Gegensätzlicher geht es nicht! In der ersten Premiere wird die Entstehung einer neuen Welt mit Erzengeln im Dress mit Zirkusdirektor-Anmutung, einer pantomimisch darstellenden Tanzgruppe und gigantischer Bild-Licht-Kostümshow (Chor) gefeiert (Regie: Melly Still). Am nächsten Premierenabend steuert Elektra im dunkel-nebligen Säulenwald unter gleißenden Neonröhren zielgerichtet auf das blutiges Finale zu. Der Klassiker Joseph Haydn – großartig dirigiert von Marc Minkowski! – und Bürgerschreck Richard Strauss – der GMD aus Ulm, Felix Bender, schlägt sich mehr als wacker – werfen ja auch die Orchestermaschinerie – bewunderungswürdig mal wieder das Gürzenich-Orchester in seiner Bandbreite – völlig unterschiedlich an. Kindlich-bunt verspieltes Lob auf unsere Welt trifft in Köln am zweiten Premierentag auf die meisterhafte Personenregie von Roland Schwab, die streng wahnhaft auf menschliche Konfrontation setzt. (Von Sabine Weber)
(5. und 6. Oktober 2024, Oper Köln im Staatenhaus) Die zwei Abende, letzten Samstag und Sonntag ergänzen sich also. Und mit dem hoffnungsfrohen Bonmot aus Haydns Schöpfungslibretto „und eine neue Welt entsteht“, hätte man mit der Hauseröffnung ja goldrichtig gelegen. Auch deshalb war die Saisoneröffnung so spät angesetzt worden. Die Hoffnung, sie könnte es doch noch ins neue Haus schaffen, ist längst begraben worden. Hoffen wir, dass Intendant Hein Mulders weiterhin gute Miene zum bösen Renovierungsspiel macht. Immerhin wartet die Oper, was Farben, Programmhefte und Plakatgestaltung abgeht, mit völlig neuem Design auf. Mitwirkende halten die neuen Marketingstrategien dabei für überbewertet. Auf den Plakaten wird weder Dirigent, noch werden Mitwirkende oder sonstige Details zukünftig bekannt gegeben. Farben und Operntitel reichen, lassen sich wirklich schön designen…
Marc Minkowski dirigiert Die Schöpfung großartig
Also doch neues wenn auch in der alten Welt. Statt François-Xavier Roth, der die Eröffnungspremieren leiten wollte, hat Marc Minkowski Haydns Oratorium übernommen. Ein mehr als genialer, perfekter Ersatz. Wie er zu Anfang und noch weitere zwei Male Klangmagie zelebriert, in der instrumentalen Einleitung zur Vorstellung des Chaos die Instrumente mischt, Klangbögen aufblühen und zusammenfallen lässt, um dann plötzlich auf architektonisch-klassisch á la Haydn umzuschwenken, ist großartig.
Akribisch auf die Musik zugeschnitten
Der Chor der Oper Köln marschiert beim ersten Auftritt mit auratischer Maskenaureole in schwarzen Kutten mit weißen Anzugkonturen als Geisterschar des Chaos auf. Und auch als er sich im Zuschauerraum verteilt, sind die Blicke Minkowskis rückwärts gewandt bei ihm. Musikalisch ist dieser Haydn von A- bis Z vom Feinsten. Die drei Solisten mit Engelsnamen sind die Erzähler. Kathrin Zukowski, Sebastian Kohlhepp und Alex Rosen als Gabriel, Uriel und Raphael formen auch ein exquisites Terzett und spielen als Conferencier, Playmaker oder Showmaster unter der Regisseurin Melly Still szenisch eine treibende Rolle. Unter dampfenden Regenschirmen läuten sie die Schöpfungstage ein und erläutern das Werk. Pantomimisch begleitet und verräumlicht dargestellt dann von einer siebenköpfigen Truppe, die modernen Tanz mit Pop- und Hip-Hop-Elementen mischt. Erst als schwarzes oder fleischfarbenes Körperbündel. Später als Menschen mit Schlabberhosen. Sie liefern zwar meist doppelnde Bilder zum bereits musikalisch Vollzogenen, dies aber doch akribisch auf die Musik zugeschnitten.
