„Don Giovanni“ in Köln: Cecilia Ligorio über ihre Inszenierung

Cecilia Ligorio inszeniert ihre zweite Oper für Köln. Am 9. März ist Premiere im Staatenhaus.
Klassikfavori hat Cecilia Ligorio vor einer Probe getroffen. (Die Fragen stellt Sabine Weber)

Cecilia Ligorio
Cecilia Ligorio. Foto: Privat

Herzlich Willkommen, Cecilia Ligorio, zu diesem Interview.

Ich bin Sabine Weber und freue mich, jetzt mich mit Ihnen über Sie zu unterhalten und natürlich auch über Mozarts Don Giovanni, den Sie zur Zeit hier an der Kölner Oper einstudieren.
Sie sind als Regisseurin schon ganz schön erfolgreich. Im La Fenice in Venedig haben Sie schon mehrfach inszeniert, in Palermo, Florenz, Valencia, Turin, Madrid, in Pariser Varietétheatern, im City Theater in New York, Les Halles in Brüssel… Und Sie sind die erste italienische Regisseurin, der ich begegne. Und die ich kenne.

Gibt es eigentlich eine italienische Opernregisseurin, die Ihnen Vorbild war?

Das könnte ich jetzt nicht sagen. Aber es gibt natürlich großartige Opernregisseure in Italien. Und viele, die nicht in Europa bekannt sind. Und es gibt großartige Künstler am Theater, in der Welt des Tanzes und der Oper, die ich liebe.

Den Namen einer weiblichen italienischen Regisseurin könnten Sie für sich als Bezugspunkt aber nicht nennen?

Ein Frau, die für mich immer ein Bezugspunkt gewesen ist, ist Ariane Mnouchkine, auch wenn sie ein völlig anderes Theater macht, als ich es machen möchte. Aber sie hat ein Gespür für das Theater und seine Gemeinschaft, und mehr als ihre Ästhetik faszinieren mich ihre politischen Veranstaltungen.

Aber sie ist keine Italienerin…

Nein, eine italienische wäre Gaia Saitta. Sie ist mindestens so erfolgreich wie ich. Sie lebt heute in Brüssel. Es ist unglaublich, wie sie dramaturgisch arbeitet, an den Emotionen feilt und an die Notwendigkeit glaubt, gerade heute tiefgründiges Theater anzubieten. Das ist meiner Meinung nach sowieso das Wichtigste, die Bedeutung von Theater und auch Oper immer wieder zu unterstreichen.

Gibt es einen italienischen Opernregisseur, der Ihnen Vorbild war?
Mir fallen sofort Filmregisseure wie Fellini oder Visconti ein. Letzterer hat ja sogar Oper gemacht. Aber für die Oper fällt mir gerade nur Giorgio Strehler ein…

Giorgio Strehler kenne ich durch seine Bücher. Ich hatte keine Gelegenheit, seine Inszenierungen zu sehen. Zu den Regisseuren, die meine Fantasie ungemein angeregt haben, zählte Luca Ronconi. Er war viele Jahre der künstlerischer Leiter des Teatro Piccolo in Mailand. Besonders interessant finde ich nämlich die Arbeit von zeitgenössischen Theaterkompanien. Als ich jung war, habe ich mich in das Theater von Giorgio Barberio Corsetti und seine Theatertruppe verliebt. Der zur Zeit erstaunlichste italienische Regisseur ist natürlich Romeo Castelluccio. Das sind alles Personen, die mir weniger zeigen, wie ich Oper zu machen haben, sondern mich inspirieren, wie ich herausfinden kann, authentisch zu sein und die vielen Theatersprachen und Bereiche zusammen zu bringen.

„Meine künstlerische Prägung war in Spanien“

Ich habe den ersten Teil meines Lebens zwar in Italien verbracht, aber meine künstlerische Prägung war in Spanien, wo ich viele Jahre gelebt hat. Daher ist meine Beziehung zu der italienischen Theatertradition die eines Kindes. Und derzeit ist das Theater mehr in europäischen als italienischen Händen.

Was war die Erfahrung, die Opernregie zu Ihrer Berufung machte? Sie haben in Rom studiert und dann in Barcelona. Gab es da einen Menschen, der Sie motiviert hat? Ihren Regielehrer? Oder gab es ein Erweckungserlebnis, einen Moment, den Sie konkret beschreiben könnten? Sie haben ja in Rom erst einmal Violoncello studiert.

