Konwitschnys Dortmund-Ring im Finale!

Heribert Germeshausen hat es vollbracht! Bereits am Beginn seiner Dortmunder Intendanz 2017 hat er den Wagner-Kosmos ausgerufen. Durch die Fährnisse von Corona oder Karfreitagsverbote hindurch bugsiert, ist „Der Ring des Nibelungen“, inszeniert von Peter Konwitschny, geschlossen worden. Letztes Wochenende ging im Rahmen des Wagner-Kosmos Teil V der erste von zwei Ring-Zyklen an vier Tagen hintereinander über die Bühne. (Von Sabine Weber)

Siegfrieds Tod. Ks. Samuel Youn, Joachim Goltz, Daniel Frank, Opernchor Theater Dortmund und Projekt-Extrachor. Foto: Thomas M. Jauk

(23./25. Mai 2025, Theater Dortmund) So voll ist die Dortmunder Oper ja noch nie gewesen. Siegfried und Götterdämmerung sind ausverkauft. Keine orangefarbenen Spinde sind mehr frei. Aber Gott sei Dank ist draußen für die beiden 40- bis 50-minütigen Pausen eine Getränke- und eine Würstchenbude aufgefahren. Letztere verkauft natürlich keine Currywurst oder Thüringer, geschweige denn Pommes Frites. Schließlich gibt es in den Bayreuther Pausen auch nur Rostbratwurst.

Dortmunder Ringschmied: Peter Konwitschny

Den Wagner-Kosmos nimmt man in Dortmund ernst. Der 5. Wagner-Kosmos ist gefüllt mit Vorträgen, Interviews und Gesprächsrunden. Dabei die aus der Szene altbekannten Gesichter und Gewährsleute. Es geht ja auch mal wieder um Wagner-Rezeption, Kunst und Gesellschaft, aber auch die Oper im Gottesdienst. Der Dortmunder Ringschmied Peter Konwitschny wird in diesem Kosmos natürlich eigens befragt. Dazu lädt man Ingo Metzmacher ein, mit dem Konwitschny eine unvergessene Ära am Hamburgischen Staatstheater geprägt hat. Ich erinnere mich noch gut an den wilden Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny mit dem knallgelben Bananensofa.

Amüsant, komisch im besten Sinne

Typisch 80er und 90er Jahre. Die Ästhetik Konwitschnys könnte inzwischen in die Jahre gekommen sein. Manchmal fragt man sich: wie lange macht der Altmeister es noch? Aber Konwitschny hat tatsächlich noch etwas zu sagen. Auch in seinem ersten Wagner-Ring, der durchaus amüsant unterhält und komisch im besten Sinne ist.

„und wenn Bayreuth anfragte…?“

Es wird übrigens sein einziger bleiben. Ein und dasselbe Bühnenwerk mache ein Konwitschny nämlich nur einmal. „Wahrscheinlich!“, ergänzt er vorsichtig. Jedes Musiktheater ginge ihm eben so tief… „Und wenn Bayreuth jetzt anfragte?“ –  „Gerade für die nicht, denn ich als Regisseur brauche doch Unterstützung.“ Kein weiterer Kommentar…

Sechs Harfen

In Dortmund hatte Konwitschny jedenfalls die volle Unterstützung des Intendanten. Germeshausen verbucht für sich jetzt auch den wahrscheinlich einzigen Konwitschny-Ring. Weniger euphorisch war wohl der Dortmunder Generalmusikdirektor. Von dem wünschte sich Konwitschny für die Finali sechs sichtbare Harfen. Jeweils drei in den Proszenien rechts und links. Gabriel Feltz monierte schon bei der ersten Ringoper-Realisation, dass zwei Harfen aber schon früher spielen müssten. Das hätte den Bühneneffekt vorweggenommen und die geballte Wirkung zerstört. Also spendiert Germeshausen zwei weitere Harfen für den Graben aus eigener Tasche.

Einzig für die Liebe

Die goldigen Proszeniums-Harfen werden also im richtigen Moment ausgepackt und sind ein Super-Effekt in den filmmusikalisch immer wieder grandios auffahrenden Schlussmusiken. Auch im Siegfried und der Götterdämmerung gibt es mit den Zaubersaiten wieder besonderes Licht, schon allein, weil die Instrumente glänzen. Es geht die Sonne auf und eine Vision wird getragen. Brünnhilde gibt in ihrem letzten Schlussmonolog Erfahrung und Wissen preis, lässt Götter, Gesetz und Welt fahren, einzig für die Liebe!

Wagners letzte Bühnenanweisung im Ring

Statt Flammenmeers, brennender Walhalltore und eines über die Ufer tretenden Rheins wird der Vorhang runtergelassen und Richard Wagners letzte Bühnenanweisung zu dieser Szene wie ein Filmabspann geblendet. Gut so, denn das luftgetriebene Stoffflammenfeuer im Siegfried war doch ziemlich zu laut.

