Blutiges Heil – Roland Schwabs „Parsifal“ spielt in Essen am Karfreitag vor düsterer Kulisse

Aus den fünfeinhalb Stunden werden fast sieben Stunden. Gleich der erste Vorhang öffnet sich nicht. Eine Ansage mit Entschuldigung und der Bitte um Geduld wird am Bühnenrand vorgetragen. Schade wars für den Kontrast zwischen der kontemplativen Natur-Atmosphäre im Vorspiel mit Video und Musik und der dystopischen Welt der Gralsritter, wo die Handlung einsetzt. Der sich endlich hebende Vorhang bekommt Applaus. Der Umbau zum dritten Aufzug klemmt, wohl wegen des Wasserbeckens. Die ersten beiden Aufzüge, Gralsburg und Klingsors Garten, spielen in einem Fußwasserbecken. In der zweiten Pause kommt eine weitere Ansage über Lautsprecher ins Theaterfoyer. Irgendwas mit 70 Minuten und Geduld…, die Hartnäckigen stürmen sofort wieder zu den Barbereichen. (Von Sabine Weber)

(18. April 2025, Aalto-Theater Essen) Das war sicherlich eine Herausforderung für den Parsifal-Darsteller, der im letzten Aufzug so etwas wie Heil und Zukunftshoffnung in stimmlich herausfordernder Überhöhung zu verkünden hat. Robert Watson gelingt das selbstverständlich bei immer noch großartiger Stimme, wenn ihm auch ein bisschen die Aussprache abhandenkommt. Die war in den vorausgehenden Aufzügen, vor allem im zweiten, seinem Rendezvous mit Blumenmädchen und Kundry, hervorragend.

Bettina Ranch als Kundry – großartig

Bettina Ranch, längst eine Säule im Aalto-Ensemble, ist als Kundry die Überraschung dieser Produktion. Nicht nur bringt sie die schwierige Partie textverständlich und sprachlich deklamierend zum Ausdruck, vorbildlich wie zu Wagnerzeiten gefordert. (Siehe dazu auch Audio zum „historischen“ Siegfried) Dass sie erst stockend spricht, weil tierisch-wild im ersten Aufzug, ist in die Partitur eingeschrieben. Ganz anders ihre verführerischen Linien, die sie im zweiten Aufzug um Parsifal windet, um ihn durch Liebeslust zu verderben. Sie ist ja auch verwandelt. Parsifal offenbart sie dabei nicht nur dessen unbekannte Vergangenheit, sondern offenbart ihm und den Zuhörern auch, warum sie seit Jahrhunderten als Untote unterwegs ist. Ranch weiß dabei jeden Ton zu dosieren, auch in der Tiefe, jeden Konsonanten zu artikulieren. Dazu ist Bettina Ranch auch noch optisch eine schöne und verführerische Erscheinung, vor allem im weiß-elastisch schwingenden Röhrenkleid (Kostüme: Gabriele Rupprecht). Dass sie am Aalto-Theater die Chance zu dieser stimmlichen Entwicklung bekommen hat, ist nicht hoch genug zu loben. Hein Mulders hat sie als Essener Intendant ins Ensemble geholt und wird sie als derzeitiger Kölner Intendant auch demnächst nach Köln für eine Wagnerproduktion einladen … Das hat er in der zweiten Pause kurz verraten, denn er ist für diese Karfreitagsaufführung mal wieder in sein altes Haus gekommen.

Vorne sitzt Robert Watson (Parsifal) völlig irritiert. Hinter ihm betreibt Bettina Ranch (Kundry) das Verführungsspiel. Foto: Matthias Jung
Robert Watson (Parsifal), hinten: Bettina Ranch (Kundry). Foto: Matthias Jung
An der Ensemble-Leistung ist nichts auszusetzen

An keinem der Solisten ist in Essen etwas auszusetzen. Und das ist ein Erfolg für die leider nach dieser Spielzeit scheidende Intendantin Merle Fahrholz. Warum halten die Frauen-Intendantinnen nicht länger durch? Sebastian Pilgrim gibt mit stechendem Blick den wachsamen Gralsritteraufseher Gurnemanz. Er knödelt zwar manchmal ein wenig, gestaltet seine Erzählung im ersten Aufzug aber sonor und tadellos. Ralf Lucas musste den krankheitsbedingt ausfallenden Heiko Trinsinger ersetzen und als Amfortas die Kreuzigung im Krankenbett durchhalten. Mit ausgebreiteten Armen hängt er stehend im senkrecht hochgezogenen Bett (Siehe Titelbild von Matthias Jung). Sein Blut wird ihm dabei mit Schläuchen abgezapft. Das ist zu der leidend auftrumpfenden Musik ein ziemlich verstörendes, aber einfahrendes Bild. Es erinnert an die erste Folge von Matrix, wo Menschen an Schläuchen als Batterien dienen. Am Ende wird Amfortas übrigens einfach hängen gelassen. Er hat hingegeben, was die Gralsmänner von ihm wollten. Und die ziehen danach einfach ab! Bleibt noch, Karel Martin Ludvik als Mad-Max-Klingsor zu erwähnen. Er lässt sich von der Widerlichkeit und Durchtriebenheit seiner Rolle nicht verunsichern und gibt dem Bösewicht auch verletzliche Seiten. Mitsamt seinem Garten versinkt er am Ende in den Boden – nicht ganz. Dennoch ein großartiger Bühneneffekt und vielleicht der Grund für die technischen Probleme beim Umbau.

