er die Tochter auf, sein Upload zu löschen. „Was Du in diesem Leben nicht gewagt hast, wagst Du in meinem, Dich frei zu machen!“ Sie ist es, die instrumentalisiert wird. Nichts ist besser geworden. Kirchenchoralähnliche Orgelmusik im Fender Rhodes-Klang führt ins Finale in einen „Ozean der Worte mit Trümmern des Herzens, die pochen“. Die Musiker treten ab, nur noch Elektronik wabert in einer gewaltigen Klangcontinuum durch den Raum. Ein Baldachin hat sich von oben über den Zuschauerraum geworfen, auf dem Vater und Tochter auf Kissen liegen und warten. Kopf an Kopf und doch so weit von einander entfernt.
Ob das Weiterleben als Datenstrom ein Deal sein kann, ist fraglich und auch noch nicht wirklich real. Da kann soviel über KI gefaselt werden wie man will. Aber die Idee hinter dieser gelungenen Sci-Fi-Oper ist es, die Möglichkeit im menschlichen Diskurs durchzuexerzieren. Und das gelingt Michel van der Aa, dazu mit modernen Sci-Fi-Illuminationen, Bildern und Filmausschnitten bis hin zur Musik. Alles greift perfekt ineinander. Das Libretto ist gut verfolgbar, und der Bogen spannt sich bis zum Finale, wobei das Ende – zu einem Elektro-Blues – irgendwie auf sich warten lässt. Geschieht, was sich der Cyber wünscht? Was passierte, wenn die Tochter ihn löscht? Käme der Cyber wie die Gestalt aus Stanisław Lems Solaris-Ozean einfach wieder? Wäre das Tilten gar ein Mord und machte die Tochter schuldig? Die letzten farbigen Bilder sind naturverhaftet, ein Salamander taucht wie ein Symbol immer wieder auf und wird zwischendurch zum Rasterbild. Alles ist unnatürlich koloriert. Und frau denkt an die grandiose Sterbeszene aus dem Film Soylent Green, in der sich ein Mensch zu digitalen Naturimpressionen in einer vollkommen zerstörten Umwelt einschläfern lässt.
Nach 90 Minuten ist das Drama ohne finales Drama zuende und wirkt nach. 16 Beteiligten, zwei Solisten – wobei Roderick Williams über weite Strecken in einem Motion-Capture-Raum gefilmt wurde, um dann auf der Leinwand als Cyber zu erscheinen – inklusive der Bildtechniker, allen gelingt der Versuch, uns in eine digitale Neuwelt des anders Menschsein-Wollens zu entführen. Eine glückliche Vision ist das nicht. Am Ende geht es doch wieder um die urmenschlichen Notwendigkeiten und Bedürfnisse, die Trauma-bewältigung erlittener Schmerzen und unsere Geborgenheitssehnsucht. Da helfen Bits nicht wirklich weiter…