Archiv der Kategorie: Festivalberichte

Tu es felix Colonia! Das Festival Felix Original. Klang. Köln. ist von Il Giardino Armonico eröffnet worden!

„Wir brauchen Musik“, begrüßt der Intendant der Kölner Philharmonie Louwrens Langevoort das in sein Haus zurück gekehrte Publikum. Letztes Jahr ist das Alte-Musik-Festival Felix Original. Klang. Köln. neu gestartet (siehe klassikfavori-Rezension). Und Felix trotzt in seiner zweiten Spielzeit Corona und bringt nicht nur Ensembles mit großen Namen an den Start. Grenzgänge werden gewagt. Und Newcomer der Alten Musik gibt es zu entdecken. Am Samstag wechseln sich acht Ensembles bei freiem Eintritt an drei weiteren, fussläufig voneinader entfernten Spielstätten um die Philharmonie ab. Alles natürlich nach streng ausgetüftelten Corona-Spielregeln. (Von Sabine Weber)
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100 Jahre Salzburger Festspiele: eine gewaltige „Elektra” – und eine intime „Così-Premiere” erst im Kino und TV, dann live in späteren Vorstellungen

Die Eröffnung 100 Jahre Salzburger Festspiele – im Balkon des Gloria-Palasts an Münchens Karlsplatz auf einem bequemen, weichen Sessel mit viel Beinfreiheit – hat etwas. Neben sich auf dem Tischchen ein Kir Royal. Unter Wahrung der in Bayern geltenden Abstandsregeln ist noch viel mehr Platz als sonst. Wenige Tage später dann das live-Erlebnis in der Felsenreitschule, wo das Prinzip des Schachbretts mit jedem zweiten Platz gilt. Der riesige Raum wirkt dennoch gut gefüllt. Das Erlebnis der Bühne, 1693 für die Reitschule des Erzbischofs in den Fels des Mönchsbergs gehauen, und seit 1926 zunächst für Schauspiel-Aufführungen unter freiem Himmel genutzt, passt perfekt zur Archaik der „Elektra“ von Hofmannsthal/Strauss. Und Mozarts „Così fan tutte“: auf der großen Bühne im Festspielhaus! (Von Klaus Kalchschmid)
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HAT DIE RUHRTRIENNALE 2020 NOCH EINE CHANCE?

(Foto: Gebläsehalle Duisburg von Joerg Brueggemann) Bereits am 22. April wurde die Ruhrtriennale als eines der ersten internationalen Festivals abgesagt. Das Aushängeschild der Festivals in NRW hat der Lockdown der Corona-Pandemie früh getroffen. Gegen den Wunsch der Intendantin Stefanie Carp, die vom Kultusministerium nur wenige Stunden vor der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde. Dabei böten die kolossalen Hallen, Kokereien und Maschinenhäuser der einstigen Schwer- und Stahlindustrie-Ruinen doch enorm viel Platz, um Abstandsregelungen für die Künstler und das Publikum einzuhalten. Das Angebot umfasst ja auch nicht nur Musiktheater-, Schauspiel- und Tanzprojekte, sondern auch Installationen mit Video und Lichtprojektionen. (Siehe Pressemeldung Zur Absage der Ruhrtriennale 2020) Museen werden derzeit im Rahmen der Corona-Lockerungen wieder geöffnet. Die Theater öffnen Ende Mai, freilich unter komplizierten Hygienebedingungen. Aber auch diesen Anforderungen könnte man sich in den Ruhrtriennalen-Hallen mit entsprechend geschultem Personal stellen. Der Kulturrat NRW hat die NRW-Landesregierung jedenfalls aufgefordert, wenn Kulturbereiche noch in diesem Monat wieder geöffnet werden, auch die Ruhrtriennale wieder stattfinden zu lassen. In einer angepassten und kondensierten Version. Worum könnte es gehen? Die Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp stellt sich den Fragen von klassikfavori! HAT DIE RUHRTRIENNALE 2020 NOCH EINE CHANCE? weiterlesen

RT19: Eine beklemmende Studie über Holocausterfahrungen, die eine Mutter-Tochter Beziehung noch in der übernächsten Generation traumatisiert

