Zwei Vorstellungen fielen aus, weshalb es auf die offizielle Dernière eine nachgeschobene Aufführung, evt. zwei geben soll. Denn die Nachfrage ist enorm. Und die nach Hause Geschickten haben keine Karten für die Dernière bekommen. Sie war längst ausverkauft. Auch im Ausland sei das Interesse groß an dieser neuzeitlichen Erstaufführung der englischen Fassung sagt die Dramaturgin Stephanie Twiehaus, die im neuen Leitungsteam von Intendant Christian Firmbach vom Theater Oldenburg mit nach Karlsruhe gekommen und die Neuproduktion der ersten Spielzeit 24/25 begleitet hat. Keith Warner hat sie auf der Bühne des Badischen Staatstheater inszeniert. (Von Sabine Weber)
(27. Dezember 2024, Badisches Staatstheater Karlsruhe) Noch stehen die neuen Nachholtermine nicht fest. Aber dass es sich lohnt, hat auch diese Nicht-Dernière wieder erleben lassen. Ethel Smyths Opernwerk gilt inzwischen als die Brücke zwischen den britischen Purcell- und Britten-Opern (Händel war ja Deutscher und hat zudem nur die italienische Seria bedient). The Wreckers hat Benjanim Britten 1939 übrigens in einer Aufführung am Sadler’s Well Theatre kurz vor seinem Exil in die Staaten in London noch besucht. Dass er die Wiedereröffnung des Theaters, nach dem Zweiten Weltkrieg zurück gekehrt, mit Peter Grimes und einer ebenfalls von den sozialen Brüchen und der Brutalität einer am Meer siedelnden Dorfgemeinschaft handelnden Oper gestaltet, wird inzwischen dem Einfluss von Ethel Smyth zugeschrieben.
Mit subtilen klangmalerischen Anspielungen und kammermusikalischen Einwürfen
Ein Jahr vor Brittens Durchschlagerfolg, 1944, ist Ethel Smyth gestorben. Was hätte sie wohl zu Brittens See-Interludes im Grimes bemerkt. Auch sie selbst hat in The Wreckers ein Interlude am Beginn des dritten Akts eingefügt, das in Karlsruhe bei geschlossenem Vorhang zu hören ist. Atmosphärisch beschreibt es die raue Landschaf der Küstenklippen, gleichwohl die völlig entgleiste Moral der Dorfbewohner. Weniger modern, eher postromantisch, ist Smyths Werk zwar, im Ganzen lässt sie eine sinfonisch dicht durchgestaltete Partitur hören. Mit subtilen klangmalerischen Anspielungen und kammermusikalischen Einwürfen, auch in der Cliff of Cornwall genannten Zwischenmusik.
In Wreckers steckt das Wort Wrack
In dem Titelwort Wreckers steckt das Wort Wrack. Und Wracks sind in Ethel Smyths drittem Opernwerk nicht nur die Küstenbewohner, der Chor, der in Karlsruhe in abgeranztem, schmutzig-lumpigem Stoff auftritt (Kostüme: Julia Müer, Veronika Palkowski). Als Wracks enden auch die Schiffe, die mit Leuchtfeuern in die Irre geleitet werden, damit sie an den Klippen zerschellen. Sie sind zwar nie zu sehen, aber dennoch der Grund der zwischenmenschlichen Konfrontationen.
Choralartiger Gesang mit der Bitte um Vergebung
Die Dorfbewohner leben nämlich ausschließlich von dem an Land gespülten Frachtgut. Überlebende werden als mögliche Zeugen daher brutal ermordet. Und, das geht tatsächlich aus den historisch verbürgten Zeugnisse aus Cornwall hervor, diese Strandpiraterie wurde vom Dorfpfarrer abgesegnet, wie Smyth im ersten Chorauftritt zeigt. Die Dorfbewohner stürmen nach einer verursachten Havarie, die nicht gezeigt wird, auf die – bis auf eine Metallleiter zu einer Empore links mit Kreuz aus verrosteten Rohren – nur mit Stühlen gefüllte Bühne, setzen den mitgeführten Havarierten das Messer an die Kehle oder stechen gleich zu, um kurz danach einen Choralartigen Gesang um Vergebung anzustimmen, angefeuert von Anführer Harvey.
Liebestod-Finale
Das pervertierte System lässt Smyth durch ein widerständiges Liebespaar ins Wanken geraten. Ein Liebespaar, das zudem keine Berechtigung hat. Mark ist eigentlich mit der Rädelsführerin Avis verbandelt. Die Geliebte Thirza ist verheiratet, auch noch mit dem Dorfpfarrer. Die verbotene Liebe rechtfertig sich in moralischem Tun. Sie versuchen, die Schiffe mit eigenen Strandfeuern zu warnen. Sie werden entdeckt. Und die Wagner-Begeisterte Smyth vollzieht ihr Todesurteil in einem rauschend orchestrierten Liebestod-Finale à la Tristan und Isolde. Die beiden Dorf-Verräter werden ertränkt, versichern sich aber, hinter wehenden Stoffwasserbahnen und Videoanimationen von Wasserstrukturen im Raum schwebend, noch ihrer Liebe.
