Saisoneröffnung 19/20 in Brüssel mit der Uraufführung von Macbeth Underworld von Pascal Dusapin

Mit Spannung ist die Saisoneröffnung und Uraufführung von Pascal Dusapins „Macbeth Underworld“ erwartet worden. Dusapin zählt zu den erfolgreichsten französischen Opernkomponisten der Gegenwart und ist ein bekannter Gast am De Munt/ La Monnaie in Brüssel. Mehr noch, Komponist des Vertrauens des dortigen Intendanten Peter De Caluwe. Dusapins „Medeamaterial“ nach Heiner Müller ist hier 1992 aus der Taufe gehoben worden. Sein Opernballett „Passion“ in Koproduktion mit dem Festival in Aix-en-Provence am Munt/ Monnaie 2008 über die Bühne gegangen. Zuletzt 2015 „Penthesilea“ nach Heinrich Kleist auf ein deutsches Libretto, das just zu der aktuellen Dusapin Uraufführungspremiere beim Label Cyprès herauskommt. Eine bemerkenswerte Aufnahme übrigens! Denn Georg Nigl ist dabei. Diesem stimmlich und spielerisch ausdrucksstarken und Neue Musik affinen Bariton hat Dusapin die meisten Titelrollen seiner Werke auf den Leib komponiert. So jetzt auch wieder.

Zusammenspiele zwischen Haus, Komponist und Interpreten sind Voraussetzungen für neue Wagnisse und Experimente, für die Brüssel seit Jahren nicht kleckert, sondern klotzt. Magdalena Kožena – unter der Leitung von Chefdirigent Alain Altinoglu – singt übrigens die Lady an Nigl-Macbeth‘ Seite. Der blutjunge Regisseur Thomas Jolly, selbst Schauspieler und „hyper shakesperean“ – in Frankreich wird er als Shakespeare-Spezialist gehandelt – zeichnet verantwortlich für die Regie. Hier geht es ja um originale Shakespeare-Texte. Jolly begreift diese dritte Opernregie als perfekte Chance, wie er kurz vorher erzählt. Caluwe, mit einem Glas Sekt in der Hand, kann sich die Bemerkung gegenüber der angereisten Journalisten nicht verkneifen, dass er an seinem „europäisch“ ausgerichteten Opernhaus den Mythos Macbeth in dieser Brüsseler Neuproduktion als eine europäische Botschaft an den Brexit-Hardliner Boris Johnson versteht. Es werde ja vorgeführt, wie ein Brite auf ganzer Linie verliert! (Von Sabine Weber)

Foto: Baus / La Monnaie De Mun
Foto: Baus / La Monnaie De Mun

(20. September 2019 La Monnaie/ De Munt, Brüssel) „Here may you see the tyrant!“ Dieses Shakespeare-Zitat begrüßt jedenfalls das Publikum. Hinter Schemen knorriger Baumäste ist die Botschaft zu entziffern. Vor einer völlig schwarzen und umnebelten Bühne setzt sie sich ab, weil sie mit Neonröhren geschrieben ist. Das Orchester spielt sich noch ein, bis der Applaus den Dirigenten im Anmarsch begrüßt. Dann wird es im ganzen Haus rabenschwarz. Eine Figur rückt im Baumgeäst thronend nach vorn. Es ist der spätere Türsteher, zu erst aber für den Prolog ‚elisabethanisch‘ mit Rüschenhalskrause und Reifrock im schottischen Karomuster gekleidet. Die frisierten roten Haare erinnern an Bette Davis in ihrem berühmten Elisabeth-die-Große-Film. Die männliche Stimme rezitiert auch im Shakespeare‘schen Versstil (Libretto Frédéric Boyer). Das Spiel wird erklärt: Aus Lügen entwickle sich gleich die Wahrheit! Macbeth sei im Dunkel! Die herzlose Königin an seiner Seite liebe ihn immer noch, wie er sie auch liebt. Aber jetzt kommen sie noch einmal auf die Bühne zurück, um von dem bisher Unausgesprochenen (silent things) wie in einem Traum zu singen!

