„Don Giovanni“ im Kölner Staatenhaus – eine perfekte Vorstellung!

Und heute, am 14. März 2025, gibt es wieder eine Vorstellung. Es lohnt sich. Das ist nämlich ein „Don Giovanni“ für die Sinne! Es wird unter großem Einsatz gespielt, allen voran Don Giovanni (Seth Carico) und sein schlitzohriger Diener Leporello (Adrian Sâmpetrean), die im Handgemenge schon mal über die Bühne rollen oder sich mit Jacken bewerfen. (Von Sabine Weber)

Adrian Sâmpetrean (Leporello), Seth Carico (Don Giovanni). Foto: Sandra Then

(9. März 2025, Premiere in der Kölner Oper im Staatenhaus) Handwerklich ist nicht nur solide gearbeitet, es ist auch äußerst ästhetisch umgesetzt worden, und nichts schießt ins Leere. Die Bühne von Gregorio Zurla ist perfekt für die rasante Abfolge der Szenen. Sie besteht nämlich nur aus grauen Wänden, Säulen, Durchbrüchen und Türen, in der Mitte ein Raum, der sich mittels Drehbühne hineinschiebt. Wenige Requisiten gibt es, einmal ein kleines Kanapee, auf dem Donna Elvira sitzt, mal die Tafel fürs Bankett. Die Kostüme sind auf die Charaktere hin entworfen und sitzen bei den Damen wie Haute Couture (Vera Pierantoni Giua). Das Ästhetische verdient ja bei dieser Oper besondere Erwähnung, der das Sinnliche doch eingeschrieben sein soll. Søren Kierkegaard behauptete ein „Höchstmaß an Sinnlichkeit“ für das Werk und beschrieb Don Giovanni sogar als die „Inkarnation der Genialität des Sinnlichen“.

Unterschiedlichste Emotionen kommen zusammen

Mozarts Dramma giocoso Don Giovanni (1787) hat wie kein anderes Bühnenwerk den Mythos vom Frauenhelden Don Juan beflügelt, literarisch, philosophisch, und auch Maler der Nachwelt setzten sie neu ins Werk. Don Giovanni war allerdings nicht die erfolgreichste Oper Mozarts, was vielleicht an den anspruchsvollen Ensembles liegt, aus denen diese Oper fast nur besteht. Verschiedene Gefühlslagen im Opernablauf darzustellen und auszuleben, das konnte Mozart wie vorher und eigentlich auch nachher, kaum jemand. Alle Personen lässt er sich unentwegt verstricken. Und sie bekommen immer wieder das Wort, um sich zu erklären. Die unterschiedlichsten Emotionen kommen da teilweise zeitgleich zusammen.

Ensembles sind für die Regisseurin Ligorio eine Steilvorlage

Gerade diese Ensembles sind für Regisseurin Cecilio Ligorio die Steilvorlage. Der Überbau interessiert sie nämlich nicht die Bohne. Und auch nicht, ob Giovanni ein Libertin war. Sie lässt lieber Menschen auf der Bühne fühlbar werden. Und Don Giovanni ist schon kein Dämon. Er ist ein skrupelloser Draufgänger, der es immer wissen will und übergriffig wird. In einem golddurchwirkten Dandy-Gehrock über schwarzer Satinhose mit Hemd bis unter die Brust offen, packt er also unverblümt zu oder entwickelt Ticks, wenn er aufläuft. Dann schlägt er beide Hände heftig gegen die Stirn und wirft die Arme anschließend in die Luft. Er rast, auch über die Bühne, kann aber auch ganz charmant tun, wie mit der berühmten „La ci darem la mano“-Arie beispielsweise, was man dem Draufgänger Carico nicht glaubt. Er ist ein Betrüger, wobei er kurz vor seiner Höllenfahrt doch bekennt, er betrüge doch nur aus Liebe, beziehungsweise die Frau flachzulegen. Und das macht Ligorios Giovanni in jedem Moment deutlich, ohne dass es unappetitlich voyeuristisch würde. Übrigens: eine krankhaft gesteigerte männliche Libido trägt inzwischen die Bezeichnung „Donjuanismus“…

Ein schwarzer Sarg inmitten von Kerzenlicht

Die Ensembles schiebt Ligorio unter großem Tempo virtuos in eineinander. Sie entwickelt auch zusätzliche Bilder, um zu unterstreichen. Donna Anna erklärt ihrem Verlobten Don Ottavio, warum sie sich jetzt doch nicht einfach in seine Arme werfen kann. Am Morgen ist sie knapp einer Vergewaltigung entkommen – drastisch hier auf der Bühne dargestellt, ohne ins Geschmacklose oder Plumpe abzugleiten – und findet kurz danach ihren Vater erstochen. Während sie ihrem schwer verliebten Verlobten das klarzumachen versucht, dreht sich ein schwarzer Sarg inmitten von Kerzenlichtern, umringt von einer anonymen Trauergesellschaft in schwarzen Mäntel und Hüten, hinein. Will sagen, Trauerarbeit erfordert Zeit.