Vision oder Wirklichkeit? “Evolution” nennt Kornél Mundruczó seine neueste Kreation, die als letzte Musiktheaterpremiere am 5. September ihre Uraufführung auf der Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle in Bochum gefeiert hat. In drei zeitlich aufeinanderfolgenden Bildern entwickelt der künstlerische Leiter, Theaterregisseur und Mitgründer des freien Budapester Proton-Theaters die Handlung. Die Vergangenheit entdeckt ein Putztrupp. Er reinigt eine Sammeldusche und wird von der Vision einer Gaskammer heimgesucht. Im zweiten Bild, der Gegenwart zugeordnet, so Mundruczó, setzen sich Tochter und Mutter über das Jüdisch-sein auseinander und offenbaren sich dabei ihre Geschichten und ihre traumatischen Verletzungen. Im letzten Bild sorgt ein gigantischer Lichtstrahl aus den Tiefen der Jahrhunderthalle für Licht in einem Tunnel, in den der Sohn, bzw. Enkel mitsamt seinen Chatfreund*innen aufbricht, die ihre zuvor an einander ausgetestete Mobbingmaschinchen dabei haben, Mobilfunkgeräte. Ist das die Zukunft? (Von Sabine Weber) RT19: Eine beklemmende Studie über Holocausterfahrungen, die eine Mutter-Tochter Beziehung noch in der übernächsten Generation traumatisiert weiterlesen

RT19: Ensemble Ascolta fegt mit schrägem Roaring-Twenty Sound durch Gordon Kampes „Gefährliche Operette. Eine Wiederbelegung“. Countertenor Daniel Gloger läuft in einer Travestie-Nummernrevue zu Hochform auf!

(Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker) Wiederbelegung ist hier nicht wortwörtlich zu verstehen und schon gar nicht Operette zu erwarten! In 16 Nummern – dazu gehören zwei Instrumentaleinlagen – wird allenfalls Operettenhafter Attitüde genüsslich der Hahn zugedreht. Am Ende ist die Operette eher tot. Lachen und Küssen als Unterhaltungswert wird musikalisch ins melancholisch-tot-Traurige verkehrt, das kleine Vögelchen wird getötet und muss sadistisch ausbluten oder Herzschmerz und deklarierter Lebenssinn wird mit einer Kindermelodie banalisiert. Eine verschrägte Dixielandband – statt Banjo mit dezent verzerrten E-Gitarrenklängen – vor allem mit immer neuen Klangideen, die auch an die Neue-Musik-Avantgarde der Zwanziger Jahre erinnern, wartet mit flirrenden und kratzenden Cellosounds auf, aggressiven Tuschs von Posaune und Trompete und vielen Schlagzeugeffekten von singender Säge über Waldteufel, Blechdosen, bis hin zum scheppernden Pekingoper-Gong und fährt in bissige, bisweilen Lächerlichkeit ausbreitende Texte hinein. Am Ende hat Daniel Gloger sich hinter einem Paravant zig mal in immer andere Klamotten und Posen geworfen und in seiner One-man-Show nicht nur Operetten-Charaktertypen mit Detailfreude untergehen lassen. (Von Sabine Weber) RT19: Ensemble Ascolta fegt mit schrägem Roaring-Twenty Sound durch Gordon Kampes „Gefährliche Operette. Eine Wiederbelegung“. Countertenor Daniel Gloger läuft in einer Travestie-Nummernrevue zu Hochform auf! weiterlesen

RT19: Superlative der Mehrstimmigkeit! Chorwerk Ruhr mit Berios Coro und Striggios Missa sopra Ecco sì beato giorno in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck

