Das Land des Lächelns am Aalto-Theater feiert in der Regie von Sabine Hartmannshenn bald Premiere! Und da gibt es was zu sagen …

Sabine Hartmannshenn ist Opern-Regisseurin. Und darf für sich beanspruchen, was alle renommierten Regisseur*innen behaupten. Sie hat an allen namhaften Opernhäusern inszeniert! Am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, am Fenice in Mailand, an der Staatsoper Hamburg, am Kongelige Teater Kopenhagen. Ihre “Lulu” für die Göteborger Oper ist von der Kritik zur „Produktion des Jahres 2002“ in Schweden gewählt worden. Ihre “Phaedra”-Inszenierung für die Deutsche Oper am Rhein ist als Höhepunkt im Henze-Jahr 2010 bejubelt worden. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an Puccinis “Il Trittico” für Köln, wo drei Regisseurinnen jeweils übernommen haben. Sabine Hartmannshenn den “Tabarro”, wo eine noch unbekannte Asmik Grigorian eine wunderbare Giorgetta gegeben hat. Auch zwei Operetten gehören zu ihrem Erfahrungsschatz. Kommenden Samstag, am 7. Dezember, feiert am Aalto-Theater in Essen ihre dritte Operettenproduktion, Franz Lehárs „Land des Lächelns“ Premiere. Sind Operetten wieder angesagt? Das Jacques Offenbachjahr scheint Mut gemacht zu haben. Wobei das “Land des Lächeln” mit Vorbehalten an den Start geht. Die Wuppertaler Inszenierung im letzten Jahr hat für einen Skandal gesorgt. (Das Gespräch mit Sabine Hartmannshenn führt Sabine Weber)

Sabine Hartmannshenn. Foto: Andreas Zobe

Franz Lehár war zu Lebzeiten der am meisten aufgeführte Komponist aller Zeiten. Dennoch ist er heute vor allem ein Ärgernis für Intellektuelle. Weil er der Inbegriff für süßen Kitsch, ein Synonym für Schund schlechthin sei.
Der Operetten-Komponist Lehár wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nie rehabilitiert. Anders als Jacques Offenbach oder Johann Strauss.
Warum? Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ehrlich gesagt kann ich die Vorbehalte beim „Land des Lächelns“ nicht bestätigen. Es ist sehr gut gearbeitet. Sehr spannend geschrieben. Lehár hat natürlich versucht, chinesisches Kolorit hinein zu bringen. Man hört viel Pentatonik. Aber da sind Musiknummern drin, die gehen einem unter die Haut. Ich würde das nicht so unterschreiben wollen.

Es wurde ihm ja schon handwerkliche Perfektion zugebilligt. Man nannte ihn sogar den „Olympier des Banalen“, eben weil er mit der Partitur so gut umgehen konnte. Aber der Gehalt seiner Operette wird ihm zur Last gelegt.
Der Tenor Matthias Klink hat mir mal in einem Interview gesagt, dass in der Nachkriegszeit gerade das politisch Unbescholtene, das Fröhliche für viele wichtig war, um vergessen zu können. Könnten die Vorbehalte damit begründet werden, dass Operette nur clean und harmlos über die Bühne gehen durfte? Also ihres kritischen Aussagegehalts beraubt wurde? Was wäre denn beim Land des Lächelns Zündstoff?

Es ist ganz sicher die Nachkriegszeit gewesen, die den Operetten die Spitze genommen hat. Den Operetten die Schärfe genommen hat. Das war in den 1920 Jahren, der Hoch-Zeit der Operette, definitiv nicht so gemeint. Das waren subversive Stücke. „Sex, Crime und Brechen der Tabus“ war da an der Tagesordnung. Deshalb finde ich es so schade, dass Operette so vergessen ist. Ich muss aber auch zugeben, dass ich durch die Beschäftigung mit „Land des Lächelns“ überhaupt erst gemerkt habe, das hier nichts harmlos war. Genau das Gegenteil. Aber in den 50er Jahren wurde Operette degradiert in eine harmlose, pink-rosa Stimmung, wo die Frauen immer nur sein müssen, wie die Männer es sich wünschen, und die Männer um die Frauen scharwenzeln. Entschuldigung! Nichts davon stimmt! In keinem dieser Stücke!

