Der Deutsche Dirigentenpreis 2021 ist in der Kölner Philharmonie an den Belgier Martijn Dendievel gegangen

Die Dirigierzunft ist gerettet! Denn „es sei eine wahre Freude gewesen, sich mit den Bewerberinnen und Bewerbern zu beschäftigen.“ Markus Stenz, Vorsitzender der Jury des Deutschen Dirigentenpreises, spielt auf das Klasse-Niveau an. Eine Knochenarbeit muss es dennoch gewesen sein. Denn 274 Video-Bewerbungen aus 49 Nationen sind beim Dirigentenforum des Deutschen Musikrates eingegangen und mussten von der 11köpfigen Jury vorab gesichtet werden. Eine Besonderheit dieses hoch dotieren und seit 2017 international ausgeschriebenen Wettbewerbs: Oper und sinfonisches Repertoire werden gleichberechtigt in der Pflichtkür für die besten Nachwuchsdirigentinnen und -Dirigenten angesetzt. Und so waren vom 18. bis zum 23. Oktober auch die beiden Kölner Orchester im Einsatz. Das WDR Sinfonieorchester fürs Sinfonische und das Gürzenich-Orchester für die Opernszenen plus Mitglieder des jungen Opernstudios ergänzt von Sängern des Kölner Ensembles. 10 Bewerbungen aus 9 Nationen schafften es in die Aktivrunde, plus der zwei extra-nominierte Stipendiaten des Forums Dirigieren. Beide haben einen Preis abgeräumt. Schon die öffentlichen Probenphasen waren im Vergleich äußerst spannend. (Von Sabine Weber) Der Deutsche Dirigentenpreis 2021 ist in der Kölner Philharmonie an den Belgier Martijn Dendievel gegangen weiterlesen

Die Musikwelt hat einen Grandseigneur verloren: Bernard Haitink

Mit 92 Jahren hat der niederländische Dirigent ein stolzes Alter erreicht. Klassikfavori hat eines seiner letzten Konzerte miterelebt. Mit immer noch absolut präzisen Handbewegungen hat er das Chamber Orchestra of Europe in der Luxemburger Philharmonie im Februar 2019 kurz vor seinem 90. Geburtstag dirigiert. Interviews durfte er zu diesem Zeitpunkt schon keine mehr geben. Dazu hatte ich 2002 Gelgenheit und habe Sie genutzt, wie in dem folgenden Audio nachzuhören ist… Zu allererst habe ich natürlich gefragt, wie er zum Dirigieren gefunden hat… (von Sabine Weber, Foto: Sébastien Grébille)

Sinnlich, komisch, überwältigend: Filideis Passion “The Read Death” aus Donaueschingen in Köln

(Titelbild: Das SWR Sinfonieorchester beim Abschlusskonzert in Donaueschingen. Foto: SWR/Ralf Brunner) Das Schlusskonzert der traditionsreichen Donaueschinger Tage ist anläßlich 100 Jahre Donaueschinger Musiktage nach Köln gebracht worden. Unter der Leitung von Sylvain Cambreling durchfluten Bild-verhaftete, verspielte bis gewaltige, auch elektronisch unterstützte Klänge zu pandemischen Szenen die Kölner Philharmonie. Eine elitäre Gruppe von Menschen, repräsentiert von fünf Solisten und drei Chorgruppen, schottet sich von der Welt ab und findet doch den Tod. (Von Sabine Weber) Sinnlich, komisch, überwältigend: Filideis Passion “The Read Death” aus Donaueschingen in Köln weiterlesen

Edita-Farewell! Ein Nachruf auf die Primadonna assoluta

Der Abend des 27. März 2019 an der Bayerischen Staatsoper in München bleibt unvergessen: Wie bei der Premiere fünfzehn Jahre zuvor und in allen weiteren 51 Vorstellungen ist Edita Gruberova Königin Elisabeth I. in Gaetano Donizettis “Roberto Devereux“. Christof Loy inszeniert sie in einer Business-Welt als Margaret Thatcher. Am Ende schreitet die Gruberova dann doch noch gekrönt im langen schwarzen Samtkleid wie eine Königin zum bitteren Finale. Sie verabschiedet sich von der Regentschaft wie von ihrer letzten Liebe, aber auch vom Leben, nimmt die Krone ab und zieht sich die Perücke ab, um schüttere Spinnfäden-Haare preiszugeben, bevor sie vor den Insignien ihrer Macht zu Boden geht… Danach folgten Ovationen, ein Regen aus Rosenblättern und ein Kniefall des Intendanten Nikolaus Bachler, der ihr die Bühnen-Krone schenkt. Denn diese Vorstellung war die letzte der Produktion und zugleich der letzte Abend, an dem Edita Gruberova auf einer Bühne stehen sollte. „Es war sehr schön, es war wunderbar, und es war genug“, sagt sie damals. (Ein Nachruf von Klaus Kalchschmid) Edita-Farewell! Ein Nachruf auf die Primadonna assoluta weiterlesen

