Sagt wer nein zur Feierei? Die Oper Frankfurt feiert Karneval mit Carl Nielsens „Maskerade“! Köln könnte neidisch werden…

Freilich mit 3 G Regel. Mit Carl Nielsens komischer Oper „Maskarade“ (dänisch) in der Regie von Tobias Kratzer darf Frankfurt eine Repertoire-Entdeckung verbuchen! Nielsen und sein Librettist Vilhelm Andersen haben ein kongeniales Plädoyer für Ausgelassenheit und Feierfreude hingelegt. Für die Jugend gegen konservative Altersmissmut. Andersen, ein damals anerkannter Literaturwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber, hat nebenbei gern seine Schauspielbegabung im studentischen Amateurtheater eingebracht. Und war wohl prädestiniert, die von Ludvig Holberg in seinem Schauspiel vorgelegten Begegnungen à la Molière – Auseinandersetzungen und Streitgespräche zwischen Sohn, Vater, Mutter, zweier Hausangestellter und einem Geschäftsfreund – zu einem hintersinnig-witzigen Spiel zu machen, das von Wortkaskaden bestimmt wird. Das wird auch in der neuen deutsche Textfassung von Martin G. Berger gepflegt. „Reim dich oder ich fress Dich“ von witzig, blöd bis durchgeknallt in einer unbändigen Texterei, so, wie der Librettist das „Eher reimen als Textsinn produzieren“ schon vorgemacht hat. Und Nielsen hatte dem was hinzuzufügen. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester arbeitet sich unter Titus Engel mit dem aberwitzigen Tempo seiner Musik, den Virtuosen-Ensembles und der ausgelebten rhythmisch ab, hat aber auch hörbar Freude an den Klangspielen und witzig bis ernst pathetischen Kommentaren. (Von Sabine Weber)

Susan Bullock (Magdelone) und Tänzer*innen. Foto: Monika Rittershaus

(5. November 2021, Oper Frankfurt) Ein trist-graues Bühnenbild mit Türen rundum ist der Ausgangspunkt (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier). Feierleichen liegen wild verstreut umher. Die Nacht war lang, es ist 17 Uhr nachmittags, und feuchtfröhlich, dem Haussohn Leander und seinem Diener oder Kumpel Henrik dröhnt hörbar der Kopf. Die anderen Körper, alle in weißer Unterwäsche, entpuppen sich als ein Tanzkollektiv, das drei Akte lang immer wieder gestisch oder mimisch als guter Geist der Maskerade aktiv wird. Sie verstecken sich, wenn die Trübsal bläst, tanzen hinein, wenn das Spannungsbarometer steigt und legen im Finalfest einen wilden Hahnentanz hin und reißen die Massen mit. Wild-bunter Maskenballtumult ist das ultimative Ziel. Tumulte gibt es durchgehend – mit Steigerungsgrad. Zu Anfang wird beispielsweise ein Wohnzimmer mit Requisiten ins triste Bild gestellt. Das ist erst Ort verbaler Konfrontation, bis – auch mithilfe des Interieurs – eine imaginäre Flucht von Leander und Henrik gespielt wird, verfolgt vom Hausherrn, dem Geschäftsfreund und dem zweiten Hausdiener, die dazu führt, dass das Wohnzimmer zum Schluss in Trümmern liegt. Die hier gekonnt bebilderte rasante Komödie hat herrlichen Unterhaltungswert. Die vielen kleinen Einzelheiten, die immer stimmig dazu beitragen, können gar nicht aufgezählt werden. Auf die Ausführung in den Details kommt es wesentlich an. Sowohl szenisch als auch musikalisch hat es Süffisanz, ist Satire, lebensecht und wird dann sogar mal gesellschafts- und zeitkritisch. Das bei einer eigentlich simplen Handlung.