Was wäre denn jetzt das Brisante, das Subversive im „Land des Lächelns“?

Das Land des Lächelns hat allerdings aktuell ein großes Problem. Was ist China? Wie erzähle ich China heutzutage? Ich kann mich ja nicht zurück beamen. In der Wuppertaler Aufführung im letzten Jahr wurde den Machern unterstellt, dass sie ein China-bashing betrieben hätten…

Klamaukhafter Rassismus! …

Ja, und da musste ich mich dann auch mit auseinandersetzen. Wie können wir die Oper erzählen? Auch vor dem Hintergrund, dass wir, was die Forschung angeht, weiter sind, in dem Punkt, wie wir auf Kulturen schauen. Wir haben in damaligen Zeiten immer aus dem europäischen Blickwinkel auf Kulturen geschaut und haben Kultur nicht aus der Kultur heraus, sondern aus dem Blickwinkel des Europäers beurteilt. Das ist im „Land des Lächelns“ auch zu bemerken. Da wird viel über China gesagt. Aber eigentlich erfahren wir nichts über China. Im Libretto steht, sie spielt 1912, das kann gar nicht sein. Da waren die Nachwehen des Boxeraufstandes. 1929 kann es auch nicht sein, da befand sich China im Bürgerkrieg. Wo spielt denn Lehàrs China? Es ist ein Fantasie-China, wie sich Lehàr, seine Librettisten Herzl und Löhner-Beda, überhaupt die ganze Gesellschaft damals vorgestellt. Im Stück erfährt man nur, wie man chinesisch aussieht, aber nicht, wie man chinesisch ist. Oder wie man chinesisch lebt. Es sind eigentlich Klischees, die dort verhandelt werden.

Und das ist ja auch typisch für die Operette. Sie spielt mit Klischees, um Zwänge sinnfällig zu verfremden. Und Exotik gibt die Möglichkeit, sich mit hiesigen Beklemmungen auseinander zu setzen, in dem das Exotische den Blick ein bisschen aushebelt.
Wie spielen Sie denn in Ihrer aktuellen Inszenierung für das Aalto-Theater in Essen mit den chinesischen Klischees? Und auch dem Wienerischen Klischee, das hat Franz Lehàr ja nicht vergessen. Walzer gegen Pagodenton?

Wir haben das Stück in seiner Originalzeit angesiedelt, 1929. Und damit waren wir frei, mit China Revuehaft umzugehen. Dann darf China eine Revue sein, dann dürfen sämtliche Klischees bedient werden. Dann darf ein Drachen auf die Bühne, und wenn ich dann die Schärfe dazu gebe, dass es auch im heutigen Sinne ein Spiel der Geschlechter gibt, mit Damen in Anzügen und Herren in Frauenkleider, dann kann ich es aufbrechen und für Heute interessant machen. Und das tun wir.

Also es wird für heute spannend gemacht mit allen Klischees, die wir kennen könnten, aber nicht in einem politisch-nationalen Sinne, da fallen einem ja sofort die Uiguren ein, die Schlagzeilen mit China-Cable und Umerziehungslager. Das spielt bei Ihnen aber keine Rolle?

Nein. Unser Inszenierungskonzept ist viel früher entstanden. Natürlich geht es aber da auch um Politik. Wir haben das Jahr 1929 mitgedacht. Da spürte man schon eine gewisse Veränderung, einen Umbruch. 10 Tage nach der Uraufführung von „Land des Lächelns“ gab es den Crash in New York. Der hat die Weltwirtschaftskrise ausgelöst, die den Nationalsozialisten den Weg geebnet hat. Und zur damaligen Zeit haben die Nazis bereits permanent Aufführungen gestört, die ihnen nicht gepasst haben Und haben Randale gemacht, haben Dinge behindert und verhindert.