Rolf Liebermanns “Leonore 40/45” als Hitler-Zirkus in Bonn

Viele Opern haben nicht überdauert. Dazu zählt auch Rolf Liebermanns “Leonore 40/45”, am Basler Stadttheater 1952 zwar unter großem Erfolg uraufgeführt, doch folgende Aufführungen in Deutschland führen zu „Publikumsaufständen“ (Ulrich Schreiber). An der Mailänder Scala wird sogar mit eisigem Schweigen reagiert. Liebermanns erster Opernversuch verschwindet also von der Bildfläche. Woran hat es gelegen? Damit hat sich das Theater Bonn intensiv auseinandergesetzt und, gefördert vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft, zur Premiere ein opulentes Programmheft mit vielen Beiträgen herausgegeben. Vor allem: nach 62 Jahren ist „Leonore 40/45“ in der Regie von Jürgen R. Weber erstmals wieder über eine deutsche Opernbühne gegangen! Eingeleitet von einer beim Kulturwissenschaftler Thomas Bauer bestellten Festrede. Denn mit „Leonore 40/45“ ist die Reihe Fokus 33 (Opern, die nach 1933 verschwunden sind, sollen in Bonn neu diskutiert und aufgeführt werden) eröffnet worden. Und neben einem Kreuz mit Totenkopf unter Soldatenhelm hat Thomas Bauer gegen die ABC-Waffen (Aida, Bohème und Carmen) und den Einerlei-Kanon im heutigen Operngeschäft zugunsten von mehr Vielfalt das Wort geredet. (Von Sabine Weber) Rolf Liebermanns “Leonore 40/45” als Hitler-Zirkus in Bonn weiterlesen

Der WDR Rundfunkchor beglückt mit Mozarts großer Messe in c-moll in der Kölner Philharmonie

Kann eine Messe beglücken?  Oh ja – wenn ein Genie wie Mozart es komponiert. Und das Kammerorchester Köln mit seinem Dirigenten Christoph Poppen es so interpretiert wie am Sonntagmorgen in der Kölner Philharmonie. Der WDR Rundfunkchor und die beiden Gesangssolistinnen brillieren! (Von Jukka Höhe)

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40 Jahre Jaro-Medien! Und Gründer Uli Balß ist noch immer enthusiastisch

(Titelfoto: Uli Balss vor der Abbildung eines Schiffes, das Auswanderer nach Amerika gebracht hat. Musikvorlieben waren oft mit im Gepäck, was zu den Stilamalgamierungen führte, wie sie auf einigen Jaro-Aufnahmen nachzuhören sind)

Uli Balss hat das Label Jaro-Medien 1981 gegründet und ist bis heute künstlerischer Leiter und Promoter. Für 280 Produktionen mit mehr als 50 Musikerinnen und Musikern zeichnet er verantwortlich. Dafür hat er Ensembles weltweit gewonnen, den bulgarischen Frauenchor Angelite, der zweimal für den amerikanischen Grammy nominiert wurde, die Warsaw Village Band, die 2004 mit dem BBC World Music Award geehrt wurde, den pakistanischen Qawwali-Sänger Nusrath Fateh Ali Khan, der 1995 mit dem Musikpreis der UNESCO ausgezeichnet wurde, oder das New Yorker Sextett Hazmat Modine, das Jazz, Blues, Klezmer im Schmelztiegel der American-Root-Musik anrührt. 40 Jahre Jaro-Medien! Und Gründer Uli Balß ist noch immer enthusiastisch weiterlesen

Die Isarphilharmonie: Ein glorioses Provisorium ist eingeweiht

Er war zu Recht stolz wie Bolle, als er das festliche gestimmte Publikum zum Eröffnungskonzert der neuen Isarphilharmonie in München begrüßte: Max Wagner, Chef des Kulturzentrum Gasteig und damit Bauherr dieses fantastischen, in anderthalb Jahren für nur 40 Millionen gebaute Ausweich-Quartiers für „sein“ Haus. Es beherbergt neben der Philharmonie auch Zentral- und Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, die Hochschule für Musik und Theater sowie die Münchner Volkshochschule. Alle werden im HP8, so genannt nach der Adresse Hans-Preißinger-Straße 8 in Sendling, für die vielen Jahre Unterschlupf finden, in denen der Gasteig mit seinem großen Konzertsaal radikal saniert und umgebaut wird. (Von Klaus Kalchschmid) Die Isarphilharmonie: Ein glorioses Provisorium ist eingeweiht weiterlesen

Beim ARD-Musikwettbewerb: sensationelle 368 Gesangsbewerbungen!

