„Die Tote Stadt“ von Korngold in der Regie von Tatjana Gürbaca mit digitalen Störungen und Ausfällen beim Streaming!

Auf den Tag genau 100 Jahre nach der Uraufführung feiert eine Neuinszenierung von „Die Tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold in Köln Premiere. Die zweite Premiere in dieser Woche nach „Written on Skin“, die es nur online geben konnte. Verantwortlich zeichnet in dieser die mehrfach ausgezeichnete Regisseurin Tatjana Gürbaca. Ein hochkarätiges Ensemble ist auch angetreten! Mit Aušrine Stundyte, der Elektra der diesjährigen Salzburger Festspiele, und Heldentenor Burkhard Fritz in den Hauptrollen. „Die Tote Stadt“ von Wolfgang Korngold sollte das Streaming-Erlebnis der Oper Köln werden! Lag es an der bereits häufiger monierten und berüchtigten Datenreduzierung des Netzanbieters Telekom? Oder waren es doch die technischen Problem der Oper Köln? (Von Sabine Weber)

(4. Dezember 2020, Oper Köln, Livestream aus dem Staatenhaus) Dieses historische Event sollte live auf den besonderen Tag fallen. Intendantin Birgit Meyer erklärt im Pausenkommentar, dass zwei Tage zuvor mit Written on Skin lediglich ein Mitschnitt gestreamt wurde. So what! Den hat Tonmeister Stephan Cahen superb und zur klanglich vollen Zufriedenheit verantwortet. Und er ging vor allem ohne digitale Zwischenfälle von statten. In der Toten Stadt hakelt es ununterbrochen. Klanglich ist es zwar auch gut. Aber ständig wird der Stream unterbrochen. Wieder offline! Es pixeln und flimmern Bildelemente. Lippenbewegungen und Stimme sind um eine Mü verschoben. Am nervigsten: die Versuche, durch Klicks aufs Play-Symbol neu ins Spiel zu kommen, lassen den Stream so einsetzen, dass er fünf Sekunden später an genau derselben Stelle wie vorhin wieder hakt und unterbricht! Das grenzt an Psychoterror! Wäre Tatjana Gürbacas Inszenierung nicht so hammermäßig, das Spiel und der Gesang der Solisten nicht so packend, die Klänge so berauschend, wir hätten unterbrochen…

Fast 10 Minuten vom Anfang im digitalen Off verschluckt

Es fängt nämlich schon mit der ersten Minute bitter an. Der Bildschirm „frozen“! An einer kreisrunden Bar gelangweilte Gesichter auf Barhockern. Das Orchester rechts im Hintergrund. Passiert was? Hört man was? Kein Ton! Die Bar im Stil der 50er Jahre erinnert an die historisch restaurierte Bar im Kölner Funkhaus-Cafe am Wallrafplatz (Bühne: Stefan Heyne). Und plötzlich ist Bariton Wolfgang Schwaiger als Besucher Frank bereits im Hause Pauls – hier an besagter historischer Theke in Aktion. Mit Haushälterin Birgit, Mezzo Dalia Schächter, ist er wohl schon länger zugange, als unser Stream beginnt. Fast 10 Minuten vom Anfang im Off verschluckt. Die Holzvertäfelung inmitten der Bar – Metapher für „dunkel und gespenstisch“, wie die Haushälterin die Situation zuvor für uns unhörber beschrieben hat – wird als Vorhang aufgezogen. Dahinter helle Kordelvorhänge auf einer nunmehr sichtbar runden Drehscheibe. Im Zentrum eine Heiligenikone mit Strahlenkranz und in blaues Tuch gehüllt. Das ist Maria-Marie, die verklärte verstorbene Gattin des Witwers Paul. Und als Wiedergängerin schlafwandelt Aušrine Stundyte in ebenso blauem Kleid vor der Bar.

Wie ein erst 23jähriger Korngold Untertöne, Ahnungen, Angst und Horror in Musik übersetzt, hätte niemand für möglich gehalten

