Schlagwort-Archive: Sabine Weber

Leise beglückende Stimmungen! – Ensemble Trai Tempi spielt Scelsi, Jaecker und Veltman

Was bedeutet es, wenn ein die Öffentlichkeit scheuender zeitgenössischer Komponist, dessen Stil eher sphärisch bis spirituell bezeichnet werden könnte, Trauerriten für mächtige historische und mythische Männer entwirft? Es bleibt wohl auf immer ein Rätsel, warum der in Rom 1988 gestorbene Giacinto Scelsi „I funerali di Carlo Magno” (Karl der Große) komponiert hat. (Von Sabine Weber) Leise beglückende Stimmungen! – Ensemble Trai Tempi spielt Scelsi, Jaecker und Veltman weiterlesen

Biblisches im Mythenstrom. Die Dernière von Widmanns „Babylon“ in Wiesbaden

Die Stimmung im sehr gut besuchten Wiesbadener Theater ist äußerst gut. Auch nach drei Stunden mächtiger Klang- und Bilderfluten. Und einer eigentlich banalen Liebesgeschichte, Mann zwischen zwei Frauen, allerdings im Strudel von Mythen und heidnischer Rituale wie dem Menschenopfer. Das Phänomen von Naturkatastrophen wird aus Sicht der Bibel auch noch thematisiert, die Sintflut unter anderen. (Von Sabine Weber) Biblisches im Mythenstrom. Die Dernière von Widmanns „Babylon“ in Wiesbaden weiterlesen

Dallapiccolas „Ulisse” in Frankfurt. Ein musikalischer Diskurs über die Selbstfindung

Gleich die zweite Aufführung der Oper in einem Prolog und zwei Akten „Ulisse“ (1968) von Luigi Dallapiccola (Inszenierung: Tatjana Gürbaca im kongenialem Bühnenbild von Klaus Grünberg) musste aus Corona-Erkrankungsgründen abgesagt werden! Die Folgeaufführung, wieder eine Woche später, konnte dann Gott sei Dank stattfinden, weil für die Rolle der Kirke und der Nebenrolle der Melantho Annette Schönmüller für die erkrankte Katharina Magiera einsprang. Heißt, mal eben in fünf Tagen Klausur eine neue Partie einstudieren! Schönmüller sang dann die Vorstellung mit Partitur von der Seite, während Regieassistentin Aleena Mokiievets die Szenen spielte. Was für ein Glück, den Beziehungen eines guten Hauses natürlich zu verdanken, das es zu Sängerinnen Kontakte hat und sie für eine solche Anstrengung – denn wer kennt schon so selten gesungene Partien? – gewinnen kann. Die Gesangspartien scheinen noch elaborierter als die in den „Teufeln von Loudun“, der letzten erlebten 68er Oper dieses Monats. In „Ulisse” geht es allerdings weniger um Skandale als um einen einsamen Ausgestoßenen, der auf der Suche nach sich selbst ist. (Von Sabine Weber)

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Der Held steif im Glaskasten – Dortmund zeigt Spontinis Fernand Cortez

Gaspare Spontini war ein erfolgreicher Opernkomponist. Im französischen Empire oder in Berlin werden dessen italienische Opern gefeiert. Er wurde von Kaisern hofiert. Und im Auftrag des französischen Kaisers Napoleon I. schreibt er 1809 auch „Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexico“, um Werbung für einen aktuellen französischen Feldzug zu machen. Dafür wird die Eroberung von Tenochtitlan, der Hauptstadt des Aztekenreiches, zum Thema und Fernand Cortez zur stilisierten Heldenfigur, die für Napoleon stehen soll. Mit wahrer Geschichte hat das nichts zu tun. Und die Oper-Propaganda zündet auch nicht, weswegen Spontini das Werk mehrmals umarbeitet, letztendlich auch wegen des Sturzes Napoleons. Eine dritte Fassung entsteht 1824 für Berlin, auf ein ins Deutsche übersetztes Libretto. Diese Fassung ist jetzt in Dortmund in französischer Fassung über die Bühne gegangen. (Von Sabine Weber)

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York Höllers Margarita fliegt wieder in Köln!