Alfred Reiter (Jeronimus; in Schwarz in der Bildmitte stehend) und Ensemble. Foto Monika Rittershaus

Weil Dänemark acht Monate im Jahr schneematschig-düster, der Himmel Nebel ist, braucht die Jugend Lichtblicke, heißt: ausgelassenes Feiern. Verkleidet fallen die Hemmungen sofort, daher ist die Maskerade bei der Jugend beliebt. Im Kopenhagener Komödienhaus wird sie veranstaltet, von Studenten belebt. Leander und Henrik feiern mit und Leander verliebt sich in ein Mädchen. Vater Jeronimus is not amused, weil sein Sohn der Tochter des Geschäftsfreundes Leonard versprochen ist. Schlussendlich stellt sich heraus, dass die wilde Liebe die Tochter Leonards ist. Um zwischenmenschlich dramatische Konflikte geht es nicht. Vielmehr darum, wie die Alten eins auf die Mütze bekommen. Der griesgrämige Jeronimus wird von Studenten vorgeführt, wie Verdis Falstaff veräppelt. Sein Geschäftsfreund Leonard wechselt die Seiten und umgarnt als

Michael McCown (Leonard) und Susan Bullock (Magdelone). Foto: Monika Rittershaus

täuschend-echter Björn Borg auf dem Maskenball Jeronimus‘ Frau Magdelone, sie als Minimaus verkleidet. Auch sie hat die Nase vom Haustyrannen gestrichen voll und geht ohne ihn feiern. Hausdiener Henrik wird als Glam-Punk zu einem modernen Figaro und bringt aufmüpfig revolutionäre Noten ins Fest. „Freiheit, Gleichheit“ schreit er lauthals – Masken machen alle gleich – und fordert ein modernes Jahrhundert ein. Er bekommt dann prompt eine Gardinenpredigt von drei Studentinnen, die dann herzallerliebst einen Männerverriss anstimmen. „Hört die Moral als Madrigal… Der Mann, in Rückschau und Fern-Prognosen. Bleibt ein betrügendes Ding in Hosen!“ Worauf ein kleiner Blumenverkäufer „Rosen! Rosen!“, ruft. Ein weiteres Sprachspiel, Satzrhythmen durch ein angehängtes gereimtes Wort ins Wanken zu bringen.
Nielsen hat die Partitur mit Duetten und Arien, wenigen aber gut platzierten Chornummern abwechslungsreich und auch mal mit Zugriff auf alte Formenkataloge angereichert. Die Wutarie Jeronimus stünde einer Opera Seria gut zu Gesicht. „Früher schloss man früh den Laden zu“ bringt Alfred Reiter mit Überzeugung, patriarchalisch, dabei ein wenig tüdelig, und mit viel Wut gegen alles, was Maskerade sei, vor. Hausherrin Magdelone, Susan Bullock, schwärmt davon, dass sie früher sogar die Folie d‘Espagne getanzt hat. Aber so plump ist Nielsen jetzt nicht, dass er das Harmoniemodell plump im Original zitierte. Dafür gibt es Volksliedton, Strophenlieder, sogar Choralgesang, der Pietismus ist ein Feiertöter, gegen den heftig angekämpft werden muss. Der Orchesterklang scheint eine Mischung aus Brahms und Reger mit Berlioz-Allüre und Wagner-Anklängen. Wendig, witzig, auch kammermusikalisch mit ordentlich Tempo. Ein Bühnenspiel, Teil des Maskenballs, mit Mars und Venus, die von Vulcanus überrascht werden, inszeniert Kratzer wie einen Stummfilm. Texte werden auf einer mobilen Tafel, die mal hoch und runter fährt wie die Sprechblasenkommentare im Stummfilm, eingeblendet. Die Soloflöte untermalt die liebliche Venus. Den grotesken Vulcanus, der sich verabschiedet ,um einige Vulkane zu revidieren, bekommt einen Kontrabass. Mars taucht zu einer fulminanten Gavotte auf und bringt mit Venus im Arm die Celli zum Schmachten. Ein unglaublicher Witz. Die Partitur dürfte für Titus Engel eine willkommene Abwechslung zum Avantgarderepertoire darstellen, das bisher sein Hauptgeschäft war. Michael Porter leiht Leander seinen stimmstark jugendlichen Tenor. Bariton Liviu Holender als Henrik zieht die Strippen und löst Probleme, wozu er einmal eine Geisterbeichte abhält. Verkleidet als klassisches Gespenst mit Betttuch setzt er den Wächter unter Druck, um Freigang für sich und Leander zu erpressen. Alles wunderbar in Szene gesetzt, gespielt, gesungen und musiziert und in einem Maskenball mit bunten Kostümen kulminierend. Nachdem eine dunkle Gestalt das Ende einläutet und die Masken verbrannt werden müssen – in Köln denken wir sofort an die Nubbelverbrennung – geht die Feier nochmal richtig los. Ist ja wie am Karnevalsdienstag. Bis Aschermittwoch wird in Frankfurt noch einige Male gefeiert werden!!! Es lohnt sich, zuzuschauen und zu -hören!

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