Die Geschichte der Toten Stadt ist schnell erzählt: Paul will den Tod seiner Frau nicht akzeptieren. Und zwingt eine Tänzerin, die er kennenlernt und die sich in ihn verliebt, in die Rolle der verstorbenen Frau. In der Geschichte nach Georges Rodenbachs Kurzroman Bruge la mortDas tote Brügge von 1892 verschmelzen morbider Charme einer kleinen belgischen Grachtenstadt – alt und gespenstisch – mit Trauer und kränkelnden Gemütszuständen. Das ist bei Korngold vor allem die Rolle der Musik. Sie spielt Euphorie und Hoffnung, Befürchtungen, Wahn und Tragik in großer Partitur aus. Sie ist bereits filmmusikalisch gedacht! Korngold gewinnt 1937/8 als Filmkomponist in Hollywood nicht von ungefähr zwei Oscars. Handwerklich souverän mischt er bereits 1920 eine beeindruckende Emotionen-Palette zusammen. Nach der Uraufführung gilt Korngold als Wunder, diese Oper als Sensation. Wie ein damals erst 23jähriger Untertöne, Ahnungen, Angst und Horror in die Handlung bringt, und alles in Leichtigkeit und schäumende Lebensfreude wieder umkehrt, das hätte niemand für möglich gehalten. Sogar mit einer Orgel setzt er religiös-bigotten Kirchenklang in Kontrast zu charakterlicher Haltlosigkeit im Wahn. Für all das findet Regisseurin Tatjana Gürbaca eine schlüssige wie packende Lesart. Sie legt einen Psychothriller an. Paul ist ein Psychopath, der wie in einem Krimi entlarvt werden muss. Der Mord an seiner ersten Frau Marie wird ihm auch nachgewiesen. Dann ist es allerdings zu spät für die zweite.

Anders als in Frank Castorfs Regie von Braunfels‘ Die Vögel machen die Hitchcock-Zitate hier absolut Sinn

Eine Ahnung wird früh geschürt durch eingeblendete schwarz-weiß Bilder und Videos, die an Alfred Hitchcocks Thriller Psycho und Vertigo erinnern (Video: Sandra Van Slooten und Volker Maria Engel). Anders als in Frank Castorfs Regie von Braunfels‘ Die Vögel machen die Hitchcock-Zitate hier absolut Sinn. Sie dienen einer konzis angelegten dramatischen Entwicklung.

Aušrine Stundyte, Burkhard Fritz, Wolfgang Schwaiger. Foto: Paul Leclaire

Mit vielen subtilen Anzeichen untermalt Tatjana Gürbaca ihre Ermittlungen. Wie Paul sich am Anfang einmal die Lippen schminkt oder später im Glaskasten mit Hundehalsband kniet, wo Mörder in weiß drauf geschrieben steht.

klassikfavori über Die Tote Stadt neuinszeniert in Köln. Am Ende sind Arme und Hemd von Paul blutig. Birgit zieht mit wissend-teuflischem Blick den Vorhang wieder zu. Dahinter liegt die Leiche von Marietta. Paul ist ein Mörder.
Dalia Schaechter, Burkhard Fritz. Foto: Paul Leclaire

Am Ende sind Arme und Hemd blutig. Birgit zieht mit wissend-teuflischem Blick den Vorhang wieder zu. Dahinter liegt die Leiche von Marietta, deren Stimme noch einmal gespenstisch aus dem Off tönt.

Unbedingt noch einmal erleben – ohne die 55 digitalen Unterbrechungen

Burkhard Fritz gibt den Psychopathen mit Heldentenor-Verve. Mit viel Gewicht und teuflischem Blick schmettert er seinen Verklärungswahn über gewaltige Orchesterwellen. Aušrine Stundyte bewältigt bravourös ihre Riesenpartie. Sie findet Gesten und Töne für die lebensfreudige Tänzerin und Komödiantin. Sie kämpft mit großer Stimme.
Burkhard Fritz, Aušrine Stundyte. Foto: Paul Leclaire

Burkhard Fritz gibt den Psychopathen mit Heldentenor-Verve. Mit viel Gewicht und teuflischem Blick schmettert er seinen Verklärungswahn über gewaltige Orchesterwellen. Aušrine Stundyte bewältigt bravourös ihre Riesenpartie. Sie findet Gesten und Töne für die lebensfreudige Tänzerin und Komödiantin, kämpft mit großer Stimme, vielleicht nicht immer im forte ganz perfekt fokussiert. Aber in ihrer Verzweiflung eindrücklich: Paul möge sie doch als die lieben, die sie ist! Ihr Lautenlied „Glück, das mir verblieb“ ist kurz nach der Uraufführung bereits ein Hit. Ein großer melodramatischer Moment, mit Streicherschmalz und märchenhaften Glockentönchen verkitscht. „Ein traurig Lied vom treuen Lieb, das sterben muss“. Dalia Schächter als Birgit ist eine durchtriebene Komplizin, und man meint im Schlussbild, dass sie sich als die eigentliche Geliebte Pauls sieht. Schächter versteht sich stimmlich großartig auf solche  „bösen Rollen“, deren zunächst harmlose Fassade irgendwann einbricht. Dirigent Gabriel Feltz arbeitet sich unter großem Einsatz durch die Partitur und entlockt dem Gürzenich-Orchester sämtliche Wunder, die drin stecken. Das kann man digital durchaus beurteilen. Auch der Opernchor, gerade mit einem Opera Award ausgezeichnet und ein Kinderchor (Mädchen und Knaben der Kölner Dommusik) gehören ins Klangbild.
Was wäre das alles beglückend gewesen, ohne die 55 Unterbrechungen. Unbedingt noch einmal erleben, wenn es real auf die Bühne kommt!

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