Ja ich habe auf dem Violoncello angefangen. Aber ich war schon früh auch im Theater als Schauspielerin unterwegs. Und das für viele Jahre. Ich glaube, die wichtigste Erfahrung machte ich in einer Krise. Ich hatte entschieden, kein Theater mehr zu machen! „Ich werfe das einzige, was ich kann, über Bord.“ Und da kam ein mir sehr wichtiger Freund und vermittelte mich zu einem Opernfestival. Ich wusste nichts von den Bedingungen des Operntheaters und bin als Produktionsassistentin genommen worden. Der Regisseur auf diesem Festival war miserabel. Und so habe ich alles in die Hand genommen.

Wo war das?

Weit weg, in einem kleinen versteckten Ort, in der Nähe von Valencia. Diesen Ort werden Sie selbst auf Google Maps nicht finden. Diese Erfahrung hat meinen Wunsch geweckt, in diesem Dunstkreis (Ambito lirico) zu bleiben. Das war etwas völlig anderes als die Erfahrung als Schauspielerin, wo ich immer wieder nach meiner Aufgabe gesucht habe. Die Oper war ein offenes Tor, durch das ich ganz natürlich hinein bin. Genau kann ich Ihnen das nicht erklären, warum ich dem Operntheater mein Leben geweiht habe. Ich habe verstanden, dass alles, was ich vorher gemacht habe, eigentlich nur dazu da war, zu verstehen, dass dies der Ort ist, wo ich am glücklichsten bin. Und ich bin in der Oper glücklich, weil sich hier die Gefühle des Menschen am göttlichsten (più divina) auszudrücken vermögen. Alle arbeiten für den Moment, in welchem ein Ton gemeinsam vibriert und bewegt. Und das ist göttlich. Das lässt das Göttliche im Menschen erkennen.

2016 war Ihr Regiedebüt auf dem Festival Valle d’Itiria in Martina Franca mit einem Barockwerk: Agostino Steffanis Baccanali. Nicola Vaccaj Giuliette e Romeo haben Sie auf diesem Festival dann danach gemacht. Zwei sehr seltene Opern… Zufall?

Ein bisschen Zufall. Aber in Italien bin ich meistens gerufen worden für das, was man in Italien „Blutbäder“ nennt. Damit meint man schwierige Vorstellungen, für die es entweder wenige Mittel gibt oder die unbekannt sind, die kompliziert scheinen. Wie im Fall von Steffani, weil er in Italien ein unbekannter Komponist ist. Genauso Gaspare Spontinis Fernando Cortez, nachdem die erste Edition der Partitur erschienen ist. Das Werk wurde nicht mehr aufgeführt, ich konnte mich auf nichts beziehen. Mir gefällt es sehr, Opern zu machen, die nicht zum Repertoire gehören. Sie lassen den größten Raum für Interpretationen, weil es keine bekannten Vorbilder gibt, mit denen man konfrontiert wird. Bei bekannten Opern muss man sich damit auseinandersetzen, dass es schon so gemacht wurde oder so. Die künstlerische Freiheit wird also nicht durch die Angst eingeschränkt, es so oder so machen zu müssen.

Ein großes weltliches Oratorium für die Gerechtigkeit

Auch das zeitgenössische Repertoire ist Ihres. Erzählen Sie doch etwas über den Komponisten Giovanni Sollima. Für ihn haben Sie das Opernlibretto Il Caravaggio rubato geschrieben.

Das war eine wunderbare Erfahrung! Eine Erfahrung, die ich anlässlich der Feierlichkeiten zu Ehren zweier italienischer Richter machen durfte, die in den 90ern in die Mafia-Prozesse eingebunden und ermordet wurden. Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Das waren Männer, die sich dafür eingesetzt haben, den Gürtel des Schweigens über den Geheimnissen der Mafia zu durchbrechen und die Probleme, die sie in Italien verursachten, zu erledigen. Diese Männer sind zum Zeichen für den Mut geworden, für Gerechtigkeit und Demokratie einzutreten. Giovanni ist ein Komponist aus Palermo. Er hat die Musik geschrieben. Die Geschichte beginnt mit einem Bild von Caravaggio, das von der Mafia gestohlen wird. Und es gibt einen Prozess, in dem die Mafiosi das machen, was sie immer machen, um Strafmilderung zu bekommen, „… dann sage ich dir, wo das Bild versteckt ist…“ Caravaggio wird zum Symbol für das, was zerstört wird von denen, die nur für ihre Macht und gegen die Demokratie kämpfen. Die Musik von Giovanni kümmerte sich übrigens rührend um die Personen im Bild, das die Geburt Christie darstellt. Es gibt einen Gesang der Mutter, einen Gesang, der Zeugnis ablegt über die Geburt, einen Gesang an den Stern. Wir haben quasi ein Oratorium kreiert, ein großes weltliches Oratorium für die Gerechtigkeit.