Alles auf den Punkt mit der Badischen Staatskapelle unter Georg Fritzsch
Ethel Smyths Musik ist dramatisch, immer wieder von atmosphärischen Klangflächen geprägt, die rasant umschwenken, auch in kammermusikalische Momente, die durchaus mal instrumentalen mendelssohnschen Witz in die Strenge der Handlung bringen. Die Klarinette macht subtil eingestreute Kommentare, die Solovioline gibt mit einem wiegenden Siciliano dem Liebespaar Raum. Smyth scheint auch den solistischen Sound der Fagotte sehr geliebt zu haben. Alles auf den Punkt musiziert von der Badischen Staatskapelle unter Georg Fritzsch.
Opernkennerin durch und durch
Dazu werden Balladen gesungen, Volkston-durchdrungene Strophenlieder, die auch mal kurz aus Agathes Ballade aus dem Freischütz zitieren oder, wie im ersten Solo von Avis, ein Motiv aus der Carmen-Habenara. Smyth war Opernkennerin durch und durch, hat nicht nur in der Musikmetropole Leipzig studiert, sondern dort auch viele Granden der Musikszene getroffen, Brahms, Tschaikowsky, Operndirigent Hermann Levi. Sie besuchte Opernvorstellungen deutschlandweit und reiste natürlich auch nach Bayreuth. Ihren eigenen Stil verrät sie mit den Allusionen nicht, sondern spielt an oder entlehnt Bedeutungsebenen. Was hätte diese Frau noch vollbracht, hätte sie zeitlebens nicht um die seltenen Aufführungen so kämpfen müssen, sondern nach zahlreichen Anhörungen an ihren Werken weiterfeilen können.
In der Chorarbeit Meisterin
Das, was hier zu hören ist, wie auch schon in der letzten Spielzeit Der Wald in Wuppertal (siehe Klassikfavori), ist absolut Repertoire-tauglich. Schon deshalb reisen nicht nur Deutschlands Intendanten zu den Karlsruher Vorstellungen. In der Einbindung der Chöre, zweimal erklingen sie auch aus dem Off, und ihrer Gestaltung ist Smyth wirklich eine Meisterin und hat sicherlich die Chorarbeit Brittens beflügelt.
Aus dem Ensemble besetzte Rollen – vorzüglich interpretiert
Auch die Gesangspartien sind dankbar, und die ausschließlich aus dem Ensemble besetzten Rollen werden vorzüglich interpretiert. Die in ihrem weißen Kleid aus dem Rahmen der Zerlumpten rausfallende Thirza, mit strahlender Leuchtkraft Dorothea Spilger. Durchtrieben bis gewalttätig ihre Reize einsetzend und mit ungeheurer Bühnenpräsenz Ralitsa Ralinova als Avis, Thirzas Gegenspielerin. Brett Sprague als tenoral wohlklingender nie mühsam tönenden zärtlicher Mark oder Konstantin Gorny als Pastor, der mit obligater Posaune sich einmal vor seiner Frau Thirza für die Sanktionierung versucht zu rechtfertigen. Klaus Schneider als Bodytätowierter Schankwirt Tallin wie auch Liangliang Zhao als Anführer Harvey mit Piratendreispitz verdienen Erwähnung. Und Melanie Lang hat als der junge Jack am Anfang des dritten Akts einen virtuosen Einsatz im Duett mit Avis.
Die Regie: handwerklich tadellos
Die Regie von Keith Warner ist handwerklich tadellos. Die Personenregie funktioniert in dem Einheitsbühnenbild von Thilo Steffens, in dem er es als Requisiten nur Stühle oder mal eine hereingeschleppte Schatzkiste zulässt. Er ist Versammlungs-, Schutz- zuletzt auch Gerichtssaal und Unterwasserszenario. Dystopisch wirken die runden Bunker- oder Unterwasserboottüren an drei Seiten, sowie die aufgezogenen Gasmasken, wenn die Dorfbewohner von einem Mordkommando zurückkommen. Ansonsten ist die Regie schon eher konventionell, nicht verrätselt. Sie konzentriert sich auf die menschlichen Konflikte und auf den Einzelnen im Gegenüber der Masse.
Eine Entdeckung!
Was vielleicht fehlt, das ist aber der Dramaturgie des Stückes geschuldet, ist der Einbezug der Ursachen, die die jeweiligen Verhaltensmuster bedingen. Oder das, was Wagner so genial in den bedeutungsschwangeren Erzählungen die Vergangenheit betreffend gelingt. Warum glaubt sich jeder oder jeder im Recht? Denn alle verlieren. Das Liebespaar sogar sein Leben, immerhin nicht den Glauben an sein Liebesglück im Jenseits. Großer Applaus, Begeisterung also im Publikum. Die 2 ¾ Stunden sind in jedem Fall eine Entdeckung und ein weiterer Schritt bei der Rehabilitierung von Frauenkomponisten. Wer kann, sollte zu den noch ausstehenden Aufführungen nach Karlsruhe reisen!