(Titelbild: Anastasiya Taratorkina und das Münchner Rundfunkorchester unter Matthias Foremny. Foto: Daniel Delang) Endlich hat der Internationale Musikwettbewerb der ARD nach einem Jahr pandemiebedingter Aussetzung wieder stattgefunden. Wenn auch in den 1. Runden nur digital, in der 2. Runde nur vor der Jury und ausgewähltem Fachpublikum, leider nicht wie sonst vor begeistert mitfiebernden Zuhörern im vollbesetzten Saal. Alle Semifinali und Finali in den Fächern Klavierduo, Geige, Gesang und Horn konnten dann aber vor Publikum in Herkulessaal und Prinzregententheater vor Publikum stattfinden. Nach 14 Tagen Dauereinsatz und –berichterstattung mit etwas Abstand jetzt das Resümée eines wahrhaft starken Jahrgangs, der gezeigt hat, wieviel Potenzial bei hervorragenden jungen Musikerinnen und Musikern seit März 2020 brach liegen musste und jetzt vital hervorbrach. Die Semi-Finali und Finali sowie die drei Preisträgerkonzerte können übrigens als kostenloses Video on Demand abgerufen werden. In der ARD Mediathek ist ein ttt-extra von Michael Wende zum 70. ARD-Musikwettbewerb zu sehen, das am 19. September auch im Ersten ausgestrahlt wurde. (Von Klaus Kalchschmid) Beim ARD-Musikwettbewerb: sensationelle 368 Gesangsbewerbungen! weiterlesen

Glucks „Orfeo“ in der Parma-Fassung mit Kabarett, dazu Dressmanshow mit Spitzentönen bei den Gluckfestspielen

Sie sind in Franken und beim TV-Fasching legendär: Waltraud und Mariechen, das Kabarettisten-Travestie-Duo mit den echten Namen Volker Heißmann und Martin Rassau. Nun kalauern sich die beiden brillant durch die Eröffnung der diesjährigen Gluck-Festspiele vor dem Vorhang des neobarocken Stadtheaters Fürth. Im verbalen Dialekt-Pingpong machen sie deutlich, dass nicht Jacques Offenbachs „Orpheus“ auf dem Programm steht („Schood, ich had mich ächt auf den Kang Kang gefreut“) und der Sänger der Titelpartie von Glucks „Orfeo ed Euridice“ eben erst in Bayreuth aufgetreten sei: „Naa, ned oben im Feschbielhaus, sondern drundn im Markgräflichen Obbernhaus!“ (Von Klaus Kalchschmid)

Bruno de Sà. Foto: Khrystyna Jalowa

(16./17. September 2021 Gluckfestspiele, Fürth, Neumarkt) Ein männlicher Sopran wie Bruno de Sà kann die Partie, die einst Soprankastrat Giuseppe Millico 1769 in der Parma-Fassung verkörperte tatsächlich singen. Gluck hatte seinen Orfeo sieben Jahre zuvor für Wien für einen Altkastraten komponiert. Diese Urfassung wird heute meist gesungen, von einem weiblichen Mezzo, oder Countertören wie Franco Fagioli, Philippe Jaroussky oder Bejun Behta.

Die Parma-Fassung entstand für die Hochzeit von Erzherzogin Maria Amalia mit Herzog Ferdinand von Bourbon-Parma sogar als ein mehrteiliges musikalisch-theatralisches Spektakel. Le feste d’Apollo heißt es und Atto d’Orfeo (Parma-Fassung) ist der abschließende Teil davon. Nach der von Gluck 1774 grundlegend für Paris und einen hohen Tenor auf Französisch veränderten Fassung ist die sogenannte „Parma-Fassung“ bis heute die am seltensten aufgeführte. Denn die hier um eine Terz oder gar eine Quart nach oben transportierte Soprankastratenpartie liegt den meisten Countertenören zu hoch, einem Bruno de Sà oder Samuel Mariño, der ursprünglich vorgesehen war, dagegen fast zu tief!

