In der Zauberoper „Rinaldo“ wird bei den Händel-Festspielen Karlsruhe wirklich mit großer Bühnenmagie gezaubert

Valeria Girardello. Foto: Reli Grünschloß

Die diesjährigen Händel-Festspiele Karlsruhe sind vor ausverkauftem Haus eröffnet! Großer Jubel, denn die Liebeskapriolen von Kreuzritter Rinaldo spielen sich in der diesjährigen Eröffnungspremiere vor spektakulärer Kulisse ab. Die historische Skyline Jerusalems setzt sich mithilfe darstellerischer Videokunstgriffe nicht nur in eine Tiefenlandschaft fort. Im Laufe der vier Stunden gerät die Bühne in magische Strudel, wird zum Theater auf dem Theater mit wogendem Wellenspiel von Theatersesseln. Und Fassaden weinen sich sogar weg. (Von Sabine Weber)

(21. Februar 2025, Badisches Staatstheater Karlsruhe) Erst einmal irritiert ein aufgestelltes Porträtbild vor dem Eingang zum Theaterraum. Bernd Feuchtner war Interimsintendant der Händel-Festspiele Halle (seit 2023) und von 2011 bis 2014 auch Chefdramaturg hier am Badischen Staatstheater, sogar mal Leiter der hiesigen Händel-Festspiele. Er sollte dieses Jahr als Jury-Mitglied im erstmals ausgetragenen Farinelli-Wettbewerb für Countertenöre antreten. Bestellt vom neuen Leitungsteam der Karlsruher Händel-Festspiele Christoph von Bernuth, Stephanie Twiehaus, Oliver Kerksen! Mit 75 Jahren ist er vor knapp einer Woche gestorben.

Vergessen-machende Zauberwelten
Lawrence Zazzo, Statisterie des Badischen Staatstheaters. Foto: Felix Grünschloß

Da lässt man sich um so lieber in eine vergessen-machende Zauberwelt sinken, auch wenn Jerusalem auf der Karlsruher Bühne umkämpft ist. Allerdings mit einer grandiosen Videokunst und gekonnter Lichtbildregie. Beeindruckend, wie perfekt Sven Stratman die Jerusalemer Skyline mit Wolkenmeeren belebt, Vogelschwärme loslässt oder magische Lichtbildstrudel erzeugt, die für die Seelenzustände der Protagonisten stehen. In Glutrot wird ein aufgemalter steinerner Theaterbogen getaucht, vervielfältigt sich durch weitere – mehrmals hintereinander in Raumperspektive heruntergelassen – und wird zum Höllentor. Man kann die grandiosen Bildeffekte, aber auch die kleinen komödiantischen Einfälle gar nicht alle aufzählen!

Liebesirrungen und Wirrungen

Die Handlung von Georg Friedrich Händels Rinaldo lehnt sich zwar an Tassos berühmtes Kreuzfahrer-Epos Gerusalemme liberata von 1575 an. Aber anders als die Grand Opéra im 19. Jahrhundert wendet sich die Barockoper keinen historischen Konflikte zu. Händel geht es auch in dieser letzten Rinaldo-Überarbeitung, 30 Jahre nach der erfolgreichen Londoner Erstaufführung von 1711, immer noch nur um Liebesirrungen und -Wirrungen.

Knatschroter Samt

Die beschämend verbrämte Kreuzzuggeschichte der einfallenden Christen in die arabisch-muslimische Welt, inzwischen als geostrategisches Ausbeutungsunternehmen entlarvt, ist also allenfalls Couleur. Hinrich Horstkotte, für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich, verzichtet weitgehend auf religiöse Zeichensetzungen wie Halbmond oder Kreuz. Horstkottes Kreuzritter treten zwar in Kettencolliers mit Helm auf, tragen weiß, Blut-verschmiert ist ein kleiner Hinweis, aber ohne Kreuz. Und Kreuzfahrer-Superheld Rinaldo ist unter seinem weißen Umhang in knatschroten Samt verpackt, der bis in die Fußgamaschen übergeht. Dieser tolle Held im Zentrum, der lieber liebt als kämpft und an Ruhm und Kampfesmut erinnert werden muss, ist zum Schießen. Denn Countertenor Lawrence Zazzo, der vielleicht seine stimmlich beste Zeit schon hinter sich hat, vermag bis in grimassierende Details hinein die Verrücktheit des Titelhelden darzustellen, ohne je in blöden Klamauk zu verfallen. Und er bewältigt die gewaltige Partie routiniert-bravourös. Bei der Arie Cara sposa liegt ihm das Publikum natürlich zu Füßen.

Ein himmlischer Händeleffekt

Suzanne Jerome als Almirena stiehlt ihm mit einer unglaublich charmanten Bühnenpräsenz, einer klaren, wunderbar-timbrierten Stimme,  bis in die Höhen koloraturenstark, fast die Show. In ihrer Augelletti-Arie zwitschern sogar reale Vögel zu der sie begleitenden Piccoloflöte und den beiden Blockflöten, die nur von einer Bratsche als Continuo-Instrument gestützt werden. Ein himmlischer Händeleffekt. Und die gefiederten Liebesboten sind natürlich auch im Bild! Für ihre große Arie im letzten Akt klettert Suzanne Jerome bezaubernd singend sogar in den Orchestergraben und bezirzt Dirigent und Orchestermusiker. Gerade ist sie glücklich aus der Hölle befreit worden.