Aber doch noch nicht in Wien?

Ich sage ja auch nicht, dass ich in Wien spiele. Ich führe ein Stück in irgendeiner Großstadt in Europa im deutschsprachigen Raum auf. Das Wienerische spielt für mich keine Rolle. Die Walzer sind alle da, aber es wird nicht getanzt.

Ist ja auch keine Wiener Operette ...

Exakt, es ist keine Wiener Operette. Und dennoch wird man viel fürs Auge haben auch lustige Dinge. Die sind in der Operette drin und die werde ich auch zeigen. Es hat ja kein Operettenhaftes Ende. Das Liebespaar kommt nicht zusammen, sondern geht auseinander. Und die Musik ist gerade gegen Ende auch sehr Operettenuntypisch, da ist sie fast Opernhaft. Da haben wir uns natürlich auch gefragt, was passiert eigentlich mit den Hauptfiguren, warum kommen die nicht zusammen? Wir erfahren, dass Lisa nach China geht und sie ihrem Prinzen Sou-Chong gefolgt ist. Dann muss aber der Prinz vier Frauen heiraten. Der sagt, das macht nichts, das ist hier Tradition. Das hat mit Dir nichts zu tun. Das gefällt Lisa natürlich nicht, vier Nebenfrauen! Der Onkel zwingt den Prinzen, und der Prinz setzt keinen Widerstand. Ich werde das nicht tun, diese Tradition nicht einhalten und nur diese eine Frau heiraten. Das wird überhaupt nicht verhandelt. Er gibt schnell nach, geht nicht in den Konflikt hinein. Und schon kommt der nächste Konflikt. Lisa erfährt gar nicht, dass er die vier Frauen heiratet. Sie kommt dazu, ist entsetzt und sagt nur noch, jetzt geh ich. Wenn die Liebe doch so groß wäre, würde man sich doch vielleicht mal hinsetzen und das Problem besprechen, auch in einer Operette. Woher kommt dies Sprachlosigkeit der beiden, dass diese Konsequenz entsteht. Haben Sie sich nicht so geliebt? Oder ist es ein Beugen vor der Kulturpolitischen Situation, vor der man flieht und sich nicht weiter mit dem auseinander setzt. Vielleicht hat Lisa auch gemerkt, dass ihr die Kultur zu weit entfernt ist und nutzt das als Ausrede, dass sie wieder zurück kann nach Wien.

Spannend, vor allem auch, weil Lehár dieses unglückliche Ende ja erst später hinzugefügt hat. Lehár hat das „Land des Lächelns“ als sein Meisterwerk angesehen. „Das beste Werk, dass ich geschrieben haben! … Die Krönung meines Lebenswerks.“ Was ist für Sie das Attraktive am „Land des Lächelns“?

Es hat einen konkreten Grund gegeben, warum mich das Stück so interessiert. Am ersten Januar dieses Jahr sind die Rechte zur „Gelben Jacke“, die der Vorläufer zu dieser Operette war, frei geworden. Man durfte zum ersten Mal in das Vorläufer-Libretto schauen und sich die Unterschiede anschauen. „Gelbe Jacke“ ist bis auf zwei Nummern identisch mit dem „Land des Lächelns“ – außer den Dialogen. In der „Gelben Jacke“ werden eigentlich beide Kulturen gleich auf die Schippe genommen. Gleichberechtigt. Im „Land des Lächelns“ ist es so, dass China, wie es so schön heißt, ist wie Himmel und Hölle, wie Feuer und Wasser. Da kann man nicht sein. Das wäre dann auch wieder eine Frage aus europäischer Sicht, was ist Himmel und was ist Hölle? Und was ist Feuer?

Die Sicht auf China hat sich also bei Lehár verschärft? Die war ausgeglichener in der ersten Fassung?