Dusapin will in seinem neunten Musiktheater, nach Medea, Faust und Penthesilea jetzt die Wahrheit hinter Macbeth‘ Wahnsinn atmosphärisch enthüllen! Nächtlich dunkel bleibt es auf der Bühne. Das Orchester setzt mit einer durch eine archaisch klingende Quinte bestimmte Klangfläche ein. Passt perfekt zum wallenden Nebel und den unbelaubt knorrigen Bäume, die Horrorfilm-mäßig auf die Bühnenmitte fahren. Rote leblose Körper hängen in den Ästen. Pathetische Orgelklänge kommen hinzu. Drei völlig weißgekleidete und geschminkte Gespenster setzen sich im Dunkel ab. Banquo mit Dolch im Rücken. Das Blut setzt sich auf seiner weißen Jacke glitzer-glänzend ab. Kostümbildnerin Sylvette Dequest schickt Macbeth als weißen Barock-Samurai ins Spiel. Und Lady Macbeth kommt Nachthemd-Toga-gewandet Brief-lesend dazu. Später noch der Türsteher als Clown mit abstehenden roten Haaren und Schotten-Hose. Er hat mit dem unheilvollen Klopfen zu tun – hier wuchtige Pauken oder Trommelschläge und spielt sich als Playmaker mit Sprüchen auf.
Dusapins Musik ist auf immer wieder changierende Klänge angelegt. Aus orchestraler Tiefe steigen sie nach oben, Posaunen legen einen Orgelpunkt im Tritonusabstand. Dieses dissonante Intervall galt schon im Mittelalter als Diabolus in musica, als teuflisch also. Die Tuba entlässt Dampfwolken wie ein Höllenschornstein. Psychotisch grelle Frequenzen legen sich von oben ins Klangbild. Oder Kontrabässe bilden mit weiteren tiefen Streichern einen unheimlichen Untergrund. Handwerklich perfekt geschichtet füllen Klänge meist mit Hochdruck den Raum. Stellenweise filmmusikalisch verhaftet ist Dusapins Musik doch weit mehr als Begleitung. Sie liefert immer neue Akzente für das Dunkel, Dräuende, Unheimliche. Exotische Klangmittel wie eine Guiro oder ein Regenholzrohr kratzen und rauschen dazu. Dahinein wirft oder darüber legt sich der Gesang. Dusapin weiß, wie für die Stimme bühnentauglich zu komponieren ist. Über weite Strecken psalmodieren die Sänger, mal sogar eher sprechend als singend. Auch schreiend, wie Macbeth. Lady Macbeth darf ein melancholisches Schlaflied nur auf Silben summen, begleitet von einem Arciliuto. Das erinnert an die altenglische Lautentradition der Shakespeare-Zeit, klingt elektronisch verstärkt allerdings verfremdet. Auch die Sänger scheinen verstärkt, was durch ein technisch bedingtes Miniecho etwas irritiert. Warum muss denn überhaupt verstärkt werden? Georg Nigl als wütiger bis verzweifelter Macbeth hätte auch ohne Mikroport überzeugt. Oder Magdalena Kožena mit ihrer gut fokussierten und weichgeführt einnehmenden Stimme. Bravourös auch ein Kind, das wie ein weißer Rosenkavalier gekleidet ebenfalls zum Geisterpersonal von Macbeth Underworld gehört. Für Naomi Tapiola aus dem Choeurs d‘enfants de la Monnaie ist die Verstärkung sicherlich eine notwendige Hilfe gewesen, den Klang entspannt zu lassen und voluminös zu machen. Die Kinderfigur ist übrigens eine Erfindung von Dusapin und Boyer. Sie seinen ein Bezug auf verlorene Kinder in den Tragödien und Dramen Shakespeares. Auch Macbeth rede immer wieder von Kindern und Thronfolgern, die er nicht habe. Ansonsten ist auf Shakespeare original gesetzt worden.