Für den Komponisten Carlo Boccadoro haben Sie mit Shi, Oltre la porta und Un cuscino di nuvole azzurre sogar drei Libretti verfasst.

Mir macht es wahnsinnigen Spaß, mit zeitgenössischen Komponisten zu arbeiten, weil sie die Musik nicht kennen können, in die sie eintauchen müssen. Das öffnet das Ohr. Und es ist wie im Leben, dreifach, vierfach Mal komplex. Die erste Geschichte mit Carlo handelte von dem ersten Italiener, der um 1500 in Peking ankam. Von China wusste in Europa niemand etwas. Dieser Mann hat dann sogar ein Wörterbuch geschrieben. Er war ein großer Abenteurer, der sein Leben auf Begegnungen aufgebaut hat und keine Angst davor hatte, dem Unbekannten zu begegnen. Er wurde von den Chinesen „Shi“ genannt, was so viel bedeutet wie „hier bin ich“. Er war ein Jesuit. Die zweite Zusammenarbeit ging über die drei Töchter von King Lear. Sie diskutieren in einem Hospiz, wo der Vater hinter der Tür verschwunden ist, was mit diesem Alten jetzt zu tun sei. Es geht um eine akute Gesellschaftsfrage, was mit den Alten passiert, wenn sie ihr Gedächtnis verlieren und was diese zunehmend schlimmer werdenden Zustände bei geliebten Menschen auslöst.

Und Un Cuscino di nuvole azzurre?

Das ist ein Stück für eine Stimme und handelt vom Wahnsinn. Es geht um die nächtliche Reise eines verlassenen Geliebten. Eine Reise in der Nacht, natürlich, in die Berge, und einem mentalen Absturz.

Jetzt muss ich auch noch nach Federico Gardellas Else fragen? Was ist das für ein Stück?

Else ist nach Arthur Schnitzlers Fräulein Else konzipiert. Es geht um den Missbrauch einer jungen Frau. Diese junge Frau wird vom Vater, der Spielschulden hat, animiert, sich nackt zu zeigen, zu prostituieren, damit er an Geld kommt. Es geht um sehr hässliche und gewalttätige Motive. Gerade bin ich mit Federico dabei, ein neues Stück zu entwickeln. Eine Oper über den Horror und die Angst! 2026 wird es in Spoleto uraufgeführt.

Sie schreiben also gern Opernlibretti für italienische Komponisten… Wie gehen Sie da vor?

Das weiß ich nicht. (Lachen) Es geschieht, wenn ich daran denken darf, dass alles offen ist, wenn ich eine Verbindung zu der Stille habe … und zu dem weißen Blatt Papier vor mir… Es ist so etwas wie ein Geheimnis…

Ein genialer Akt?

Ein genialer oder ein frecher Akt! (Lachen)

Können Sie Ihren ersten Triumph als Regisseurin beschreiben? Was hat Ihnen gesagt: ja, ich muss weiter machen. Ich kann das!!!

Verdammt. Das ist schwer…

Warum?

Weil ich nicht glaube… ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit und sehr dankbar. Aber sobald ich etwas beendet habe, denke ich …

Basta?

Basta, exakt! Fertig! Vorbei! Schwer ist eine Antwort auf Ihre Frage auch, weil nie etwas richtig zuende ist. Wenn ein Stück fertig ist, denke ich sofort, aber das nächste Mal mache ich es anders…

Aber es muss doch einmal den Moment gegeben haben, wo Sie dachten, das war jetzt mein größter Triumph. Nein? Das habe ich geschafft!

