Marta Torbidoni, Ernesto Petti und Yong Woo Kim aus dem Kölner Ensemble adeln Verdis „Nabucco“

Und auch das Gürzenich-Orchester präsentiert sich unter dem gebürtigen Römer Sesto Quatrini in Köln als vorzüglich. Es wird in formvollendeten dynamisch differenziert gestalteten Melodiebögen bis zum letzten Ton ausmusiziert. Die Verdische Verve ist rhythmisch auf dem Punkt (bis auf die Triangel, die aus keinem Grund schleppt), und immer ohne zu hetzen. Die kammermusikalischen Momente, auch nur mal mit einem Violoncello wird begleitet, sind hinreißend. Dieser Verdi klingt, dass man glatt vergisst, noch immer in der Kölner Behelfsoper im Staatenhaus zu sitzen. (Von Sabine Weber)

(13. Dezember 2024, Oper im Staatenhaus, Köln) Die wievielte Vorstellung ist es  eigentlich? Am 1. Dezember war Premiere. Jedenfalls passiert in dieser richtig gut besuchten Aufführung auch wieder Bemerkenswertes. Während das Publikum zur Pause ins Foyer drängelt, proben die sechs Violoncelli schnell nochmal ihr Sextett für nach der Pause. Traumhaft schön, man sieht sogar die Musiker, denn das Orchester sitzt ebenerdig vor der Panoramabühne. Frau vergisst, im Stau zu stehen. Und diesem entkommen, lehnt frau sich kurz auf die Abtrennung zwischen Publikumsweg und Orchesterplätze, um glücklich zu lauschen.

Marta Torbidoni (Abigaille), Young Woo Kim (Ismaele), Aya Wakizono (Fenena). Foto: Thilo Beu
Und der Kölner Opernchor – wieder mal erstklassig

Nach dem tobendem Schlussapplaus, die Blechtore statt Vorhang sind bereits zugeschoben, schmettert der Chor den berühmten Chorgesang auf „Va, pensiero, sull‘all‘ali dorate“ nochmals heftigst aus dem Off. Das Publikum, wieder im Stau, lacht auf und applaudiert den begeisterten nicht zu sehenden Chorsängern. Der berühmten Gefangenenchor zündet immer. Mit der Nabucco-Premiere 1842 in Mailand stieg er beriets zur patriotischen Freiheitshymne auf und beginnt in dieser Produktion zunächst rafitückisch aus dem Off. Nabucco sitzt als wahnsinnig gewordener in einem Käfig. Mit den Strophen zieht dann das bedrohte Volk der Hebräer ein, heutige Menschen, die aus irgendeinem Kriegsgebiet kommen könnten, und kommen jetzt dem gefallenen Gewaltherrscher bedrohlich nahe, der diesen Krieg ausgelöst hat.

Ein erlesener Verdi-Sänger-Cast

Nabucco ist eine Choroper. Und der Kölner Opernchor, einstudiert von Rastam Samedov, stellt seine Erstklassigkeitauch in dieser Vorstellung mustergültig unter Beweis. Aber erst die Sängersolistinnen und Solisten. Marta Torbidoni ist eine ausgewiesene Verdi-Sängerin. Mit ihrer Rolle der Abigaille verkörpert sie eigentlich einen vielfach zurückgestoßenen, daher machthungrigen bösen Charakter. Mit der Torbidoni bekommt die Rolle aber auch Menschlichkeit, zudem die schönsten Töne und Koloraturen. Gewaltige Sprünge bewältigt Torbidoni mühelos und bleibt in jedem Register, jeder Dynamik, jeder Geschwindigkeit bewunderungswürdig dramatisch und klangschön. Warum nur hat Verdi diesem gebrochenen Charakter, die wahrlich aus dem Rahmen fallenden schönsten musikalischen Momente geschenkt? Ernesto Petti, gebürtig aus Salerno, ist ebenfalls ein Spezialist des italienischen Opernfachs. Er hat sich in der Puccini-Stadt Torre del Lago an der Accademia di Alto Perfezionamento den Feinschliff geholt. Und überzeugt hier hingebungsvoll, mit viel Schmelz und großem Affekt in seiner Caballeta „Dio di Giuda“ und ist auch optisch ein eindrucksvoll schöner Despot.

Young Woo Kim – Weltklassformat

Die größte Überraschung kommt aber aus dem  Ensemble. Young Woo Kim als Ismaele. Der Koreaner hat sich aus dem Kölner Opernstudio herausgearbeitet und Weltklasseformat entwickelt! Mit müheloser Kraft stattet er seiner Rolle des Geliebten im falschen Lager – er liebt Nabuccos Tochter Fenena und wird deshalb des Verrats bezichtigt,  ohne übermäßiges Brustdrücken, und überflügelt doch an einigen Stellen sogar den Chor.
Lucas Singer, ebenfalls aus dem Ensemble als assyrischer oder babylonischer Oberpriester, wie auch Claudia Rohrbach und John Heuzenroeder ergänzen die Ensembleleistung. Evgeny Stavinsky und Aya Wakizono als Zaccaria und Fenena sind wiederum Gäste.

Ein Cimbasso…

Dieser Verdi ist ein Ereignis. Und ich bekomme auch noch das Cimbasso von seinem Spieler erklärt, den ich einfach ansprechen kann. Dieser direkte Kontakt ist ja etwas Schönes im Staatenhaus. Also die ums Eck gelegte Röhren dieser Kontrabassposaune ist eine Erfindung der Verdi-Zeit, ergänzt den Posaunenchor, der schon in der Ouvertüre mit einem Choral berührt hat, und wird, hört, hört, vom Tubaspieler geblasen. Denn das Cimbasso hat keinen Posaunenzug, sondern Ventile und ein Tuba-Mundstück. Wieder etwas gelernt.

Verdi-Glück

Ob die Regie gut oder nicht gut, ist hier nicht kriegsentscheidend. Natürlich weiß Regisseur Ben Baur die Charaktere genau zu entwickeln und perfekt agieren zu lassen, der Chor wird einzgebunden und bewegt. Die Bühne ist eine Art Niemandsland aus Wänden und wird mal durch Treppenpodeste ergänzt und als Requisite ein 80er Jahre Stuhl oder besagter Käfig hineingeschoben. Ob es dabei um Macht oder Religion oder was auch immer geht, bleibt hier eher unbestimmt. Am Ende liegen die Machthaber, Machtstreber sowie Religionswächter, eben die Drahtzieher tot am Boden, Nabucco, der Oberpriester, Zaccaria, Abigaille, aber auch Fenena. Sei‘s drum. Das Drama ist die Musik. Hier überzeugt Verdis Musik, für den dessen Anwalt Sesto Quatrini ausgezeichnet plädiert. Allein die vier Hörner links, die 26 Meter entfernt von ihren Posaunenblechkollegen rechts sitzen, zu koordinieren, ist eine Leistung. Es funktioniert alles. Auch das durchgängige Augen-schließen, um nur zu lauschen, es fehlt fast nichts an diesem Verdi-Glück …

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