Bildschirme sind Blüten und Augen

Der zweite Aufzug, der musikalisch wild aufbäumenden beginnt, ist Höhepunkt jeder Inszenierung und auch der von Roland Schwab. Das düster-schwarz karge Bühnenbild eines nach hinten gekrümmten Röhrentunnels mit aufflackernden Neonröhren am Gestänge (Piero Vinciguerra) über Wasserbecken ist jetzt mit subtropischem Grün überwuchert. Bildschirme sind Blüten, die erst geschminkte Frauenaugen zeigen, dann Rosenblüten, dann das liegende Gesicht des Gekreuzigten mit Dornenkrone im Stile eines Renaissancemalers. Im Verlauf der Schilderung Kundrys stellt sich das Gesicht auf und öffnet sogar unmerklich das Auge. Das ist der Blick des Erlösers, nur angedeutet. Davon erzählt die Ranch-Kundry gerade mit großer Leidenschaft in ihrer Fluch-Erzählung. Unter dem Kreuz hat sie den Gekreuzigten einst verlacht, der sie daraufhin mit seinem Blick trifft. Seitdem flieht sie, will „Schlafen“ und kann endlich sterben, nachdem Parsifal ihr im letzten Aufzug die Taufe gewährt. Dass sie dennoch den zweiten leibhaftigen Erlöser Parsifal zuvor verderben will, ist einer der verwirrendsten Momente im Wagner-Kosmos. Die psychologisierten Doppelbindungen fängt Schwab in seiner Personenregie aber bestens auf. Parsifals Sieg über Klingsor wirkt am Ende wie immer notgedrungen aufgesetzt. Magische Handhebung lässt Klingsors Speer sinken. Wichtiger ist aber, dass die Szene mit einer Kundry endet, die am Boden bittend die Hände erhebt. Oder ist es eine Dankesgeste? Sie ist besiegt und ja deswegen gerettet.

Wagnersamt und Seide

Die vielen guten Bilder sind gar nicht aufzuzählen. Zum Raum wird in Essen übrigens zuallererst im Orchestergraben die Zeit! Die Essener Philharmoniker unter Andrea Sanguineti sind an diesem Abend rekordverdächtig am Langsamlimit. Sie zeichnen und zelebrieren „mitgefühlt“ jede Regung der Sängerinnen und Sänger intensiv nach und verlebendigen das „Durch Mitleid wissend …“ klanglich perfekt. Instrumentale Gesten und Bögen, vor allem die zerdehnten im unisono gleich am Anfang, leben intensiv auf Jeden Ton lutscht man wie einen Drops. Essen ist Parsifalrausch pur. Was in der Premierenkritik noch bemängelt wurde, dass Sanguineti das Orchester gnadenlos gegenüber den Sängerinnen und Sängern toben ließe, ist ausgemerzt. Die Essener Orchestermusiker betten ihre Solisten geradezu in Wagnersamt und Seide – bis auf die paar Male, wo der hehre Held schreien muss, was gewollt ist.

Keine Heilung möglich?

Die Inszenierung von Roland Schwab geht auf, wenn sie auch keine Zukunftsperspektive für die abgehalfterten Gralsritter sein will. Männergesellschaft ist auch nicht das Thema, sondern die schicksalshaften Konflikte eines tumben Tores, der Reinheit lernen muss, einer alle möglichen verfluchten Frauenbilder in sich vereinenden Dienerin in einer Männergesellschaft, von der wir wiederum nur sehen, dass sie im ersten wie letzten Aufzug überaltert an Rollatoren und mit Gehilfen wankt. Im ersten noch in Schwarz, im letzten zerlumpt grau. Da ist keine Heilung möglich.

Karfreitagszauber mit Gralsglockenklavier

Heilung etwa für die verlorene, einst heile Natur, die im Anfangsvideo magisches Waldboden-Moos-Idyll zeigt? Mit Slowmotion fährt die Kamera durch den Zauberwald und bewegt sich wie in Trance zur Musik. (Video: Ruth Stofer) Plötzlich sind die Bäume verdorrte Fichten. Ein Wanderer ist von hinten zu sehen, Parsifal, im Kapuzenanorak mit Rucksack, durchschreitet den abgestorbenen Wald. Im letzten Aufzug zeigt das Video identisch zum Anfang nicht nur verdorrte Fichten, sondern ausgebrannte Autowracks. Parsifal, dieses Mal mit Speer auf dem Weg zur Gralsburg, trägt sogar Gasmaske. Erlösung und Heil wird im hermetischen, jetzt ausgetrockneten Tunnel zelebriert, am Ende wird sie auch Amfortas und Kundry zuteil. Die Weltprognose bliebe trotz König Parsifal düster. Wäre da nicht der Karfreitagszauber, weswegen viele an diesem Karfreitag auch nach Essen gepilgert sind. Und er wird hier sogar mit einem originalen Gralsglockenklavier der Firma Steingräber quasi historisch eingeläutet. Ein toller Effekt. Dieser Parsifal hallt aus vielen Gründen noch lange nach…

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