Das habe ich geschafft… Vielleicht war es das! Die Oper nach der ich das gesagt habe, in der ich mich letztendlich wiedergefunden habe, und wo ich mir gesagt habe, ok, ich bin angekommen. In einem Stück, in dem ich gar keine Angst mehr davor hatte, Regisseurin zu sein, das war die Cenerentola.

Hier in Köln?

Ja! Vielleicht weil es ein neues Haus für mich war, weil ich nicht mit meiner Geschichte konfrontiert war. Aber mehr als ein Triumph war für mich, dass ich mich bis auf den heutigen Tag freier als je gefühlt habe. Und das war Cenerentola. Da hatte ich wirklich vor nichts Angst!

Wie kamen Sie überhaupt nach Deutschland? Welches Angebot hat Sie gerufen? Und was haben Sie in Deutschland gemacht?

Ich bin nach Deutschland – wie so oft in meinem Leben – durch Zufall gekommen. Hein Mulders, der Intendant der Kölner Oper, hat einen Artikel über mich gefunden, das hat er mir jedenfalls erzählt, dem zu entnehmen war, wie sehr es mir gefiele, bezogen auf die Interpretation, unter Einbezug von Tanz und anderen Theaterspielarten, in unkonventionellen Theaterräumen zu arbeiten. Oper kann sich bei so einem Theater öffnen. Die Oper in Köln hat es gerade nicht leicht, in Bezug auf viele Sachen, was viel Einfallsreichtum fordert. Ohne das zu kennen, begegne ich dem jetzt, und wir versuchen das zusammen zu machen.

Und die Cenerentola war Ihr Debüt in Deutschland?

Das war die erste Sache in Deutschland. Danach folgte eine Regiearbeit in Berlin an der Neuköllner Oper. Das war etwas ganz anderes, das mehr mit Zeitgenössischem zu tun hatte. Es ging um eine Geschichte über die Erdbeben in Syrien und der Türkei (Über Mehmet Yıldırım. 1974 Dersim – 2023 Antakya). Die Autoren waren Intendant Bernhard Glocksin und Albert Tola. Und wir haben traditionelle Musik verwendet.

Und jetzt sind Sie hier in Köln und inszenieren zum zweiten Mal. Don Giovanni dieses Dramma giocoso zählt zu den drei großen Da-Ponte Opern von Mozart und bedient jede Menge Männerklischees vom Verführer, Draufgänger, rücksichtslosen Narzisten… von Frauenklischees der Liebeshungrigen, und verführt-werden-Wollenden, der Beleidigten, Eingeschnappten. Was ist daran eigentlich lustig – dramma giocoso…?

(Lacht) Mozart hat die Bezeichnung „dramma giocoso“ wohl eher verwendet, weil es keine andere Bezeichnung für die Form gab, die er hier gesucht hat. Mozart, das ist eine unendliche Welle zwischen Komik, Buffa und hoher Tragödienkunst und dem Drama. In dieser Oper bewegen sich die Personen wie durch einen einzigen Tag und durchleben zahlreiche Stadien. Das Komische existiert, um dem Tragischen eine Existenz zu ermöglichen und umgekehrt. Was wirklich komisch ist, ist eigentlich, dass über gewisse Sachen nicht gelacht werden kann, wozu wir nicht immer die Kraft haben.  Das wirklich Komische ist vielleicht, dass die Charaktere allesamt nicht lachen können. Wir als Zuschauer könnten über ihre Situationen lachen, die für sie aber eine enorme Wichtigkeit haben. Wir lachen auch, wenn wir etwas nicht verstehen, wenn wir in der Klemme sind, und weinen müssten, weil das Leben gewaltsam wird. Wir werden überrannt von Traumata, fühlen uns eigentlich unfähig, zu überleben. Oder das Problem, das mit einem Ausnahmezustand kommt, können wir nicht verstehen und überwinden.

Ridi Pagliaccio“ – Da muss ich gerade dran denken. Wie gehen Sie denn mit den Geschlechts-Klischees in dieser Oper um?

Das ist doch so ein bisschen wie in Italien: Pizza, Mamma, Mandolino! (Lachen)

Das sagen Sie!