Zum zweiten Mal – folgend der fulminanten Uraufführung in Paris 1989 – verbucht Köln 1991 mit York Höllers Oper nach dem fantastisch-grotesk-burlesken Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakov nämlich die Deutsche Erstaufführung! Daran erinnert diese zweite Kölner Produktion, jetzt, 30 Jahre danach, und feiert am 3. April Premiere.
Dazu ein Gespräch mit York Höller (als Audio siehe unten) und vorab Informationen über den Komponisten. (Von Sabine Weber)

Er sei „ein übersehener Meister der Neuen Musik“, schrieb die SZ einmal, und meinte den am 11. Januar 1944 in Leverkusen-Schlebusch geborene York Höller. Spielte der Rezensent auf fehlende Skandale und Eklats an? Denn York Höller hat durchaus in den 1960ern den Aufbruch der Neuen Musik in Köln mitgetragen, neue Herangehensweisen ans Musikmachen ausgetestet, im Künstlerkollektiv der Gruppe 8 in den wilden 60ern mit Kollegen sich gegen den angepassten und verkrusteten Musikbetrieb positioniert. Seine Werke werden von den ersten großen Kompositionen an vom WDR Sinfonieorchester aufgenommen. Höller macht sich in Deutschland wie Frankreich als Gegenwartskomponist einen Namen.  Die Rede darf sogar davon sein, dass er in den 1990ern Karlheinz Stockhausen an Bekanntheit hinter sich gelassen habe. Der freilich hat mit seinen exzentrischen Auslassungen die Aufmerksamkeit immer wieder bewusst auf sich gezogen.
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Nochmals Neuenfels – ein Interview, das vor 14 Jahren stattfand …

Hans Neuenfels portraitiert von Oliver Mark, Berlin 2006. Foto: Wikicommons

Der Klassikfavori-Nachruf auf diesen Kultregisseur hat das Interview versprochen. Hans Neuenfels inszenierte damals den Tannhäuser in Essen. Und  nahm sich Zeit für ein ausführliches Gespräch: über seinen Beruf, die Haltung einer Inszenierung, die Hinterfragung von Begriffen in den 68ern, die Sehnsucht nach kindlicher Ordnung, über seine Penthesilea in Basel, seine Aida in Frankfurt, die ihm sechs Jahre Berufsverbot eintrugen, das Telefonat über die Absetzung seiner drei Jahre alten Idomeneo-Inszenierung, das ihn beim Rasenmähen erreichte und Merkels Machtwort, seine Bewunderung für Mozart, seine Annäherung an Wagner… Es ist lang, aber wer sich in Neuenfels knarzigen Tonfall einhört, das Klicken des Feuerzeuges ist unüberhörbar, der bekommt wunderbare Antworten und Ansichten mitgeteilt. (Das Gespräch fand am 28. März 2008 nach einer Probe in den Hinterzimmern im Aalto-Theater statt. Die Fragen stellt Sabine Weber)
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Hans Neuenfels – Nachruf auf einen genialen Vertreter modernen Regietheaters

(Titebild: Hans Neuenfels portraitiert von Oliver Mark, Berlin 2006. Wikicommons)

Er galt als heftig, hochfahrend, pathetisch, zerrissen, exzentrisch und verletzlich. Regisseur Hans Neuenfels sei der letzte Protagonist des Achtundsechziger Theaters. Mit Dauerzigarette in der Hand und knarziger Stimme verteidigte er seine Ansichten. Sein Name war ein Synonym für gepriesenes wie verschmähtes Regietheater. Seit über 50 Jahren haben seine provokanten Inszenierungen Theatergeschichte geschrieben. Am Sonntag, den 6. Februar, ist er 80jährig in Berlin verstorben. (Von Klaus Kalchschmid und Sabine Weber) Hans Neuenfels – Nachruf auf einen genialen Vertreter modernen Regietheaters weiterlesen

Wer ein sagt muss auch aus sagen! gamut inc‘s robot-opera wirft mit einem Theaterstück von Čapek Fragen über das Mensch-sein von Maschinen auf

