40 Jahre Concerto Köln! Wie war es am Anfang?

Concerto Köln (Titelbild von 1987. Foto: Jean-Michel Forest. Concerto Köln) blickt auf wahrlich viele musikalische Entdeckungen zurück. Am 28. Oktober 2025, kommenden Dienstag, wird in einem Jubiläumskonzert in der Kölner Phiharmonie gefeiert und die Händel-Oper „Flavio, Rè di Longobardi“ mit erlesenen Solisten entdeckt… Wie war es denn eigentlich am Anfang? Werner Erhardt und Gerald Hambitzer wissen das noch. (Von Sabine Weber)

„Das kleine Wunder made in Köln“ bezeichnet der Spiegel einmal Concerto Köln. „Wir waren die erste Generation, die Alte Musik von der Pike auf erlernten“, erklärt Werner Erhardt das Wunder. Geiger, Gründungsmitglied und künstlerischer Leiter von Concerto Köln bis 2005 hat Erhardt Barockgeige bei Franzjosef Mayer studiert. Eigentlich Professor für moderne Geige an der Kölner Musikhochschule, hatte Mayer nebenbei zur Barockgeige gegriffen, wie auch Professoren-Kollege Helmut Hucke zur Barockoboe, Günther Höller zur Traverso. Und sie gründeten den Studiengang Alte Musik. „Das veränderte die Situation!“, so Erhardt. „Wenn ein Kantor eine Johannespassion in München, Freiburg oder Hamburg auf historischen Instrumenten machte, trafen wir immer wieder auf die Mitstudenten“. Warum nicht gleich in Köln ein Orchester gründen und regelmäßig zusammen arbeiten? Christoph Spering spielte eine Rolle, damals Kantor in Köln-Mühlheim. „Wir saßen beim Italiener nach einer Oratoriums-Aufführung zusammen!“ Schnell war ausgemacht, Spering kümmert sich um die historische Chorpraxis und Erhardt um das historische Instrumentarium. So fing alles an.

Konkurrenzlos

1985 formiert Erhardt mehr oder weniger aus Studienkollegen den bis auf den heutigen Tag selbstverwaltete Klangkörper. „Individuelles Forschen, ohne Dirigenten proben und auftreten und basisdemokratisch Impulse aller Mitspieler aufnehmen“, lautet die Aufbruchs-Devise. 17 Musiker sind auf einem der ersten Gründungsfoto von Concerto Köln zu erkennen. Für die 1954 gegründete und vom WDR getragene Capella Coloniensis mit Dirigent war man in dieser kleinen Besetzung keine Konkurrenz. Und in der Umsetzung der Aufführungspraxis wollte man sowieso konsequenter sein. Aber natürlich muss man sich als freischaffendes Orchester finanzieren und so lässt man sich buchen, tritt mit den Tölzer Knaben, dem Knabenchor Hannover oder den Regensburger Domspatzen auf.

Erste Erfolge in Frankreich

„Qualität oder Geld.“ Das war die Losung am Anfang, so Erhardt. Denn bald rücken eigene Programme in den Focus. Für qualitativ hochwertige Programme muss geprobt, also investiert werden. Auch wenn die ersten Gagen mager ausfallen. „Wir wollten einen eigenen Klang entwickeln, eine eigene Identität finden!“ Und das gelingt auch mit unbekanntem Repertoire, das weder Hörgewohnheiten stört noch bestätigt. In Bibliotheken geht vor allem Chef-Rechercheur Erhardt auf die Suche, sammelt auch Hinweise von Musikwissenschaftlern. Traktate liefern Hinweise. „Oft kamen die Impulse von außen“. Reinhard Goebel (Musica Antiqua Köln) macht die jungen Orchesterkollegen beispielsweise auf Cembalokonzerte der vier Bachsöhne aufmerksam, woraus die erste CD beim Label Capriccio entsteht. Solist ist Gerald Hambitzer, ebenfalls Gründungsmitglied. Kontrabassist Jean-Michel Forest vermittelt in Frankreich internationale Auftritte. Beim Festival de la Roque d’Anthéron wird Concerto Köln bald immer wieder auch als Begleitorchester für andere Solisten gebucht wird. „Pierre Verany hatte eine kleine Plattenfirma und brauchte für seine Solisten ein Begleitensemble“. Verany war einer der ersten, der sich in Frankreich auf Alte Musik konzentrierte. Für das Festival in Nantes bucht sie Chordirigentin Laurence Equilbey oder Chorspezialist Pierre Cao für Auftritte in Luxemburg. Bei Radio France ist Concerto Köln bald zu Gast und zieht durch die renommierten Säle Frankreichs. Unbekannte Vivaldi-, Locatelli-Konzerte sowie Sammartini-Sinfonien liegen auf den Pulten.

