
Das Orchestre de Paris gastierte in der Reihe „Internationale Orchester“ in der Kölner Philharmonie. Der mitgereiste Musikdirektor heißt Klaus Mäkelä, ist gerade mal 28 Jahre alt und hat sich, derzeit nämlich ebenfalls Chef beim Oslo Philharmonic und designiert beim Concertgebouworkest sowie beim Chicago Symphony Orchestra, in der ersten Liga voll etabliert. Es dürfte die alte Dirigiergarde in Angst und Schrecken versetzen. Bei ihm gibt es nämlich kein maniertes Rudern oder verzweifeltes Quirlen. Konzentriert und fokussiert sorgt er mit klaren Gesten und exaktem Timing für Übergänge vom Feinsten und dynamische Abstufungen in ungeahnten Extremen. So leise hat man die Trompeten noch nie gehört. Energisch ist er, wo es angebracht ist, und er gibt, wenn im größten gegenrhythmischen Tumult nötig, das Metrum auch mal mit beiden Armen wie in der ersten Dirigierlektion an. (Von Sabine Weber)
(6. März 2025, Kölner Philharmonie) Keine drei Monate ist es her, dass der Finne die Wiener Philharmoniker in Köln dirigiert hat. Und auch gestern sorgte er sowohl für ein ausverkauftes Haus, als auch Beifallstumulte sondergleichen. Dass es auch um Maurice Ravels 150. Geburtstagsjubiläum ging, fand im Programmheft keine Erwähnung. Vielleicht, weil vorauszusehen war, dass Strawinsky mit Petruschka in der revidierten letzten Fassung mit Klavier und dem Sacre ihm die Show stehlen würde. Ravels filigran opulentes Tombeau de Couperin war als Anfangsstück dennoch gut gewählt. Denn die vier nach einer barocken Suite benannten Sätze lassen mit ihrer strengen Symmetrie, Blockbildungen oder sich redundant wiederholenden quirligen Klangmustern durchaus Parallelen zu Strawinskys Burlesken Szenen hören. Da wird einer Art Gliederpuppe, so Strawinsky, auf einem Jahrmarkt übel mitgespielt. Das Ballett „Petruschka“ ist eine Art Vorstudie zum barbarisch-archaischen und ehemals skandalösen heidnischen Frühlingsopfer. Beide Werke entstanden nach einander im Auftrag der Ballet russe.
Ravelianischer Jazz
Ravels Tombeau zählt ebenfalls zum dirigiertechnisch schweren Repertoire. Einzelnen Orchestergruppen greifen diffizil ineinander. Im Prélude werden die gurgelnden Holzbläser unter Führung einer vorbildlich ohne Vibrato blasenden Oboe von Streichern überlagert, bis plötzlich die Kontrabässe mit gezupften Basstönen Groove machen und die Trompete mit einem Out-of-Tune Einsatz im piano eine Modulation anstößt. Das Rigaudon, mit einem schrägen Tango vergleichbar, servieren die Franzosen mit frivoler Leichtigkeit. Im Menuet setzen die gestopften Trompeten wieder atemberaubend leise ein. Die Streicher kreieren über einem ostinaten Ton eine magische Fläche, in denen Mäkelä Wellen aufblühen lässt und wieder entrückt. Mit einer „Sixte ajoutée“, einer hinzugefügten Sexte im Schlussakkord bekommt das Ende einen ravelianisch jazzigen Touch. Und es folgt ein zackig und perfekt artikuliertes Rigaudon, das in einem Trio mit Oboe, und zwei zupfenden Violinen hängen bleibt. Die Gespinste werden mit einem Attacca Einsatz wieder weggepustet.
Ein plötzlicher Furz
Die Flächen am Beginn von Petruschka klingen wie aus der Klangwelt Ravels abgeleitet. Die rhythmisch robustere blockartige Setzung lässt aber bald Strawinsky dominieren. Das plötzliche Umswitchen von einem in den anderen emotionalen Zustand, die Einblendung von Jahrmarktsmusik, ein Triangelsolo und ein plötzlicher Furz des Kontrafagotts in eine Generalpause gelingen so gut, dass das Publikum schmunzelt. Das Bedrohliche mischt sich mit Kontrabassschritten, Trommelwirbeln oder Posaunenriffs immer wieder ein, das mit einem ungemein schön blasendem Flötisten in einem Duo mit der Violine nur kurz angehalten wird. Der harten Schläge werden immer mehr. Wieviele Tode muss der Held eigentlich sterben? Das Quietschen der beiden Klarinetten im Unisono macht dann unmissverständlich klar, dass es Petruschka endgültig an den Kragen geht.
Himmlisches Fagottsolo
Das Fagottsolo am Beginn des Sacre du Printemps ist so himmlisch gestaltet, dass gar nicht zu erahnen ist, wie schwer das in der hohen Lage zu bewältigen ist. Mäkelä faltet die Hände zusammen und lässt dem Solisten für diese Anfangskadenz völlig freie Hand. Wie groß sein Vertrauen in die Musiker ist.
Frenetische Raserei
Im Petruschka war Mäkeläs im körperlicher Einsatz zu erleben. Jetzt werden seine Ausfallschritte zur Seite und nach vorn so groß, dass man Angst hat, er könne daneben treten. Und dennoch wirkt er cool, denn seine Aufmerksamkeit ist in jedem Moment bei den Musikern. Er vergisst auch zu blättern, sodass er das mehrmals in einem Schwung nachholen muss. Verständlich in dieser stellenweise frenetischen Raserei, die gekonnt konstruiert und gekonnt zusammen gehalten wird. Wie modern dieses Werk von 1913 bis auf den heutigen Tag geblieben ist.
Diesen Abend vergisst keiner so schnell
Acht Hörner, darunter zwei Wagnertuben, immer wieder neue Klangzusammenstellungen macht Mäkelä zum Ereignis. Auch im größten Tumult kommen die gegenrhythmischen Posauneneinlagen perfekt. Und wie gut, dass es kein Ballett gibt, sondern die Konzentration voll und ganz auf dem Orchesterpodium bleiben darf. Denn da ist die Hölle los. Der erste Teil endet so rasant, wie noch nie gehört. Mäkela ist mutig, und sein Mut wird belohnt. Am Ende rast der Saal, kollektives Stampfen und rhythmisches Klatschen. Mäkelä schüttelt allen Musiker der Reihe nach die Hände. Nur wenige verschwitze Strähnen verraten die Parforce-Tour dieses Abends. Und den vergisst keiner so schnell!