Jede Oper nur einmal

Die Götterdämmerung ist eine Übernahme aus dem legendären Stuttgarter Zehelein-Ring und feierte dort schon 2000 Premiere. Der Ring wurde damals nämlich mit vier unterschiedlichen Regisseuren umgesetzt. Eine Versuchsanordnung, für die Konwitschny im Bühnenbild und mit den Kostümen von Bert Neumann den letzten Teil inszenierte. Der vollendet jetzt nach einem Vierteljahrhundert den Dortmunder Ring. Wie gesagt, jede Oper macht Konwitschny ja nur einmal!

Verrat!

Erstaunlich ist, wie modern das Bühnenbild mit der Hallenkonstruktion und schwarzem Plastiküberzug auf der Drehbühne noch heute wirkt. Die Ästhetik der darin eingebauten Feuerfelsenszene mit am Tisch wartender Brünnhilde, die vor Alpenlandschaft „mit ohne Hirsch“ auf der Tapete, zwei Gläser, Flasche und die Vase immer wieder zurechtzupft und schiebt, wirkt zunächst verstaubt. Mit dem Erscheinen des als Gunter verkleideten Siegfried, der sich gelackt mit dem Kamm durchs Haar streicht, fällt mit einem Krach die Kulisse zusammen. Das wiederum ist ein ungeheurer Effekt. „Verrat!“, ruft Brünnhilde aus, die zuvor noch die Liebe beschworen hat. Eigentlich war Siegfried nicht verkleidet, er hat sich nur unter den Anzugmenschen der Gibichungen verwechselbar gemacht.

Die Reihenfolge durcheinander gewirbelt

Konwitschny hat übrigens alle Teile der Ring-Tetralogie unabhängig voneinander mit einem anderen Bühnen- und Kostümbildnern umgesetzt. Und auch die Reihenfolge durcheinandergewirbelt. Ob das sinnvoll ist oder nicht, es funktioniert. Die erste Dortmunder Arbeit ist die Walküre (2022; Bühne und Kostüme: Frank Philipp Schloeßmann) Es folgten Siegfried (2023; Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker), dann Rheingold (Bühne und Kostüme: Jens Kilian). Die Götterdämmerung – älteste Inszenierung – wird zuletzt erarbeitet.

Tragikomisch

Aus diesem Schlusslicht verwendet Konwitschny einige Details. Das Friedel der Götterdämmerungs-Rheintöchter ist ein Teddybär in Menschengröße und tritt auch am Anfang von Siegfried auf, wo es ziemlich kindisch wirkt. Der Siegfried-Mime, Ks. Matthias Wohlbrecht, ist dem Helden ja „Vater und Mutter zugleich“, wie er im Libretto erklärt. Er bekommt den geblümten Oma-Kittel verpasst, mit dem Bert Neumann in Stuttgart die Hoffrauen der Gibichungen (hier der Dortmunder Chor und Extrachor) ausgestattet hat. Bieder, jawohl. Und einen typisch biederen Nachkriegswitwenhaushalt führt der weibische Mime auch. Bei Ratlosigkeit wird gefegt, dann zur Schnapsflasche gegriffen. Siegfried, Daniel Frank, mit Hippie-Stirnband und langen Haaren, versucht, nämlich Details seiner Kindheit in Erfahrung zu bringen. Als Wotan, Thomas Johannes Mayer, wie ein US-amerikanischer Truck-Fahrer in Sneakers und Fliegerseide mit Käppi, einfällt und Mime ein unbequemes Quizspiel aufdrängt, gestaltet Konwitschny das als herrlich banale Küchenszene. In minutiös umgesetzten Details wird das Erzählte verlebendigt. Denn davon leben schließlich alle Ring-Tetralogie-Teile. Diese Erzählungen machen sie autark. Heißt, die eigentlichen Gegner Mime, der Schwarzalbe, und Wotan, der Lichtalbe, durchleben mimisch gestisch voreinander ungeniert aus, was ihnen bei der Erinnerung schmerzlich unangenehm aufstößt. Durch den Alkohol haben sie die Distanz verloren, verbrüdern sich bei jeder Schnaps- und Fragerunde mehr und wanken gleichermaßen betrunken, und das gekonnt, in und aus der Hütte mit Waldtapete hinaus. Das ist tragikomisch und dramaturgisch perfekt gelöst.