Stiermaske

Das Eingangsbild zur Ouvertüre ist eine orgiastische Körperlandschaft in roter Unterwäsche in Rauch und Nebel, die sich um Don Giovanni mit Stiermaske und blankem Oberkörper wie einem Oberpriester in einem Ritual geriert, räkelt und kopuliert. Dieses Bild hätte man vielleicht nicht gebraucht. Aber Ligorio hat lange in Spanien gearbeitet, und die Oper spielt in der Stierkampfstadt Sevilla. Außerdem liebt sie die Arbeit mit Tänzern. Das Ensemble mit Stiermaske taucht nach dem berühmten Schlusssextet auch nochmals auf der Bühne auf. Don Giovanni erhebt sich mit Stiermaske, nachdem der tote Komtur ihm die Hand gereicht und dessen Todeskälte ihn hingestreckt hat. Diese Inkarnation der männlichen Libido ist nicht tot zu kriegen! Es lebe der Mythos. Anfang und Ende sind verklammert.

 

Die einzelnen Darsteller sind in ihren Rollen nicht nur stimmlich goldrichtig besetzt. Es bleibt optisch in Köln einfach nichts zu wünschen übrig: Donna Anna mit Greta-Garbo-Frisur (Kathrin Zukowski) trägt dunkelblau, auch einmal einen eng taillierten Langmantel mit schrägem Revers mit einer schneeweißen Lilie in der Hand. Ein wunderschönes Bild. Donna Elvira ist dunkelhaarige Eleganz (Valentina Mastrangelo) und kommt in weitschwingendem Hosenrock und eng taillierter Lederjacke in knallrot. Sie ist in Don Giovanni heillos verliebt, obwohl er sie sitzen gelassen hat. Sie jagt ihm hinter, wird aber bei jeder weiteren Begegnung immer wieder vor den Kopf gestoßen. Und liebt ihn immer noch.

Bohemiens statt Bauernhochzeit

Zerlinas Farbe ist Hochzeitsweiß. Die zwei Akte spielen an einem Tag, und es ist ihr Hochzeitstag. Das glockige Rockkleid, hinten lang und vorne kurz, mit Schulterjäckchen, wie auch ihre roten Haare, vermitteln etwas Jugendliches (Giulia Montanari). Und der weiße Sonnenhut mit Riesenkrempe bei ihrem ersten Auftritt ist nicht nur très chic, er ist Spielobjekt zwischen ihr und ihrem Verlobten! Die Hochzeitsgesellschaft sind hier weiß gekleidete Bohemiens mit Strohhut – im Original ist es eine Bauernhochzeit. Sie hängen gerade Lichterketten fürs Fest auf, stehen auf Holzleitern und schieben Fahrräder. Don Giovanni kreuzt auf und lädt die Hochzeit kurzerhand auf sein Schloss ein, wo er Zerlina von ihrem Bräutigam trennt und verführen will. Bräutigam Masetto bekommt mit Wolfgang Stefan Schwaiger den ihm eigenen Charme und Witz und gibt den perfekten eingeschnappten Zurückgestoßenen. Die Bitte um Verzeihung kommt von Montanari, unterstützt vom obligatem Violoncello, einfach umwerfend, und, wie auch Zukowski, die glasklar und hell, Mastrangelo mit dramatischerem Timbre, bewältigen alle mühelos Höhe und Koloratur. Schwaiger, Zukowski wie auch Montanari sind übrigens aus dem Kölner Ensemble und geben hier, das darf unterstrichen werden, ein fantastisches Rollendebüt.

Champagner-Arie

Seth Caricos Bass-Bariton schäumt über in der berühmten Champagner-Arie, eine der wenigen, die er hat. Meistens bildet er mit Bariton Adrian Sâmpetrean ein gesanglich perfektes Duo, ist in Ensembles beteiligt oder spricht rezitativisch. Leporellos Katalogarie, Sâmpetrean mit Moleskine in der Hand, wo die amourösen Abenteuer aufgelistet sind, ist auch hier ein Höhepunkt, heilt allerdings Donna Elvira nicht von ihrem Verliebt-sein. Dmitry Ivanchey stattet Don Ottavio mit einem wunderbaren Timbre aus und rührt das Publikum in seiner „Dalla Pace“ bis in die letzten Reihen. Nein, Don Ottavio ist keine Nebenrolle.

Alles funktioniert – mehr dynamische Abstufungen wären  möglich

Dirigent Tomáš Netopil hat das Gürzenich-Orchester und die Solisten bestens im Griff. Es ist immer zusammen. Allein manches Mal hätte man sich noch mehr Feinheit in dynamischen Abstufungen und Abphrasierungen gewünscht, wie das bei dem vormaligen Gürzenichkapellmeister immer der Fall war. Vielleicht kommt das in den nächsten Aufführungen. Die Bühnenmusik mit Bläserensemble und Zitaten wie unter anderem aus Una cosa rara vom Zeitgenossen Martin y Soler zum Bankett kam übrigens links außen aus dem Orchester, das vor der Bühne in Saal II sichtbar aufgebaut war. Das hat gut funktioniert. Exzellent war auch Luca Marcossi am Hammerflügel, der die Rezitative und auch hin und wieder kleine Überleitungen oder einen extra Bühnenstillstand mit improvisierter Musik gefüllt hat.

Weitere Aufführungen

 

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