Das würde ich nicht so sehen. Man hat die Kultur benutzt, um Lisa einen Grund zu geben, zurück zu kehren. In der „Gelben Jacke“ kehrt sie auch zurück. Aber der Prinz folgt ihr. Er geht mit ihr zurück nach Wien. Da braucht es keinen Clash! Im „Land des Lächelns“ gibt es keinen guten Ausgang. Da kommen die beiden Kulturen nicht zusammen. Im ersten Teil wird China eher positiv beschrieben. Ein ganz interessanter Unterschied in der „Gelben Jacke“ ist, dass es da einen Dialog zwischen Claudius – der will auch Lisa, da heißt sie Lea, heiraten – und dem Prinzen gibt. Und da verrät er bereits: „Ich habe vier Frauen. Ich darf vier Frauen heiraten.“ Und da sagt Claudius, „O, das hätte ich auch gern mal.“ Da kann man nur sagen … Später heißt es, die Lea fährt vorbei, die Herren schauen zu, und der Prinz sagt, „sie sieht aus wie ein viertausend Jahre alter Drachen.“ Daraufhin fordert Claudius ihn zum Duell. „Moment“, sagt der Prinz, „das ist bei uns das höchste Kompliment, das man einer Frau machen kann.“ Da werden Gegensätze deutlich, was bei uns negativ ist, ist dort positiv.

Es geht also in der Erstfassung noch um Missverständnisse vor kulturellem Hintergrund, wobei sich die Patriarchen „vier Frauen fänden wir auch gut“ über Frauenchauvinismus verständigen können. Für die spätere Fassung muss China einen Scheidungsgrund liefern… Haben Sie eigentlich die Skandal-Inszenierung in Wuppertal gesehen?

Nur in Ausschnitten. Dazu kann ich jetzt gar nichts sagen. Ich frage mich nur, wenn jemand das Stück so erzählt, wie es ist, warum wirft man das ihm vor? Das ist doch ein Recht des Regisseurs, das Stück so zu erzählen, wie es ist. Ich fand das ein bisschen schwierig. Soviel kann ich sagen, ich finde das Stück nicht rassistisch. Und auch Lehár ist nicht rassistisch gewesen. Er hat sich der Stimmung im Land gebeugt, die sich mit den Nationalsozialisten breit gemacht hat. Wer bin ich, diesen Mann zu verurteilen, dessen Frau Jüdin war und die er geschützt hat. Natürlich könnte man sagen, seine Librettisten hat er nicht geschützt…

Ich glaube, er hat es aber versucht, für Fritz Löhner-Beda und Ludwig Herzl bei Hitler vorzusprechen…

Hat er gemacht, aber Löhner-Beda ist im Lager erschlagen worden, weil er nicht schnell genug gearbeitet hat. Das sind so die Sachen, die einem im Kopf herum schwirren.

…wenn man mit dem Stück umgeht. Wie sind Sie mit dem Bühnenbild umgegangen. Ein Chinarestaurant?

Nein, wir haben eine zweite Ebene geführt. Wir haben gesagt, es ist ein Theater auf dem Theater mit dem Eingang, mit dem Backstage Bereich. Damit habe ich mir eine Kommentarebene geschaffen, mit der ich spielerisch umgehen kann. Ich kann sagen, hier spielt das Stück und hier schauen wir zu. Mehr möchte ich noch nicht sagen…

So etwas wie ein bespielter Chatraum? Operette, das zum Abschluss, ist das schwerer zu inszenieren als Oper?

Ja, fällt mir immer wieder auf. Man muss mit dem gesprochenen Text umgehen, was nicht immer einfach ist. Die Sänger sind in der Musik. Ich habe beispielsweise einen Spielleiter, einen Conférencier, dem ich aber sagen musste, fühle dich nicht gehetzt, mach Deine eigene Musik. Er ist Schauspieler. Du bestimmst das Tempo. Sänger stecken immer in einem Tempokorsett. Und wenn sie sprechen haben sie das nicht.

Aber sie sprechen oft so manieriert…

Aber wenn man bedenkt, dass zur damaligen Zeit die rollenden „R“ schon mitgesprochen wurden!

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