Zitate

Das Herunterbrechen komplexer Gemengelagen driftet bei Konwitschny selten ins Klamaukhafte ab. Eine Matraze wird zum Entdeckungspuzzleteil, wenn darauf plötzlich der Blutfleck entdeckt wird, der auf seine Geburt hier am Platz hinweist, wie Siegfried erfährt. Vielleicht sind einige Requisiten irritierend. Die Steinzeitfellkleidung Siegfrieds, die ein Zitat aus dem Steinzeit-Rheingold  ist. Ebenso das Steckenpferd, auf dem Siegfried bei den Gibichungen (am Rhein) ankommt. Dieser Siegfried mit romantischem Germanen-Helm ist hoffnungslos aus der Zeit gefallen und bekommt daher bei den Gibichungen den Anzug und auch eine neue Gesinnung verpasst. Seltsam fremd wirbelt Siegfrieds Schwert im Bild. Nothung bekommt auch ein Konwitschny einfach nicht quitt!

Oper ist kein Klimbim

Bei der Personenregie zeigt sich der Altmeister von seiner besten Seite. Dazu gehört ja auch die Kunst, das körperlich zu vermitteln. (Siehe Klassikfavori-Reportage mit Konwitschny Oper ist kein Klimbim) Und Konwitschnys Sache sind die gebrochenen Charaktere wie Mime, Alberich oder der in sich zerrissene Herrencharakter des Wotan.

Die Sängerdarsteller gehen in ihren Rollen auf

Die Sängerdarsteller sind in Dortmund allesamt großartig und gehen in ihren Rollen auf. Allen voran Stéphanie Müther, die als Brünnhilde mühelos die nicht selten zu lauten Dortmunder Philharmoniker übertönt. Und immer wieder spielt sie auch ihr weiches Timbre aus, wie beispielsweise beim Besuch der Walkürenschwester Waltraut, Anna Lapkowskaja, auf dem Feuerfelsen. Das ist eine der vielen hochdramatischen und mimisch gestisch ausdifferenzierten Szenen, hier der Götterdämmerung, in der Wotan leider nur noch erwähnt wird. Thomas Johannes Mayer hätte man gern noch einmal als aufdringlich herrischen Wotan leibhaftig erlebt. Wie er Erda, Melissa Zgouridi, sie taucht aus der Kühltruhe in einer Containerlandschaft auf, einfach den Stecker zieht, ist auch wieder tragikomisch. Ks. Matthias Wohlbrecht als Mime mit genauer Artikulation und regelrechter Spielwut, springt mehrmals behände durchs Küchenfenster nach draußen. Ks Morgan Moody als Donner im Rheingold, trumpft im Finale als Alberich auf, artikuliert ebenfalls überdeutlich und verfällt als einziger, wie von Wagner auch gewollt, ins obsessive Sprechen. Im Siegfried in abgehalftertem Frack als Rocky-Horror-Picture-Figur und als Nosferatu-Replik in der Götterdämmerung.

Die Bühne bebt

Ein stimmlicher Höhepunkt sind Joachim Goltz als Gunter neben Ks Samuel Youn als kühl zurückhaltender Hagen. Im Rache-Trio mit Stéphanie Müther bebt die Bühne! Wie Joachim Goltz den schwächlichen Gunter mit Ticks, verlegenem Zupfen am Revers oder Jackenschoß oder Kauen auf dem Seil deutlich macht, ist gekonnt. Im Rheingold war er ein überragender Alberich und lässt als Gibichungen-Chef wieder enorme Stimmkraft mit Diktion in tenoraler Basshöhe hören. Dazu gesellt sich Youns drohende Basstiefe. Besondere Erwähnung verdient noch Daniel Frank, der seine Siegfriedpartien stimmlich glänzend durchsteht. Vielleicht hockt er einige Male zu oft im Schneidersitz auf dem Boden  … Mit dem simpel jugendlichen Draufgänger und seinem einfachen Gemüt hat Konwitschny so ein bisschen Mühe.

Ein Trauermarsch durch Mark und Bein

Der Chor ist szenisch aktiv eingebunden und begleitet in erschreckten Ausrufen die Verwerfungen einer widerständigen Hochzeitsszene oder steht bei Siegfrieds Tod eingefroren da, während der Trauermarsch Mark und Bein erschütternd aus dem Graben fährt. Die Dortmunder Philharmoniker hätte man sich an einigen Stellen etwas sensibler, auch feinfühliger gegenüber den Sängern und auch von der Intonation her sicherer gewünscht. Vielleicht lag es daran, dass einige Solisten wegen eines Unfall- verursachten Staus zu spät eintrafen, weswegen sich die Anfangszeit auch um eine halbe Stunde verzögerte. Aber im Zyklus II haben sie noch eine zweite Chance. Das Publikum war indes mehr als zufrieden und raste nach jedem Abend…

29. Mai, Walküre , 31. Mai Siegfried , 7. Juni Das Rheingold , 8. Juni Siegfried, Götterdämmerung, 9. Juni 2025

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