Verdis „Luisa Miller“ in Köln – Die Menschen sind das Drama!

(Titelbild: Rodrigo Porras Garulo, Rudolfo, Mané Galoyan, Luisa. Foto: Thomas Auri) Das genaue Gegenteil von „Nixon in China“ in Dortmund! Die aktuelle Kölner „Luisa Miller“. In einem puristischen Setting, weiße Wände in Flucht zu einer Tür hinten, ein Tisch zwei Stühle, sind allein die Menschen das Drama! Die Glyndebourne-Inszenierung (2021) von Bühnenbildner Johannes Leiacker, Regisseur Christof Loy und Ko-Regisseur Georg Zlabinger (siehe klassikfavori-Interview) scheint noch einmal geschärft. Wie kongenial Giuseppe Verdi und sein Librettist Salvatore Cammarano den zwischenmenschliche Zündstoff in Schillers „Kabale und Liebe“ für die Opernbühne aufbereitet haben, dicht und Katastrophen-fixiert, ist in jedem Moment trotz oder gerade wegen der Strenge der Szenerie unmittelbar zu erleben. Wie das Ensemble spielerisch und sängerisch hochkarätig agiert, vom Gürzenich-Orchester energetisch unter Roberto Rizzi Brignoli begleitet, ist höchstes Nivau. Die Premiere wird zu Recht euphorisch gefeiert! (Von Sabine Weber)

Chor der Oper Köln, Ólafur Sigurdarson (Miller), Rodrigo Porras Garulo (Rudolfo). Foto: Thomas Aurin

(4. März 2023, Oper Köln im Staatenhaus, Saal 2) Liebe zwischen zwei jungen Menschen, die widerlich vereitelt wird. Väter, die eigensüchtig ihre Macht über ihre Kinder instrumentalisieren. Dazu ein schmieriger und feiger Intrigant. Das sind die Motoren der Handlung, die ein tragisches Ende findet. Wenn Liebe zum Ausdruck kommt, sowohl chorisch beschworen als auch in den Liebeserklärungen von Luisa oder Rudolfo in Erzählungen und Erinnerungen, erzeugt das umso dramatischere Fallhöhe. Das funktioniert in Köln glänzend, denn die Sänger*innen sind sowohl spielerisch als auch stimmlich in ihren Rollen absolut glaubwürdig.

Verdi hat an den wichtigen Stellen vorsorglich den Klang zurückgenommen
Mané Galoyan (Luisa). Foto: Thomas Aurin

Keiner zu dick oder zu alt. Mané Galoyan, schon in Glyndebourne die Luisa, ist mit ihren dunkellangen Haaren begehrenswert jungendlich schön. Und wagt es, mit ihrer warmen, in allen Registern ausgeglichenen und bis in höchste Höhen fein timbrierten Stimme sogar pianissimo inniglich zu werden. Da wirft man schon einmal den Blick nach links, wo das Gürzenich-Orchester sozusagen neben dem Parkett sitzt und permanent Gefahr läuft, zu laut zu sein. Verdi hat an den wichtigen Stellen vorsorglich den Klang zurückgenommen und lässt sogar solistisch (Klarinette und Harfe im Finale) aufspielen, was von links fantastisch kommt!

Alle Sänger sind im Bild

Krzysztof Bączyk, ebenfalls schon in Glyndbourne dabei, ist als Intrigant Wurm optisch sofort als schmieriger und feiger Typ fassbar. Schon in der Ouvertüre, wo sämtliche Beteiligte nacheinander durch die Fluchtpunkt-Tür in den weißen Raum eintreten und sich zur Wand verhalten, meist den Kopf verzweifelt dagegen gelehnt. Alle Männer sind schwarz, bis auf Wurm in „schlabberwollgrau“. Die Briefszene, in der er Luisa erpresst, ist wie immer ein Höhepunkt im Ganzen, auch einer in Luisas Partie.
Rodrigo Porras Garulo als Rudolfo ist die jugendlich-männliche Partie, die Luisa begehren muss. Er spielt nicht nur den liebenswert-draufgängerischen Werber. Er stemmt seine tenorale Stahlkraft später gegen den Vater und auch gegen Wurm, zügelt und verinnerlicht sie aber noch einmal in letzten wehmütigen Erinnerungen an die ersten Momente der Liebe, die er von Luisa verraten glaubt. Die Väter Miller, überzeugend Bariton Ólafur Sigurdarson, letztes Jahr ist er in Bayreuth als Alberich eingesprungen, er schreit zu Anfang vielleicht etwas zu viel, und Bassist Dario Russo als Conte di Walter, der stets Contenance suchende, etwas steife Graf, sind ebenso optisch wie stimmlich im Bild. Und die Regie bewegt alle im Raum. Der Raum bebt quasi oder erstarrt, ohne das je eine Bewegung ins Leere läuft. Die Wände zum Fluchtpunkt sind von Anfang an zum Verzweifeln. Luisa liegt im ersten Akt unter ihren Geburtstagsblumen wie in einem Grab bedeckt. Überhaupt ist das zu Boden-gehen immer wieder auch ein Sinnbildmoment oder das Moment, das Ahnungen nährt. Dazu die Spannungslinien, beispielsweise die Gräfin Federica (Adriana Bastidas-Gamboa), als einzige mit Farbe in seidigem rosa-pink (Kostüme: Ursula Renenbrink), in einem Erker rechts, Rudolfo links,  den sie standesgemäß ja ehelichen will, und Luisa in der Tür hinten. Beide hören an, wie Rudolfo seine wahre Liebe bekennt und die Geliebte zugleich eine Verräterin schimpft. Details einer gelungenen Personenregiekunst. Und im letzten Akt ist der Erker schwarz, finale Finsternis ist in Reichweite.

Wie gut, dass Glyndebourne nach Köln gekommen ist!

Von Anfang bis Ende ist jederMoment ein Hochgenuss, und nie fällt man aus der Spannung., Das hat natürlich auch mit Verdis großartiger Musik zu tun. Gastdirigent Roberto Rizzi Brignoli und das Gürzenich-Orchester sind mit Leib und Seele dabei. An der Seite sitzend ist der Dirigent zu beobachten, der unentwegt mit Mimik mitspricht oder singt, sich erhebt und wieder setzt. Der Chor, viel aus dem Off, vor dem Orchester neben der Bühne, nur selten auf der Bühne, liefert wunderbare Gesangskulissen, gibt auch Kommentare, ruft auf oder malt Seelenzustände aus…

War das spannend! Höre ich einige beim Rausgehen murmeln. Wie gut, dass Glyndebourne nach Köln gekommen ist. Diese Luisa Miller sollte keiner verpassen!

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