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Das Schicksal ist Schuld? Verdis „La Forza del Destino“ überzeugt in Essen vor allem musikalisch

(Titelbild: Jorge Puerta (Alvaro), Astrik Khanamiryan (Leonora), Massimo Cavalletti (Don Carlo). Foto: Alvise Predieri) Mit einer IntendantIN bekommen Frauenregisseure endlich mal vermehrt Chancen. Das ist so in Essen und unbedingt lobenswert. Allerdings mit Verdi haben sie dort derzeit wenig Glück. (Von Sabine Weber)

(09. November 2024, Aalto Theater in Essen) Der Macbeth im September 2023 war sogar ein Regieflop (Siehe klassikfavori). Wer für die aktuelle Premiere von La Forza del Destino die seitenweise ausgebreiteten Elogen über immersive Herangehensweisen und neuartigen Analyse-Verfahren beim Bühnengeschehen der Regisseurin Sláva Daubnerová im Netz studiert, bekommt den Eindruck vermittelt, sie wolle mit innovativen Ideen das verstaubte Regietheater überwinden. Was die slowakische Regisseurin  letztendlich im Aalto Theater in der Premiere von La Forza aber zeigt, ist eher bieder im Bild und sorglos im Umgang mit einer der wichtigsten Bühnenstrategien, der Gaubhaftigkeit. Wenn die verfolgte Leonora singend Gott bittet, dass er sie vor ihrem Bruder schützen solle, der sie umbringen will und sie sich mit Koffer in der Hand zielsicher genau vor den Bruder stellt, ist das widersprüchlich. Leonora nähert sich im Laufe der Vorstellung auch als Geist dem aus den Augen verlorenen Geliebten Alvaro, in plakativ blutverschmiertem Hochzeitskleid – weil die Hochzeit nunmal durch einen Mord geplatzt ist – aber das nur, weil Alvaro gerade von seiner Liebe zu ihr singt. Das hat keinen Mehrwert.

Die Mutter-Heimat-Statue aus Stalingrad im Bild

Die Videoanimationen auf unsichtbaren Vorhängen im Bühnenbild sind ästhetisch gut gemacht (Andreas Deinert). Marschierende Soldaten, die sich zu Motiven auf einer Tapete durch Spiegelungen vervielfältigen, sodass sie zu kleinen Müsterchen werden, ist aber noch keine Auseinandersetzung mit dem Krieg. Und gibt es da eine Putin-Nähe? Oder warum kommt die Nachbildung der Mutter-Heimat-Statue aus Stalingrad, anlässlich des Sieg der Sowjets errichtet, ins Bild?  Mit ihrem zum Schrei verzerrten Gesicht mit erhobenem Schwert ist diese Kolossstatue ein Kriegsdenkmäler-Kult, bei dem man sich nie sicher sein kann, ob der sinnlos gefallenen Soldaten gedacht oder doch letztendlich der Krieg verklärt wird (Bühne: Volker Hintermeier). Das Gerüst um die Statue und ihr abgefallener Kopf in der zweiten Hälfte ändern daran wenig. Zumal ziemlich willkürlich auf dem Gerüst gewandelt wird, zum Beispiel die Pilger, die in der zweiten Szene ins Klangbild kommen. Natürlich turnt auch Leonora als Blutkleid-Geist mal im Baugerüst. Dazu eine unsägliche Lichtregie mit Augenschmerzen-verursachenden Spots aufs Publikum gerichtet. Und auch grell-leuchtenden Streifen auf hereingeschobenen Wänden sorgen für physische Unannehmlichkeit. Eine Frau hinter mir flucht lautstark. Andere halten sich das Programmheft vor die Augen…

 

Die Mutter-Heimat-Statue aus Stalingrad in der zweiten Szene. Foto: Alvise Predieri
Die Buhs für die Regie sind berechtigt

Die Personenregie bleibt rudimentär. Das gehört wohl nicht zum immersiven Programm. Das nehmen Jorge Puerta und Massimo Cavalletti als Alvaro und Don Carlo in ihren Begegnungen und Duetten Stimm- und Szenen-sicher selbst in die Hand. Es braucht kein Krankenhausbett mit Infusionsständer. Und das Gefuchtele mit der Pistole, deren erster Schuss laut Libretto sich selbst löst und damit die Verkettung von unglücklichen Umständen (Schicksal!) auslöst, nehmen sie als Lästigkeit hin. Daubnerová drückt übrigens in der ersten Pistolenszene diese Leonora in die Hand, obwohl der tödliche Schuss auf den Vater sich doch aus der weggeworfenen Pistole aus Versehen lösen soll. Ist das jetzt als ihre verzweifelte Attacke auf das Patriarch zu deuten? Die Buhs für die Regie am Ende sind berechtigt. Und eigentlich noch viel zu harmlos gewesen.

Perfekte Verdi-Stimmen

Musikalisch ist dieser Verdi allerdings großartig. Astrik Khanamiryan als Leonora ist in ihren ersten beiden Arien vor der Pause stark, klar und gestalterisch überzeugend, in ihrer Gebetsarie rührend, sodass das Publikum begeistert applaudiert. Jorge Puerta – leider etwas sehr füllig, sodass ihm gewisse Bewegungen schwer fallen – hat zwar keine überlaute, dafür aber eine wunderbar temperierte und ausgewogen geführte Tenorstimme, die im Fortissimo auch ohne Stentorgehabe durchdringt, also ohne zu schreien das Orchester übertönt. Eine perfekte Verdi-Stimme, die auch Bariton Massimo Cavalletti besitzt. Vom Typ her ein George Clooney, frisst ihn die Rache und falsch verstandenes Ehrgefühl gegen die Schwester immer mehr auf. Darum geht es in dieser vom Zarenhof in Sankt Petersburg in Auftrag gegebenen und dort auch 1861 uraufgeführten Oper. Verdi hat sie später nochmals für Mailand mit einem neuen Verklärungsfinale und einem Terzett zu einem hoffnungsgeschwängerten Ende ausgestattet, wie auch in dieser Forza (Siehe Titelbild). Alvaro überlebt, obwohl ausgerechnet er die Oper über immer wieder sterben will. „Lasciate mi morire!“ Das ist auch Schicksal.

Die solistischen Leistungen sind hervorzuheben

GMD Andrea Sanguineti entlockt schon in der leitmotivisch vollgespickten Ouvertüre feinste Töne, wie er auch in den Arienbegleitungen die Essener Philharmoniker mal zu einer Kanzone-begleitenden Gitarre formt. Die solistischen Leistungen der Soloklarinette sind hervorzuheben. Das sind fast Konzerteinlagen. Und ganz apart die Akkordbrechungen unter dem Gesang. Übrigens auch mal vom Fagott zu hören. Die Nebenrollen sind auch alle großartig besetzt. Hervorragend füllt auch Bettina Ranch die zwielichtige Rolle der Preziosilla aus, eine Kriegsverherrlicherin, Wahrsagerin oder Kurtisane des Kriegsheeres.

Zufrieden mit dem Aalto-Verdi-Schicksal!

Wie Verdi immer wieder in La Forza mit Off-Chören und Orgelklängen Kirchenmusik einbringt, um heilige Fallhöhe zum unheiligen Rachefeldzug Don Carlos zu schaffen, wäre einer gesonderten Studie wert. Da erwirbt sich der Chor des Aalto Theaters auf jeden Fall große Verdienste. Das Publikum dürfte also im großen und Ganzen mit seinem Aalto-Verdi-Schicksal zufrieden sein, und bedankte sich für die Leistungen im Graben und die sängerischen auf der Bühne immer wieder mit Szenenapplaus.

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