Ich rede von Klischees. Und das ist für die Italienerin und den Italiener: Pizza, Mamma, Mandolino! Das ist wirklich wahr. Ich liebe Pizza, rufe jeden Abend meine Mamma an und wenn ich eine Mandoline höre, muss ich singen. Da ist etwas in uns wirklich verwurzelt. Das Problem ist, dass wir die Klischees zu Konventionen machen, die das tief Menschliche in uns verdecken oder verstecken. Udn da brauche ich nicht nach der Frau oder dem Mann zu fragen. Donna Elvira beispielsweise ist leidenschaftlich, wird von Don Giovanni verraten. Sie wird meistens als eine verrückte Hysterische auf die Bühne gestellt. Aber in welche Situationen fallen Frauen wie Männer, wenn sie die Liebe eines Menschen verlieren? Sie verlieren ihr Zentrum. Sie verlieren das Gefühl für sich selbst. Das ist die „Pazzia amorosa“, der Liebeswahnsinn. Und das ist kein Klischee. Die Pazzia amorosa ist eine große Mutlosigkeit, eine große Verwirrung. Das Klischee von Donna Anna ist das einer Harpyie, die wildgeworden nur an Rache denkt. Von meinem Standpunkt aus ist es sogar unvermeidbar, dass sie verstört ist, es sich aber nicht eingesteht. In wenigen Minuten erfährt sie sexuelle Aggression und den Mord an ihrem Vater, und dazu ihr möglicherweise schönes Leben, sie hat ja einen Geliebten Don Ottavio. Ich habe den Sängern immer wieder gesagt, wenn das Dir passiert oder ein anderes traumatisches Ereignis, dann ist es nicht möglich, das in wenigen Minuten zu lösen. Manchmal braucht man dazu Jahre …

und kann es nicht allein!

Nicht allein! Wir sollten versuchen, zu verstehen was Zeit in diesem Zusammenhang bedeutet. Die Personen mit einem Klischee zu konfrontieren oder die Geschichte von Don Giovanni zu verdrehen, braucht man gar nicht. Wir sollten den Charakteren ihre Würde geben. Das ist jedenfalls mein Wunsch. Oft werden sie isoliert betrachtet. Don Ottavio und Elvira, Masetto und Zerlina. Ich versuche eine subtile Art der Verschwisterung. Im Kurs der unvorhergesehenen Ereignisse dieser Oper versuche ich Empathie und eine Unterstützung vor allem für die weibliche Welt zu erreichen. Auch wenn sie erschüttert bleiben und am Ende der Oper nicht erlöst werden. Aber sie können sich wieder begegnen ohne sich zu verurteilen. Denn das ist eine schlimme Sache, wenn eine Frau eine andere Frau verurteilt.

Wer ist Don Giovanni?

Wer ist die Titelfigur ein Lüstling oder der historische Don Juan aus Habsburg?

Er sagt am Anfang zu Donna Anna, „wer ich bin wirst Du nie wissen!“ Don Giovanni ist für mich eine reale Person. Er repräsentiert eine chaotische, gewaltsame, dionysische Kraft. Und die westliche rationale Welt schafft es nicht, ihn zu kontrollieren. Das macht sie panisch. Da geht es um animalische Impulse, die mit Verwüstung zu tun haben. Verbunden damit, dass er nicht sehen kann, welche Konsequenzen das im realen Leben hat.

Aber es ist doch auch ein Charakter, der das Innerste der Personen herauskehrt, denen er begegnet.

Ganz genau. Mit ihm kommt ein Lebewesen an, das alles durcheinander bringt. Und nach einer Begegnung mit ihm kann man sich nicht mehr verstecken. Wir alle machen irgendwann mal eine solche Erfahrung. Mit einem narzistischen Partner, wenn Drogen ins Spiel kommen, oder wenn Abhängigkeiten von Sex, vom Geld da sind. Und wir alle werden an einem bestimmten Punkt nach einer solchen Erfahrung erwachsen. Sie stellt uns vor die Wahl zu entscheiden, wer wir sein wollen.

Also eine wichtige Erfahrung. Welche Rolle spielt Mozarts Musik?