Die Shakespear‘schen Texte wirken allerdings, als hätte man ihnen die Zähne gezogen. Die expressive Musik Dusapins nivelliert ihre Sprachgewalt. Zudem ist der Text wie ein geschütteltes Puzzle zu acht neuen Episoden oder Teilen zusammengefügt worden. Da dreht sich eine der Episoden um das Wahnbild des blutigen Dolches. Nach der Tat! In der Episode danach verkündet Macbeth aber erst „I have done the dead!“ Lady Macbeth ist von schwarzen Gestalten mit weißen Schnabelmasken die Pulsadern aufgeschlitzt worden. Sie begeht ja Selbstmord. Und steht danach in einer visionären Krönungsszene wieder neben Macbeth. Es springt hin und her. Es fehlt der von Shakespeare immer präzis angelegte Spannungsbogen von scheinbar ahnungslos hin zur unausweichlichen Katastrophe. Macbeth Underworld ist permanent Alptraum. Dafür sorgt auch das Trio der drei weired sisters oder Hexen. Ekaterina Lekhina, Lily Jøstrad und Christel Loetzsch sind mit ihren Flüchen und Prophezeiungen omnipräsent. Sie stehen im Frauenchor der Brüsseler Oper mit Nebelschleier auf dem Kopf oder drapieren sich im wulstigen Baumgeäst wie man das aus romantischen Darstellungen der Walpurgisnacht kennt. Bühnenbildner Bruno de Lavenère erfindet immer wieder eindrucksvolle Tableaux. Zwei schwarze gusseiserne Türme, wie aus einem Horrorfilm, von roten Blutblitzen durchzogen, rotieren vor und hinter die Bäume, hinein und hinaus. Ein Schlafzimmerbett unter Baumgeäst mit einem nebenan einem Riesengemälde eines in den Gesichtern verkratzten Königlichen Paares steht neben dem Waschbecken. Die nicht weg zu bekommenden Blutflecken sind ja eine weitere Wahnvorstellung. Doch kommen sie hier wie zufällig erwürfelt zur Sprache. Alles wird wie ein Spielbaukasten immer wieder durcheinander geschüttelt. Turm raus, Baum vor, Schlafzimmer rein. Rauf auf den Turm, und wieder runter. Die Akteure stehen unter Dauerspannung, mit.

Foto: Baus / La Monnaie De Munt
Foto: Baus / La Monnaie De Munt

Und hart an der Grenze zum Monty Python Horrorfilm geht es da zu. Vom Geist mit Dolch im Rücken war ja schon die Rede. Ein Hui Buh-Gespenst erhebt sich als ein Laken mit Augenhöhlen. Und natürlich gibt es auch das obligate Blitzgewitter. Mit einer Arc-de-triomphe-Kulisse als Mausoleum oder Kriegsdenkmal, statt mit Kopf unter Stahlhelm mit einem Hirschgeweih, bringt der Franzose seinen Denkmalpatriotismus ins Bild! Und Dusapin ein Requiem, das die weired sisters zusammen mit dem Damenchor übrigens klangschön zelebrieren. Tolle Chormusik. Aber will uns Dusapin zeigen, dass er ein Requiem komponieren kann und demnächst wird? Wer braucht in diesem Alptraum plötzlich christlichen Trostzuspruch? Genauso ist die folkloristische Bierhausszene mit Fiddler auf der Bühne ein Bruch, de sich nicht in denAlptraum fügt, der zu dem kein Ende finden will. Endlich bewegt sich der Wald im Libretto, was die Bäume ja unentwegt schon tun, nur ohne Bezug zum finalen Bild von Macduffs mit Ästen getarnten Armee! Und was soll uns dieser Alptraum nach anderthalb, ein wenig strapazierenden Stunden, jetzt mitgeteilt haben? Mit den Bühnencharakteren ist man nicht warm geworden. Keine Entwicklung, die Sogwirkung mit Spannungfokus entwickelt. Zum Schluss wird Macbeth von seiner zum wievielten Mal wieder auferstandenen Lady aus dem Tor unter dem Triumphbogen hinaus geschoben, und das Tor schließt sich hinter ihm. Statt mit Macduff führt Macbeth sein letztes Duell mit dem Kind. Das Schwert hat er in der Hand, will aber nicht. Also rasseln die Schwerter von hinten und beenden das Spiel. Und da steht es wieder „Hier könnten sie den Tyrannen erkennen!“ Mmmm! Mehr Raum, mehr Atem, mehr Zielrichtung statt ständiges Durcheinander-Wuseln von Akteuren und Bühnenbildern, das hätte vielleicht schon für ein bisschen mehr Tiefe und Nachsinnen gesorgt. Vielleicht auch die Kammermusikalischen Momente betont, die es in Dusapins Werk durchaus gibt. Was die Akteure, die Sänger, Musiker, Statisten, Werkstätten und Technik hier geleistet haben, bleibt dennoch außer Frage. Anderthalb Stunden Horror unter Dampfdruck. Großer Applaus, also große Begeisterung für dies neue spectacle noir von Pascal Dusapin. Und in weniger als 10 Tagen gibt es hier schon die nächste Uraufführung. Benjamin Attahirs erste große Oper „Silence des ombres“. Es bleibt spannend in Brüssel!

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