Warten auf heute! Mit Schönberg und Frank Martin

Arnold Schönbergs „Von heute auf morgen“ wird selten gespielt. Die streng zwölftönige Musik des einstündigen Einakters von 1929 ist für alle Beteiligten anspruchsvoll und kann extrem herb klingen. Wenn man nicht jedes Wort versteht, verpufft außerdem der Witz des Librettos, das Schönbergs Frau Gertrud unter dem Pseudonym Max Blonda verfasst hat. In Frankfurt wird ein Ehekrisenkaleidoskop angestoßen und mit immer neuen Perspektiven aus dem Monodram „Erwartung“ – ebenfalls von Schönberg – und den „Jedermann“-Monologen von Frank Martin weitergesponnen. „Warten auf heute“ – steht über dem Abend. (Von Klaus Kalchschmid)

(Februar 2022, Oper Frankfurt) „Frau“ und „Mann“ kehren von einer Party in ihr zweistöckiges Einfamilienhaus zurück, das irgendwo in den USA stehen könnte und zu der abgründigen Idylle in einem David-Lynch-Film passen könnte. Das Ganze gleitet auch ab ins Surreale. „Er“ ist berauscht von der erotischen Ausstrahlung ihrer Freundin, „sie“ schwärmt im Verlauf des nächtlichen Gesprächs von einem berühmten Tenor, dem Partner der Freundin. Dann geht sie in die Offensive, indem sie sich verführerisch kleidet, was den Ehemann ganz wuschig macht. Die beiden versichern sich erneut ihrer Liebe, just kurz bevor das Paar Tenor/Freundin sich – wie telefonisch angekündigt – einfindet und mehr oder minder zum Partnertausch auffordert.
In diesem Moment kippt das Geschehen in der Inszenierung von David Herrmann. Denn die beiden neuen Partner sind Zombies und bedrohen als Untote das Paar, das sich im Haus verschanzt hat. Die Frau sinniert darüber, dass sich die Mode „von heute auf morgen“ ändert. Der Mann antwortet mit den Worten, die Schönberg dem Kind des Paars zugedacht hat: „Was sind das, moderne Menschen?“

Sebastian Geyer (Der Mann), Simeon Pauly (Das Kind) und Elizabeth Sutphen (Die Frau). Foto: Barbar Aumüller

Damit endet die Geschichte in Frankfurt freilich nicht. Schönbergs neunminütige Begleitmusik zu einer Lichtspielszene wird gespielt, dazu auf der Bühne zu sehen: Alltagsszenen des Paares. Zukunftsprojektionen? Der Mann geht morgens mit Sohn und Aktentasche zur Arbeit; zurück kommt er allein, der Sohn mit der Mutter vom Einkauf; Streit hinter dem Fenster und Trennung folgen. Schließlich sehen wir den ergrauten Mann. Nach der Pause.

Johannes Martin Kränzle (Jedermann). Foto: Barbara Aumüller

Mit den sechs JedermannMonologen nach Hugo von Hofmannsthal von Frank Martin geht es weiter. Als alter Zausel mit wirren Haaren und altmodischem Pulli bekommt Johannes Martin Kränzle im Styropor-Karton das Essen geliefert. Er hadert mit seinem Leben. Dann macht sich Camilla Nylund in Schönbergs frühem, atonal expressionistischem Monodram Erwartung auf die Suche nach ihrem verschollenen Geliebten, den sie schließlich tot findet. Ende einer Liebe. Doch so großartig Kränzle im zweiten Teil den einst stolzen Mann verkörpert, der im Angesicht des Todes mit seinen Dämonen ringt; so faszinierend klar und leuchtend Nylund singt und agiert: die aufregende Essenz des Abends findet vor der Pause statt.

Von heute auf morgen erweist sich in der Frankfurter Produktion als genial-verrückt abgründige musikalische Komödie. Wunderbar witzig, wie „Mann“ (sehr intensiv und voller virilem Elan: Sebastian Geyer) und „Frau“ (immer selbstbewusst aufreizend mit agilem, höhensicherem Sopran: Elizabeth Sutphen) voreinander davonlaufen oder sich annähern und dabei in ihrem Häuschen herumturnen. Das ist mal von außen, mal von innen zu sehen, und seine drei Teile verbinden sich auf der Drehbühne virtuos zu immer neuen Konstellationen. Während die Frau anfangs im kurzen roten Rock auftritt, trägt sie später zur Verführung des Ehemanns immer verrücktere rot-weiße Kreationen, die aussehen wie eine Mischung aus fleischfressender Blume und riesiger Schleife. Er dagegen ist irgendwann nur noch in weißen Boxershorts und ausgeleiertem Träger-Unterhemd zu erleben.

Wie die beiden den Ehezwist singen und spielen, das hat Slapstick-Qualitäten à la Buster Keaton. Dessen halbstündiger Film One week von 1920, in dem sich ein Fertighaus auf verrückte Weise selbständig macht und seine Bewohner in den Flitterwochen in den Wahnsinn treibt, spukt dem Zuschauer im Hinterkopf, wie wohl auch dem Regie-Team. Wenn im zweiten Teil Camilla Nylund durch den „Wald“ streift, symbolisiert diesen das beständig in Bewegung befindliche Haus – gruselig!

Unter Leitung von Alexander Soddy am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters bekommt die strenge Zwölftönigkeit vor allem bei Von heute auf morgen mit ihren Alllusionen an Tanzmusik der 1920er Jahre wie Foxtrott, Twostepp oder Walzer, aber auch der Wechsel von Ariosem und Rezitativ eine wunderbar geschmeidige, auch in der Wahl der Tempi lebendig aufgekratzte Sinnlichkeit. Soddy spürt aber auch der freien Atonalität und der Expressivität in Erwartung seismographisch genau nach und verhilft der Orchesterfassung der Jedermann-Monologe zu großer Wirkung.

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