focus baroque beim zamus: early musice festival 2025

ZAMUS versteht sich als eine Kreativplattform und will „aktiver Teil aktueller Umbrüche in der Alten Musik sein…“ Also nur Alte Musik ist nicht mehr. Auch nicht mit (sic) focus baroque im Ventana in Köln, einer der Spielstätten des zweiwöchigen Festivals! Das Konzert mit Holger Faust-Peters, Viola da gamba, und der estnischen Cembalistin Irén Lill am Cembalo beim zamus: early musice festival war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Ersteinmal mutig, das Programm nach dem Titel eines quasi unspielbaren Stücks zu betiteln, von dem man zudem bis heute nicht weiß, was der Titel bedeuten soll. La chemise blanche, letzte Pièce aus der zweiten Gambensuite von François Couperin, ließ das einstündige Konzert jedenfalls recht virtuos enden. Gefüllt war es mit französischer Gambenmusik aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und Werken des estnischen Zeitgenossen Tõnu Kõrvits, sowie eine Petitesse von Paolo Pandolfo. (Von Sabine Weber)

(28. Mai 2025, Ventana in Köln) Französische Werke des Stile classique – den Terminus Barockmusik kannte der damalige Franzose ja nicht – und moderne Werke, die sich auf die französischen „Klassiker“ beziehen, beschreiben also das weiße Hemd. Auf Marin Marais’ berühmte und wirkungsvolle Variationsfolge Les Folies d’Espagne, daraus 10 ausgewählte Variationen, folgt eine kleine folia für Cembalo solo von Tõnu Kõrvits. Der 1969 in Tallin geborene Komponist schreibt original für Barockinstrumente, also für Cembalo oder Viola da gamba und Cembalo. Das Tombeau pour Mons. Lully, ebenfalls aus Marais’ zweitem Buch von 1701, wird dann mit einem Solo von Paolo Pandolfo aus den 1990er Jahren kombiniert. Im Untertitel heißt das Solo nämlich ebenfalls „Tombeau“, was den Bezug herstellte. Tõnu Kõrvits kleine Suite aus drei Sätzen erlebt dann seine Uraufführung vor der großen Couperin-Suite.

Gambenidiomatik

Erstaunlich wohlgefällig fährt die Neue Musik wie ein Sorbet zwischen die Hauptgänge des Menüs. Aber das ist man ja inzwischen von der gezähmten Neuen Musik gewöhnt, dass sie äußerst kulinarisch sein will. (Siehe Klassikfavori-Artikel zu Witten) Kõrvits punktiert also die Foliamelodie mitsamt ihren Akkorden, fügt ein paar Blue notes hinzu, lenkt mit offmode-Akkorden ab und um, und schafft dann auch mal, was man Anklänge an Jahrmarktsmusik nennen könnte. Mit den ausgefeilt variierten Spielentwürfen Marais’ hat das wenig gemein. Pandolfo bringt in seinem Tombeau mit Bariolage-Technik auf einer leeren und im unisono gegriffenen Saiten Gambenidiomatik ins Spiel. Aber er beschränkt die Entwicklung musikalisch dann auf die reibende Sekunde, auf der er als Dissonanz regelrecht herumreitet. Die little suite, wiederum von Kõrvits, Uraufführung des Abends, präsentiert im Prélude arpeggiertes Wellengeplätscher und dann das, was sie mit dem Titel des mittleren Stücks auch ankündigte, Patterns – sich wiederholende Muster. Und im letzten Satz, Lullaby – o Wunder – klingen Debussys Children’s Corner an. Allerdings nicht das von Debussy Lullaby ebenso betitelte Stück. Aber es fügte sich die marginale aber wohlfühlige Neue Musik zu einem wunderbaren Gesamtklang im Konzert. Zwischen den starken französischen Stücken konnte man die schnell schmelzenden Sorbet sogar genießen. Die Dramaturgie stimmte also!

Le Bon goût

Alles andere als idiomatisch hat François Couperin für die Gambe komponiert. Sein Instrument war ja auch das Cembalo. Und dennoch zählen seine beiden zwei Suiten zu den besten Gambenstücken überhaupt. Marin Marin hat in der Art und Weise, wie er den obertonreichen Klang der Viola da gamba in seinen fast 500 Piècen einsetzte, den rhetorisch an der französischen Sprachdiktion orientierte Stil dieser Zeit mitgeprägt. Allein durch seine Verzierungen und genauesten Notationen, mit denen er deutlich anzeigt, was den Bon goût, den guten Geschmack ausmacht.

Exquisites Erlebnis

Holger Faust-Peters hat eine intime Art zu spielen, was mit dieser Musik korrespondiert. Seine Artikulation ist fein, einen großen Ton gönnt er sich aber nie und auch den Zuhörern keine Lautstärke. Momente der Dramatik wie die Sprünge aus der Tiefe bis in die obersten Register im Tombeau, hätte er noch mehr auskosten können. Auch die Pompe funèbre – ein Trauermarsch mit – vielleicht – Vorreiterfunktion für die Trauermärsche der französischen Revolution, die 50 Jahre später kommen sollten, hätte mehr Drama vertragen. Ein bisschen liegt es vielleicht an dem Ventana-Saal, der dumpf zu wenig resonniert. Aber das Cembalospiel von Irén Lill ließ sich darauf ein. Transparent im Klang verzichtet sie darauf, Akkorde von unten aufzufüllen und spielt lieber auf Lücke. Sie ließ also dem Solisten Raum und den noblen Klang ihres Cembalos die feinen Gambentöne streicheln. Der Gesamteindruck war also wieder perfekt. Und wenn man sich an das leise-Hören gewöhnt hatte, worauf sich das Publikum auch einließ, war es ein exquisites Erlebnis.

La chemise blanche

Nochmals zur Chemise blanche. Um ein Totenhemd handelt es sich bestimmt nicht angesichts der halsbrecherischen Geschwindigkeit, mit der Holger Peters-Faust über Griffbrett und Saiten fegte und fast aus der Kurve flog. Wieland Kuijken, der wohl beste Gambist aller Zeiten, sagte einmal Augenzwinkernd, er denke eher an die im Wind flatternde Wäsche seiner sechs Kinder im Garten… Das Rätsel wird sich wohl nie lösen. Wie bei den Barricades Mystérieuses, einer äußerst beliebten Cembalopièce von Couperin, die Seitenweise Titelerläuterungen hervor gebracht hat. Und so lässt man das Fragezeichen stehen und lässt sich in den zweiten Konzertteil im Ventana fallen, mit Sphärenharmonien und Mikrotonalitäten. Das Finale dieses wirklich feinen zamus: early music festivals wird dann am Wochenende serviert.

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