Die Hölle

Die Hölle, das sind die muslimischen Gegner, schwarz vermummte Dschihad-Kämpfer wie aus einem Videospiel oder aus Karl Mays Durch das wilde Kurdistan (Statisterie: Oliver Reichenbacher). Ein Patronengürtel hängt den Statisten quer über dem Oberkörper, auch wenn es keine Schusswaffen gibt. Und ihr typisches Bewegungsarsenal: sie robben wie durch Wüstensand. Anführer Argante, eine Hosenrolle und mit Mezzosopranistin Francesca Ascioti besetzt, trägt wiederum eine Art Mongolenhelm und Pluderhose. Die Farbregie verordnet dunkelblau-gold.

Vorurteils-Klischees

Gefährlich nah ist da die Regie an sämtlichen Vorurteils-Klischees westeuropäischer Ober- und Untermenschen. Argante mit Spitzbart wackelt lächerlich, schaukelt unstet, bewegt sich kindisch und macht eingeschnappte Bewegungen. Weil eine Hosenrolle, ist die Figur schon optisch seinem Gegner-Chef Goffredo (Jorge Navarro Colorado), eine Anspielung auf Gottfried von Bouillon, dem ersten Kreuzzugführer, unterlegen. Beeindruckend groß, mit Ruhe und Beherrschtheit kanzelt er ab, so wie ein Torero seinen Stier erledigt.

Wolkenverkleideter Bühnenwagen im Himmel
Lawrence Zazzo (Rinaldo), Valeria Girardello (Armida). Foto: Felix Grünschloß

Weiß gut, oben! Schwarz die Hölle, unten, das drängt sich auf. Soll es auch. Denn hier geht es doch um eine märchenhaft-allegorische Figuren-Strategie. Und es fliegen wie schon damals bei der Uraufführung sogar wolkenverkleidete Bühnenwagen durch den Himmel!

Die magische Zauberwelt steht von der ersten Minute an derart im Vordergrund, dass historische Konflikte ihrer Realität enthoben werden, sich auch gar nicht aufdrängen. Die Bühnenregie und auch die Kostüme sind Teil eines turbulenten Strudels eines Liebesspiels. Und selbst Sarazenen/ Moslems/ Araber/ Bösmenschen, wie auch immer, werden überwältigt. Die Jerusalemlandschaft färbt sich dunkelschwarz, wenn die alte Zauberin-Bekannte Armida, durch einige Barockopern hat sie Berühmtheit erlangt, aus der goldenen Kuppel auftaucht, die sich wie Blütenblätter öffnet. Valeria Girardello in gewaltig-goldenem Kuppelrock beherrscht die Bühne und entfesselt Blitze. Windmaschine und Donnerblech arbeiten im Orchestergraben. Da ist was los!

Mit Händels Musik bekommen auch die Bösen Herzensbildung und sind der Empathie fähig. Im Bunde mit Argante verliebt sich Armida in Rinaldo (wie schon Händels Alcina in Ruggero).
Argante wiederum wird durch Almirenas Lascia ch’io pianga derart berührt, dass er sich in sie verliebt und sie befreit.

Umsonst abgearbeitet

Schlussendlich ist ja alles Einbildung! Die Regie lässt die Bühne am Ende leer, beziehungsweise Jerusalem ist zertrümmert. Im Lieto fine – weil es da auch den Schlusschor braucht – stehen alle Figuren beziehungslos verteilt auf entfernten Posten. Darunter ein zerrissener und abgehalfterter Rinaldo. Almirena tänzelt in ihrer Menuett-artigen letzten Arie nur noch um ihn herum und hält ihn mit Gesten von sich. Von Verliebtsein keine Spur mehr. Die Bösen sind besiegt, das war’s. Er hat sich umsonst abgearbeitet.

Die Deutschen Händel-Solisten irritieren

Vier Stunden hat dieser Händel! Nur die deutschen Händel-Solisten haben dieses Jahr enttäuscht. Was war da los? Selten perfekt zusammen, Unsauberkeiten auch beim Abphrasieren, bei Übergängen. Im Graben saß niemand auf der Stuhlkante. Der letzte Zacken fehlte dieses Jahr zum ersten Mal. Und dass bei der berühmtesten Händel-Arie Lascia ch’io pianga die Musiker wirklich bei jeder Orchesterwiederholung der berühmten Anfangszeile nicht zusammen sind, muss dem Dirigenten Rinaldo Alessandrini angelastet werden.


Weitere Vorstellungen (Details und Karten auf der Seite des Badischen Staatstheaters):

  • Sonntag, 23.2., 16:00 Uhr
  • Mittwoch, 26.2., 19:30 Uhr
  • Samstag, 1.3., 19:00 Uhr
  • Dienstag, 4.3., 19:30 Uhr

3 Gedanken zu „In der Zauberoper „Rinaldo“ wird bei den Händel-Festspielen Karlsruhe wirklich mit großer Bühnenmagie gezaubert“

  1. Ich war gestern in der Vorstellung und stimme in fast allen Punkten zu. Suzanne Jerome war grandios. Lawrence Zazzo als Rinaldo war eine Enttäuschung auf ganzer Linie, die Arien komplett versungen – es war teilweise eine echte Zumutung. Normalerweise schafft es Karlsruhe bei den Festspielen gerade die Countenöre mit neuen Stimmen zu besetzen. Schade dass das dieses mal so daneben gegangen ist. Ich hoffe für die Neuaufführung in 2026 ist diese Rolle neu besetzt.

    1. Sie sprechen mir aus der Herzen. Das hätte ein grandioser Opernabend werden können, aber die dermaßen schlechte sängerische Leistung des Rinaldo hat die ganze Vorstellung in Mitleidenschaft gezogen. Leider hat auch das Orchester meine Erwartungen nicht erfüllt. Schade.

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