(Foto: Christian Palm) Was hat Luciano Berio Mitte der 1970er und Alessandro Striggio den Älteren 400 Jahre früher dazu getrieben, 40stimmige Werke zu entwerfen? Der Italiener Berio will seine Aktivitäten auf dem Experimentierfeld Musik und Sprache auf eine unerhörte wirkmächtige Stufe heben. Was jenseits des üblichen Gesangs, mithilfe von Gesten, Lachen, Flüstern, Schnalzen an neuen stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen sei, testet er schon seit Jahren zusammen mit seiner Expertin für diese Stimmversuche, Cathy Berberian aus. Als Grundlage dienen volksliedhaft-ethnische Texte oder Folksongs in allen Sprachen. Für Berberian hat er auch frühbarocke oder Popsongs bearbeitet. In „Coro“ rüstet Berio die gewonnenen vokalen Expertisen durch Verse des chilenischen Poeten und Widerstandskämpfers Pablo Neruda zu einer politischen Kunst auf und experimentiert mit einer neuen Raumklanglichkeit. Alessandro Striggio ist Komponist und Diplomat der Medici in Florenz. Er komponiert 40stimmig, um einer politischen Hochzeit Glanz zu verleihen und bei seinen Missionen zu beeindrucken. Ein diplomatischer Aufenthalt in London, wo er ein 40stimmiges Werk hören lässt, möglicherweise die für die Hochzeit komponierte Motette Ecce beatam lucem, es könnte aber auch die Missa sopra Ecco sì beato giorno gewesen sein, inspiriert Thomas Tallis, sein 40stimmiges Spem in alium zu komponieren.

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RT19: Purcells Dido and Aeneas als experimentelle Semi-Opera mit zornigem Vergil und Jazzscratching in einer überhitzten Kraftzentrale

Für „Dido and Aeneas, remembered“ hat Regisseur David Marton etwas gemacht, was bei Londoner Aufführungen zu Purcells Zeiten üblich war. Nämlich zwischen die Musiknummern einer Oper Schauspieleinlagen zu schieben. Freilich hier kein William Shakespeare oder John Dryden. Bei der aktuellen „Dido and Aeneas, Remembered“ gräbt sich neu erfundenes Götterpersonal, Jupiter und Juno, archäologisch in die Vergangenheit, um die Zukunft zu suchen, und rezitiert aus Vergils Aeneis. Außerdem thront E-Gitarrist Kalle Kalima in weißem James-Last-Anzug rechts über der leichten Orchestergraben-Vertiefung und führt das Ensemble mit jaulend bis rhythmisch quietschenden, aber auch melodiös-bluesigen Noten durch von ihm neu hinzu komponierte Klangflächen. In das Sängerpersonal, nebst Chor, ist Erika Stucky geschmuggelt. Die amerikanisch-schweizerische Stimmkünstlerin hat einen laut scheppernden Auftritt. Sie zieht mit Schippe von hinten ein, wobei die Schippe auf den Boden kracht und das Publikum auf der Riesentribüne irritiert. Sie ist ja erstmal nicht zu sehen.

RT 19 Erika Stucky als Hexe. Foto: Paul Leclaire
RT 19 Erika Stucky als Hexe. Im Hintergrund Sandsturm. Foto: Paul Leclaire

 Auf der Bühne angekommen schlägt sie auf Stiel und Schaufel, um ihren Jazz-Volksmusik-freien Scatgesang zu begleiten und ruft die bösen Geister auf den Plan. Vor allem gibt sie der Rolle der Purcell‘schen Hexe ganz neue Farben. Das Außergewöhnliche fügt sich in dieser dritten experimentellen RT 19 Musiktheaterproduktion ganz wunderbar! (Von Sabine Weber)

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RT19 Die Eröffnungswoche mit Musik-Theater von Marthaler und Goebbels, flankiert von Installationen

IMG_6329Der US-amerikanische Künstler, Musiker und Bandleader Tony Cokes bereitet Statements über die Anfänge der Popmusik im Ruhrgebiet mit alten Collage-Arbeiten aus der britischen und US amerikanischen Club- und Rockszene auf und projiziert sie auf gigantische Betontrichter in der Mischanlage Kokerei Zollverein, Essen.IMG_6301Ein Tag später eröffnet Bühnenbildnerin Barbara Ehnes ihre Installation Αλληλεγγύη und präsentiert auf Bildschirmen in einer Nische der von raumlaborberlin aufgerüsteten temporären Architektur Third Space vor der Jahrhunderthalle Ausschnitte aus ihren Nachfragen zu Solidaritätsbewegungen im krisengeschüttelten Griechenland.