Dei Schaffung der Kreaturen bietet phantasievoll-witzige Tierparodien
Witzig sind ihre Tierparodien bei der Schaffung der Kreaturen. Eine steif gehende Bäuerin, die wiederkäut als Rind, das Ross mit fliegenden Männerhaaren „galoppiert“ mit eitlen Kopf-nach-hinten-Schwüngen herum. Der Insekten-Verkörperer trägt antike Fliegerbrille, rast von einem zum anderen und sprüht sein Gegenüber mit Insektenspray ein. Der Tiger mit Fellmütze auf Hüpfball erinnert an Janoschs Kinderbuchfiguren. Das Publikum schmunzelt. Und nochmals im letzten Teil, wenn Adam und Eva, André Morsch und Julia Montanari mit aufgemalten Lucas-Cranach-Köprern während ihres rührend dankbaren Lobliedes auf Gott den bei Haydn ja gar nicht vorgesehenen Apfel verschmähen.
Die für heutige Ohren dann peinlich wirkenden Sätze über sittsame Folgsamkeit und Unterordnung der Frau unter den Mann kommentiert der von Anfang an mittanzende Satan. Eher eine Art Kobold und Störenfried (Solotänzerin Francesca Merolla), die jedem mal in die Parade fährt. Sie haut sich den liegengelassenen Apfel gegen die Stirn, „Frau, bist Du dumm!“ und fällt dann fassungslos um. Das ist der witzigste Kommentar des Abends.
Das verlorene Paradies nach der Vorlage von John Miltons Paradise Lost kommt bei Haydn nicht vor. Hier wird, so man die Genderproblematik weglässt, ein fortschrittliches Menschenbild gefeiert. Heißt, der aufgeklärte vernünftige Mensch, Mann, der logisch denkt und fühlt und für die Schöpfung Verantwortung übernimmt. Dass der Futterneid allerdings zu Verwerfungen führt, wird angedeutet und weist auf die Ausbeutung, die der Mensch sich und der Welt antut. Ansonsten bleibt die Show ein kindlich-buntes, fantasievolles Treiben mit vielen lustigen, amüsanten Einfällen. Die Musik brauchte das nicht. Einige zeigten sich sichtlich gestört. Aber das Gros des Publikums reagierte mit Begeisterungsjohlen und heftigem Trampeln. Ein Kind hinter mir bekommt sich vor begeistertem Klatschen gar nicht mehr ein.
Nach 2011 eine neue Elektra in Köln
Die Elektra von 2011 – mit Catherine Foster in der Titelrolle, Dalia Schächter als Klytemnästra wie aktuell in der Zweitbesetzung nach Lioba Braun, Baritonstar und Bayreuthaufsteiger Samuel Youn als Orest, Réné Kolle verkörperte Aegisth – ist lange her aber noch in Erinnerung. Die Sängerbesetzung heuer hält am Premierentag zwei mit.
Die Bühne ist ein schwarze Pfeilerwald, ein Kellergefängnis
Die Mägde sind hervorragend aus dem Ensemble besetzt. In der Titelrolle gibt Allison Oaks ein gelungenes Rollendebüt und kann dem Gewaltigen ihres Gesangs innige, sogar sprachnahe Tongebungen entlocken. Ihre Schwester Chrysothemis als das lebensbejahende Prinzip in fleischfarben-hellbraunem Kleidchen ist mit Astrid Kessler charakterlich ebenfalls perfekt besetzt. Auch stimmlich lichter und feiner ist sie ein Gegensatz zur kompakt-schwarz hassenden Schwester. Die Dritte ist Mutter Klytemnästra, Lioba Braun als abgetakelte Klunker-Diva mit Gehstock, schon optisch durch ihre Riesenschleppe belastet. Um sie herum mühen sich angekettete Gestalten aus dem Hintergrund heraus ab. Anspielungen auf das Geschlecht der Tantaliden, die die Rache quält und aus deren Geschlecht die Atriden, Agamemnon-Elektra-Chrysotemis-Orest, ebenfalls fluchbeladen hervorgehen. Die Bühne ist ein schwarze Pfeilerwald, ein Kellergefängnis, das allenfalls Nebel kennt und dem Flüche innewohnen. (Bühne: Piero Vinciguerra)
Was ist Wahn, was Wirklichkeit?