Der tschechische Autor Karel Čapek ist Literatur- und Theaterkennern ein Begriff. Von ihm stammt „Die Sache Makropulos“, die sich, von Leoš Janáček vertont, bis heute zumindest in Opernform präsent hält. Čapeks Kollektivdrama „Rossum`s Universal Robots“ ist übrigens im selben Jahr wie Makropulos, 1921, am Prager Nationaltheater über die Bühne gegangen. Beide Theaterstücke sind gefeiert worden. Jetzt bekommt „R.U.R.“ – eine Abkürzung für „Rossum‘s Universal Robots“ – eine Opernverarbeitung posthum. „robot-opera“ heißt das neue Musiktheater, was wohl darauf anspielen soll, dass Maschinen auch musikalisch mitwirken. Die Designerin und Computermusikerin Marion Wörle bildet zusammen mit dem Komponisten Maciej Śledziecki den Kern von gamut inc. Auf ein Libretto von Frank Witzel haben sie für zwei Solisten, Chor und – natürlich – Musikmaschinen komponiert, inszeniert und Lichtregie geführt. Sieben rotierende Scheiben, nachgebildet nach einem Wsewolod Meyerhold‘schen antirealistischen Experiment, bestimmen das Bühnenbild. (Von Sabine Weber) Wer ein sagt muss auch aus sagen! gamut inc‘s robot-opera wirft mit einem Theaterstück von Čapek Fragen über das Mensch-sein von Maschinen auf weiterlesen

Puccinis Trittico – im Wasser traumatischer Erfahrungen

Richard Strauss verglich Giacomo Puccinis Werk „mit einer delikaten Weißwurst“, die schnell verzehrt werden müsse. Im Gegensatz zu der „kompakt gearbeiteten Salami“ – seine Werke –, die eben doch ein bisschen länger vorhalten würden. Bezüglich des Verfallsdatums hat sich Strauss bei Puccini aus heutiger Sicht eindeutig verschätzt. In den drei Einaktern von 1919, seinem vorletzten Opernprojekt, verfolgte er sogar einen neuen novellistischen Ansatz. Dies anzuerkennen muss man freilich den Puccininischen Wohllaut ertragen können, diese unvergleichliche Mischung aus Sentiment und Pathos. Die Regie von Roland Schwab am Essener Aalto-Theater versucht modern gedacht eine traumatische Spur zu legen. (Von Sabine Weber) Puccinis Trittico – im Wasser traumatischer Erfahrungen weiterlesen

Lyrisch, dramatisch, bezaubernd! Solen Mainguené wird als Manon in Freiburg bejubelt!

Elsa Dreisig war zuletzt die Manon-Entdeckung in Hamburg. Solen Mainguené dürfte ihr in der Manon-Oper Jules Massenets in Freiburg jetzt den Rang ablaufen. (Im Titelbild mit Joshua Kohl – Des Grieux – in Feierlaune. Foto: Paul Leclaire) Nicht nur ist sie äußerst attraktiv und erfüllt von unschuldig bis charmant-verführerisch bis zuletzt den aus Männersicht unwiderstehlichen französischen Frauentyp, wie eine Mischung Emmanuelle Seigneur, Sophie Morceau, Catherin Deneuve. Schauspielerisch umwerfend, aber auch stimmlich, als Französin perfekt im Sprech-Timbre liefert sie berührende Momente. Joshua Kohl als Des Grieux, vom Vater aus der wilden Beziehung in Paris entführt, kann ihr selbst im Schutz der Kirche und in Priestersoutane nur kurz Widerstand leisten. Mainguenés subtil gestaltete pianissimo-Passagen in ihrer Verführungsarie „Ist’s nicht meine Hand“, 3. Akt, lassen es sogar im Zuschauerraum knistern. Das Philharmonische Orchester des Theaters Freiburg unter der Stabführung des ersten Kapellmeisters am Haus, Ektoras Tartanis, geht mit dem französischen Klang exquisit um. (Von Sabine Weber) Lyrisch, dramatisch, bezaubernd! Solen Mainguené wird als Manon in Freiburg bejubelt! weiterlesen