Fotos: Sabine Weber
Fotos: Sabine Weber

Im großen Fokus stehen natürlich die Musiktheaterproduktionen. In der Jahrhunderthalle mischt Heiner Goebbels am späteren Abend gewaltige Bilder in einer installativen Performance mit Geräuschattacken bis Orgel-plus-Ondes-Martenot–Klängen ab. Im Eröffnungspremierenstück am ersten Tag hat Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp als Autorin mit Artiste associé Regisseur Christoph Marthaler sowie Musiker Uli Fussenegger mit Ensemble im Audimax der Ruhr-Uni Bochum vorgeführt, wie ein zukünftiger Euro-Rassismus durch parlamentarische Debatten Wirklichkeit werden könnte. (Von Sabine Weber)

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RT19! Zwischenezeit! Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp hat Ihre zweite Spielzeit vorgestellt. Mittwoch, den 21. August, fällt der Startschuss mit der ersten von 14 Uraufführungen, europäischen und deutschen Erstaufführungen

(Probenbild aus “Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend”. Foto: Matthias Horn)
An einem ungewöhnlichen Ort beginnt es dieses Jahr. Der Audi-Max der Ruhr Universität Bochum ist nämlich keine Industriebrache. Aber er ist der perfekte Ort für den Eröffnungsabend und die Uraufführungspremiere, für die Stefanie Carp, Christoph Marthaler, ihr Artiste associé, und der Kontrabassist und Bearbeiter Ulrich Fussenegger im Team verantwortlich zeichnen.

Christoph Marthaler und Ulrich Fussenegger. Foto: Daniel Sadrowski/ Ruhrtriennale 19
Christoph Marthaler und Ulrich Fussenegger. Foto: Daniel Sadrowski/ Ruhrtriennale 19

Carp hat die Texte verfasst, Marthaler führt Regie und Fussenegger hat die Musik ausgewählt, und wird das Ensemble leiten. Musik rassistisch verfolgter Komponisten soll zu einem Kommentar über alte und aktuelle politische Rhetorik werden. Wohin politische Hetze führen kann, muss dringend wieder verhandelt werden. Denn, so Carp: „Europa verspiele gerade seine Werte und müsse sich sogar selbstkritisch hinterfragen, ob es diese Werte von Selbstbestimmtheit und Solidaritäten, ob es Freiheit, Gleichheit jemals eingelöst hat, und ob sie überhaupt einlösbar sind.“ (Von Sabine Weber)

Stefanie Carp. Foto: Daniel Sadrowski/ Ruhrtriennale 2019
Stefanie Carp. Foto: Daniel Sadrowski/ Ruhrtriennale 2019

RT19! Zwischenezeit! Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp hat Ihre zweite Spielzeit vorgestellt. Mittwoch, den 21. August, fällt der Startschuss mit der ersten von 14 Uraufführungen, europäischen und deutschen Erstaufführungen weiterlesen

„Sörsi goes Las Vegas!“ Bei den internationalen Händelfestspielen in Karlsruhe werfen sich die Countertenöre Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic für die Derniere von Händels „Serse“ noch einmal so richtig ins Zeug!

Serse als Glamourstar. Foto: Falk von Traubenberg
Serse als Glamourstar. Foto: Falk von Traubenberg

Auch die Derniere im Badischen Staatstheater ist wieder restlos ausverkauft! Franco Fagioli ist bei den internationalen Händelfestspielen ja längst der Publikumsliebling und zählt nach seiner aktuellen Xerxes-Aufnahme diese Rolle zu seinen Majors! Aber das sollte jede und jeder eigentlich auf der Bühne erleben! Wie Fagioli mit Elvis-Perücke samt Koteletten und im Glitzeranzug die Rolle des ausgeflippten Stars auskostet. Und dabei mit bis zur Hypoxie durchgehaltenen Tönen, brillanten Kehltrillern und Koloraturen eine ausgeflippte Gesangsperformance abzieht. Kastraten waren ja auch die Glamour-Stars in Händels Opern! Max Emanuel Cencic steckt mit Karohose, Schnäuzer und Tropfenbrille in der „Loser“-Rolle von Serses zurückgesetztem Bruder Arsamene. Er darf zum großen Teil schön leiden, holt aber einmal zu der vielleicht virtuosesten Zornesarie im ganzen Stück aus. (Von Sabine Weber) „Sörsi goes Las Vegas!“ Bei den internationalen Händelfestspielen in Karlsruhe werfen sich die Countertenöre Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic für die Derniere von Händels „Serse“ noch einmal so richtig ins Zeug! weiterlesen