Seine Musik sagt immer die Wahrheit. Wenn er jemanden auf den Arm nehmen will, macht er das ziemlich klar. Wenn er seine Charaktere liebt, ist das auch ziemlich klar. Don Ottavio wird auf der Bühne eher schlecht behandelt. Aber er ist nach Mozart ein guter Charakter. Ein sanfter höflicher Mann ist in der virilen Welt natürlich ein Problem. Mozart schreibt für ihn „Dalla sua pace“. Das ist eine der sublimsten Arien, die ich je gehört habe. In dieser Arie sagt er, „mein Frieden, meine Zufriedenheit hängt davon ab, dass die Person, die ich liebe, glücklich ist und es ihr gut geht. Und ich bin nicht glücklich, wenn sie traurig ist“. Er ist einfach, nicht gewaltsam, nicht viril im Sinne der männlichen Welt, aber voll von Liebe. Eine sanfte Liebe. Und das erzählt Mozart. Zerlina ist nicht boshaft, sie wird verführt, und weil sie jung ist, lässt sie sich verführen, zunächst durchaus mit Vergnügen. Aber dann findet sie ihren Weg, schreit und verteidigt sich. Und als sie Masetto wiedertrifft, haben sie eine Liebesszene, wo sie ihr Herz schlagen hört. „Da kam dieser Mann, der alle verwirrt, mit allen aneinandergerät, aber Du hörst auf mein Herz“. Wie kann man da sagen, Zerlina sei ein leichtes Mädchen? Sie ist eine Jugendliche. Manipuliert von der Macht, wie es allen passieren könnte. Mozart verteidigt seine Charaktere.

Auch Don Giovanni?

Auch Don Giovanni in bestimmter Hinsicht.

Gregorio Zurla ist wie schon bei Rossini ihr Bühnenbildner. Ist das wichtig, dass Regisseurin und Bühnenbildner ein Team sind?

Das ist das Wichtigste überhaupt. Und nicht nur Gregorio Zurla, auch Vera Pierantoni Giua und Daisy Ransom Phillips, der mir bei der Choreographie geholfen hat. Ein Team ist wichtigst! Weil Theater machen sie nie allein. Ich glaube, alles erwächst im Dialog mit den einzelnen Kunstsprachen (Linguaggi). Die Bühne, Kostüme und ein Thema aufzubauen, dass zum Theater wird, hat viele Niveaus. Was von der Geschichte passiert im Raum? Mit den Körpern, in den Kostümen? Daraus flicht sich ein Zopf. Wir spielen im Theater zusammen. Kennen gelernt habe ich Zurla im Netz. Ich sah Aufnahmen von seinen Bühnenbildern. „Wie schön, wer hat sie gemacht?“ Gregorio Zurla. Donnerwetter. Andere Bilder, „wie schön“. Wieder Gregorio Zurla. Meine Augen blieben ständig an seinen Arbeiten hängen. Ein anderer Freund hat mir seine Nummer gegeben, und ich habe ihn angerufen und habe ihn dann getroffen. Jetzt sind wir ein Team.

Was gefällt Ihnen an dem Raum dieser Ausweichspielstätte in Köln. Sie hat ja ein Breitband-Panorama wie der Sferisterio in Macerata, wo Sie auch schon inszeniert haben… Was gefällt Ihnen da ?

Mir gefällt, dass das Publikum hier an das Theaterspiel glauben muss. Es gibt keine Säulen, keine Dach, keinen Bühnenraum. Es ist wie eine Übereinkunft mit dem Publikum, dass wir hier Theater oder Oper zusammen machen. Die Arbeit ist frontal und erklärt. „Wir machen Theater für Euch und Ihr spielt mit, während Ihr schaut und hört“, und wir sind alle gut darin zu vergessen, dass das ein Übergang ist.

Letzte Frage, wo wohnen Sie und gibt es in Ihrem Leben Freizeit?

Ich lebe in Venedig.

In der Stadt? Ich habe gehört, dass dort keine Italiener mehr wohnen.

Wir sind wenige, eine schützenswerte Minderheit. (Lacht) Ich bin hier per Zufall, denn ich bin keine Venezianerin. Aber als ich das erste Mal hier war, war ich so glücklich, soso glücklich, dass vor 13 Jahren, als ich nach Italien zurück kam, ich entschied, dass ich in der Stadt wohnen muss, in der ich glücklich gewesen bin. Auch wenn ich da niemanden kenne. Meine Familie ist nicht da, aber ich fühle mich dort zuhause. Auch, weil ich von Wasser umgeben bin. Venedig ist ein bisschen verrückt. Es ist wie ein Theater und anders, es gibt keine Autos. Statt der Vögel gibt es Fische!

(Das Interview fand am 28. Februar im Staatenhaus statt)

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