Sà musste vor zwei Wochen die Partie von Grund auf lernen, um sie nicht nur musikalisch in die Stimme, sondern auch in den Körper zu bekommen. Denn geplant war eine auswendig gesungene konzertante Version mit einem Hauch von Szene mit Samuel Mariño. Der hatte wohl wegen seines Lieder-Recitals abgesagt. De Sà schien leider gesundheitlich angeschlagen. Das hat zu Nervosität geführt und manchmal mangelnder Tragfähigkeit der Stimme in Mittellage und Tiefe. Die Spitzentöne strahlen dennoch stets wunderbar. Als Sà einmal einen hohen Ton ohne Vibrato mit immer mehr Lautstärke und vibrierendem Klang vom Pianissimo ins Fortissimo steigert, geht ein Raunen durch die Reihen.

Ihm zur Seite steht eine feine, ihr Unverständnis ob des scheinbar gefühllosen Mannes immer stärker artikulierende Euridice in Gestalt von Georgina Melville und als Amor der sicher und kraftvoll agierender Knabensopran Cajetan Deßloch von den Tölzern. Dessen musikalischer Leiter ist der Dirigent dieses Abends und der neue Festival-Leiter seit dieser Saison, Michael Hofstetter. Er trägt mit dem auf Originalklang-Instrumenten spielenden Händelfestspielorchester Halle prägnant musizierend den Abend, während das fünfköpfige Calmus Ensemble, manchmal erweitert um den Kammerchor Josquin des Préz, schöne junge Stimmen mit Ausdruck hören, aber doch auch manchmal die chorische Mischung vermissen lässt.

Michael Hofstetter, Leiter der Gluckfestspiele. Foto: Stuart Armitt

Tags darauf staunt das Publikum im Neumarkter Reitstadl: Denn da durfte es hören, was für ein großartiger Orfeo der Venezulaner Samuel Mariño wohl gewesen wäre. Er singt das berühmte „Che farò senza Euridice“ nach Ende des offiziellen Programms nicht nur brillant, sondern lebt die tiefe Verzweiflung des thrakischen Sängers über den erneuten Verlust seiner Geliebten in jedem Ton und mit jeder Faser seines Körpers aus. Das ist überwältigend, wie der ganze Abend, ebenfalls mit dem Händelfestspielorchester Halle unter Michael Hofstetter. Das spielte sogar noch um einiges packender und knackiger als tags zuvor, lässt sich von Mariño wohl auch infizieren.

Samuel Mariño. Foto: Khrystyna Jalowa

Der präsentiert das halbe Programm seiner aktuellen Debüt-CD bei Orfeo, aufgenommen im Oktober 2019. Also etwa „M’allontano, sdegnose pupille“ des Meleagro aus Händels Atalanta und „Quella fiamma“ aus dessen Arminio: ein herrlicher Wettstreit mit einer Solo-Oboe um die schönste Kadenz, die geilste Verzierung und den glanzvoll ausgehaltenen hohen Ton, immer wieder kulminierend in einem dreigestrichenen C, das sogar manch‘ weiblichem Sopran schwerfällt.

Dazu trägt Mariño erst ein silbrig schimmerndes Sakko über nackter Haut, später für Gluck dann ein dunkles Sakko über schwarzem, durchsichtigen Netzhemd. Und auf seinen Plateau-Schuhen stolzierte er elegant viril-feminin, als wären’s High Heels.

Nach der Sinfonia aus Glucks Antigono folgt fulminant verkörpert die große Szene der Berenice („Berenice, che fai“) und „Care pupille“ aus Il Tigrane. Jede Koloratur sitzt perfekt, jede Verzierung girrt, jeder Triller vibriert sexy dazu eine perfekt tänzelnde Bühnen-Show. Eine Kreuzung aus Cecilia Bartoli und Michael Jackson könnte er genannt werden. Und flirtet auch mal mit dem Cellisten im Orchester.

Am Ende gibt Mariño außer der Klagearie des Orpheus noch zwei weitere Zugaben, darunter eine herrlich vital gurrende und noch eine ganz intime, leise Händel-Arie: „Care selve“ des Meleagro aus Atalanta – nur mit Begleitung von Laute und Cello!

Im nächsten Jahr gibt es im Mai bei den Gluck-Festspielen unter anderem zwei szenische Produktionen von Gluck-Opern im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth und im Stadttheater Fürth. Die Besetzung soll hochkarätig und international sein. Details werden im Herbst bekanntgegeben.

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