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Ein neuer „Tannhäuser“ in Essen – Erinnerung an den alten „Tannhäuser“ unter Stefan Soltesz

Zurück aus dem Urlaub und die Opernsaison 22/23 startet. Als erste Premiere im Aalto-Theater in Essen hat eine Neuinszenierung von Wagners „Tannhäuser“ Premiere (24. September 2022, 18 Uhr). Sie löst die Inszenierung von Hans Neuenfels am Haus ab, die Maestro Stefan Soltesz 2008 im Graben aus der Taufe gehoben hat. Und weil mir mitten im Thyrrenischen Meer die Todesanzeigen in die Hand gefallen sind, hier ein Rückblick auf eine Generalprobe, damals, mit Soltesz und Neuenfels am Platz, die mit dazu beitrug, dem Haus den Titel „Opernhaus des Jahres 2008“ beim Voting der Opernwelt-Journalisten einzutragen! (Sabine Weber)

(28. Juli 2022) Blaues Wasser bis zum Horizont. Ausgerechnet auf der Fähre von Genua nach Palermo fallen mir die Todesanzeigen in die Hand. Von Maestro Stefan Soltesz, am 22. Juli 2022 im Orchestergraben in München verstorben, die Pressemeldung ging ja letzte Woche durch. Daran erinnern mich jetzt wieder diese drei Todesanzeigen. Und während das Blau vorbeizieht, zieht eine Erinnerung in meinen Kopf auf. Auch wenn Stefan Soltesz’ bereits in vielen Nachrufen gedacht wurde. Vor allem seiner Zeit als langjähriger Intendant und Generalmusikdirektor am Aalto-Theater in Essen und Intendant der Essener Philharmoniker. 16 Jahre lang, von 1997 bis 2013, hat Soltesz Essens Musiker maßgeblich geprägt, „mit Musikalität und Energie, mit Leidenschaft für die Oper sowie mit einem besonderen Gespür für große Stimmen und talentierte Regisseure“, so sein Haus zu dessen Tod. Ein Regisseur verdient Erwähnung: Soltesz war es, der erstmals Hans Neuenfels für eine Tannhäuser-Inszenierung nach Essen holen konnte. Und vor der Premiere 2008 erlebte ich eine hochexplosive Generalprobe. Mit Neuenfels am Regietisch und Soltesz am Pult. Neuenfels war unzufrieden. Der Pilgerchor, statt heilig in Kutte zu prozessionieren, sollte in schwarzen, innen flammenrot ausgekleideten Ledermänteln über die Bühne wirbeln. Ein „Verführerchor“, der Tannhäuser auf die falsche Fährte lockt. Aber der Chor will nicht, die Männer in Lederbustiers – unter dem Mantel Brustwarzenfrei – trauen sich nicht so, wie Neuenfels will, oder können nicht, obwohl Neuenfels bekanntlich schon Wochen vor der regulären Probenzeit angefangen hat, seine Interpretation einzustudieren. In der GP bewegt sich der Essener Theaterchor jedenfalls immer noch nicht zur Zufriedenheit des Regisseurs. Der will entrüstet unterbrechen. Aber Soltesz am Pult ist Sachwalter der Musik! Sozusagen in Verlängerung des Regietisches biegt er in den Graben hinein Neunfels’ Anweisungen um. „Wir brauchen den Durchlauf, wir unterbrechen nicht! Ruhe am Regiepult, Korrekturen später!“ Und schon polterte Neuenfels wieder von hinten. „So geht das nicht! So und so, wir müssen unterbrechen…!“ Ich weiß nicht mehr die präzisen Wortlaute, die vom Regiepult zum Orchestergraben hin und her wechselten. Soltesz mit erhobenem Stab „weiter“, Neuenfels „mehr Bewegung, das ist doch nichts!“ Ich erwarte Explosion. Denn Regie und Musik-Maestro verharren auf ihren Standpunkten, und beharken sich verbal. Soltesz verteidigt den Solisten, Chor und seinen Essener Philharmonikern den Durchlauf. Hinterher ist es genau die Inszenierung, die Essen die Auszeichnungen der Zeitschrift Opernwelt zum Opernhaus des Jahres 2008 einträgt. Mich hat damals ungemein beeindruckt, wie jeder der beiden Meister ihres Faches um ihre Sache gekämpft haben und schlussendlich beide, doch freundschaftlich, miteinander gerungen haben. Mit Erfolg. In dem anschließenden Interview mit Hans Neuenfels  war dann auch eine der zentralen Fragen, wie wichtig die Einstellung des Dirigenten für das Gelingen einer Regie sei. (Siehe auch den Nachruf )

Stefan Soltesz. Foto: Matthias Jung

Stefan Soltesz war sicherlich einer der Maestri, der Regieansätze der unterschiedlichsten Art herausgefordert, unterstützt und gefördert hat. Nicht zuletzt hat Soltesz in Essen auch eine Orchesterakademie zur Förderung junger Orchestermusiker ins Leben gerufen, für die in der Todesanzeige seiner Frau statt Kranz- und Blumenspenden geworben wird. (Orchesterakademie der Essener Philharmoniker e.V.) Seine Musiker waren ihm letztendlich aber immer das Wichtigste!

Nochmals Neuenfels – ein Interview, das vor 14 Jahren stattfand …

Hans Neuenfels portraitiert von Oliver Mark, Berlin 2006. Foto: Wikicommons

Der Klassikfavori-Nachruf auf diesen Kultregisseur hat das Interview versprochen. Hans Neuenfels inszenierte damals den Tannhäuser in Essen. Und  nahm sich Zeit für ein ausführliches Gespräch: über seinen Beruf, die Haltung einer Inszenierung, die Hinterfragung von Begriffen in den 68ern, die Sehnsucht nach kindlicher Ordnung, über seine Penthesilea in Basel, seine Aida in Frankfurt, die ihm sechs Jahre Berufsverbot eintrugen, das Telefonat über die Absetzung seiner drei Jahre alten Idomeneo-Inszenierung, das ihn beim Rasenmähen erreichte und Merkels Machtwort, seine Bewunderung für Mozart, seine Annäherung an Wagner… Es ist lang, aber wer sich in Neuenfels knarzigen Tonfall einhört, das Klicken des Feuerzeuges ist unüberhörbar, der bekommt wunderbare Antworten und Ansichten mitgeteilt. (Das Gespräch fand am 28. März 2008 nach einer Probe in den Hinterzimmern im Aalto-Theater statt. Die Fragen stellt Sabine Weber)
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Hans Neuenfels – Nachruf auf einen genialen Vertreter modernen Regietheaters

(Titebild: Hans Neuenfels portraitiert von Oliver Mark, Berlin 2006. Wikicommons)

Er galt als heftig, hochfahrend, pathetisch, zerrissen, exzentrisch und verletzlich. Regisseur Hans Neuenfels sei der letzte Protagonist des Achtundsechziger Theaters. Mit Dauerzigarette in der Hand und knarziger Stimme verteidigte er seine Ansichten. Sein Name war ein Synonym für gepriesenes wie verschmähtes Regietheater. Seit über 50 Jahren haben seine provokanten Inszenierungen Theatergeschichte geschrieben. Am Sonntag, den 6. Februar, ist er 80jährig in Berlin verstorben. (Von Klaus Kalchschmid und Sabine Weber) Hans Neuenfels – Nachruf auf einen genialen Vertreter modernen Regietheaters weiterlesen