Bevor die berühmten Agamemnon-Akkorde einschlagen und die sich hinter den Pfeilern einschleichenden Gestalten als Mägde entpuppen, die die Schande der Königstochter Elektras verhandeln, lässt Roland Schwab es auch mit Geflüster anfangen. Bis zwei runde Suchscheinwerfer aufblitzen. Später ist es dann das senkrechte Licht von Neonröhren, das auf den Pfeilern tanzt. Ein Pendant zu dem „schweigenden Tanzen“, das sich Elektra verordnet. Wenn sich Orest und Elektra im letzten Akt begegnen und die Rache näher rückt, sind es zwei waagerechte Neonpfeile, die sich in der Mitte im Bühnenhintergrund fast treffen. Das hat Wirkung.
Die Intensität der Dialoge teilt sich mit wie noch nie
„Mein Gesangsstil hat das Tempo des rezitierten Dramas und kommt oft mit der Figuration und Polyphonie des Orchester in Konflikt, so Strauss über seine Elektra bei der Entstehung. Das Schauspiel von Hugo von Hofmannsthal hat er nur wenig verändert übernommen. Der Kampf zwischen Orchester und Sängern sei den tiefenpsychologischen Dimensionen geschuldet. Aber noch besser ist, wenn das Orchester, wie hier in der Kölner Ausweichsspielstätte im Staatenhaus, ganz links neben der Bühne aufgebaut ist und man zufälligerweise rechts oben den weit entferntesten Platz von der Schallquelle einnimmt. Die Intensität der Dialoge teilt sich mit wie noch nie. Kommt dazu, dass alle absolut textverständlich singen.
Roland Schwab setzt mit genauer Charakterzeichnung und lebendig-glaubwürdiger Personenregie die Konfrontationen ins karg-düstere Bild. Man fühlt das Dilemma jeder Figur „echt“ nach. Und mit dem Ferneffekt, ohne physische Überwältigung, ist faszinierend zu hören, wie Strauss die Dialoge psychologisierend begleitet. Immer wieder wahnhaft psychotische Klangflächen, Schauder, hohes Quietschen, Horror pur, aber dann auch das Auftrumpfen einer herrlichen Streicherkantilene als verzweifelte Lebensbejahung. Freude, die bald wieder im Hass erstickt wird.
Hier erlöst nur Schutt und Asche
Am Ende gibt es Götterdämmerungs-Feuer – „Seht ihr das Licht, das von mir ausgeht?“, kündet Elektra an. Und schlägt mit der Axt drein, dass die windenden blutigen Gestalten auf der Bühne zucken. Hier erlöst nur Schutt und Asche. Am Ende hängt Elektra buchstäblich in den Seilen. Bruder Orest, zum Mörder an der mordenden Mutter geworden, schlitzt sich die Kehle auf. Chrysothemis ruft verzweifelt nach Orest. Vergeblich. Hat sie eine Chance? Wir wissen es nicht. Licht aus.
Das Gürzenich-Orchester unter Felix Bender lässt obwohl weit weg Nuancen hören. Die solistischen Einsätze von Solovioline oder Klarinetten, die Posaunenbegleitung zu Bruder Orest. Vor allem deckt das Orchester Lioba Braun nicht zu, die ihrem Alter gemäß nicht mehr über jugendliche Kraft verfügt. Bis zuletzt bleibt die Erzählung spannend, ein Thriller, wobei es Schwab sogar gelingt, wenige komische Momente unterzubringen. Neben der lächerlich, doch gefährlichen Klytemnästra ist es ein tänzelnder Aegisth (Martin Koch) in weißem Anzug, sind es Klytemnästras beide Gouvernanten. Ihm gelingt eine Sternstunde moderner Musiktheaterregie. Auch ohne neues Haus ein gelungenes Eröffnungspremierenwochenende.
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