Concerto Köln bei einer Leseprobe 1989. Foto: Jean Michel Forest. Concerto Köln
Die Bombe in Deutschland: Kraus-Sinfonien

Und in Deutschland? Der WDR hatte seine Truppen und wartete nicht auf Concerto Köln. Und doch explodiert die Bombe (Gerald Hambitzer) auch in Deutschland. Mit den Joseph Martin Kraus-Sinfonien, die beim Hauslabel Capriccio 1991 veröffentlich werden. „Ich sitze mit dem Bachforscher Peter Wollny zusammen und wir sprechen über Komponisten“, erinnert sich Erhardt. „Sag mal Werner, Joseph Martin Kraus, die Capella Coloniensis hat mal eine Sinfonie in den 50ern gemacht, ich gebe Dir die Aufnahme, das wäre doch interessant?“ Die Musik haut Werner um, er nimmt Kontakt zur Kraus Gesellschaft in Uppsala auf, denn der im Odenwald aufgewachsene Kraus wirkte zuletzt am Hofe Gustav III von Schweden. Werner bestellt Noten und probt den Erfolg.

Immer mehr im Rampenlicht

Kraus beschert Concerto Köln eine regelmäßige Rundfunkplattform. Der Deutschlandfunk richtet Concerto-Köln-Festtage ein, die sich jährlich um eine Komponistenentdeckung drehen. Im ersten Jahr: Joseph Martin Kraus natürlich. Es folgt Luigi Boccherini und die spanischen Klassik. Dann wird Gaetano Brunetti beleuchtet, Antonio Locatelli, Antonio Rosetti, Johann Baptist Wanhal, Evariste Felice Dall‘Abaco. Komponistennamen, die kaum einer kennt, aber Concerto Köln immer mehr ins Rampenlicht rücken. Und dann kommt der Einstieg in den Orchestergraben.

Basisdemokratisch wie die Grünen

Ob immer alle einverstanden waren, darf man sich schon fragen. Denn schließlich haben in der GbR Concerto Köln alle Mitspieler*innen mitzureden. „Jeder sollte mitgenommen werden und Ideen einbringen können. Wir waren ja befreundet. Von Zeit zu Zeit haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie es weitergehen soll. “ Alle entstammten ja der Generation, die die Grünen gegründet hatten, so Erhardt. „Wir wollten basisdemokratisch wie die Grünen sein“. „Diskussionen waren schon manchmal ausschweifend, das haben wir auch versucht zu regeln, trotz aller Offenheit!“, so Gerald Hambitzer. Und es funktioniert ja auch bis auf den heutigen Tag.

Zwei Da Ponte Opern sind das Highlight

Im Orchestergraben hieß es allerdings von Anfang an und abweichend von der Regel sich dem Dirigenten unterzuordnen.  Die erste Zusammenarbeit ist allerdings mehr gemeinsames Experiment. „René Jacobs wollte anfangen zu dirigieren, hatte Ahnung von Gesang und Stimmen, aber nicht von Instrumenten und Orchester. Die Schwetzinger Festspiele fragten ihn dennoch an und der Kölner Lautenist Konrad Junghänel, der damals eng mit Jacobs zusammenarbeitete, brachte Concerto Köln ins Spiel.“  Werner Erhardt erinnert sich lebhaft. Jacobs am Pult und Concerto Köln im Graben sammeln gemeinsam erstes historisches Opern-Know How. Mit Christoph Willibald Glucks Echo et Narcisse 1987 beginnt die Zusammenarbeit bei den Schwetzinger Festspielen. Sie führt nach Berlin, wo zur 250-Jahr-Feier der Staatsoper Unter den Linden das Eröffnungswerk von Carl Heinrich Graun, Cleopatra e Cesare erstmals wieder aufgeführt wird, und ein Jahr später geht Claudio Monteverdis Poppea in der Inszenierung von Michael Hampe über die Kölner Opernbühne. Harmonia mundi france und Teldec, Majorlabels, treten auf den Plan. Und der WDR steigt in die Koproduktion mit der Aufnahme der beiden Da-Ponte-Opern Le nozze di Figaro und Cosi fan tutte ein. Absolute Highlights. Doch für die letzte Da-Ponte-Oper Don Giovanni 2007 sticht das Freiburger Barockorchester die Kölner aus.

Wir haben andere Orchester inspiriert

Jeder Höhenflug hat ein Ende. „Wir haben der Frühklassik einen neuen Klang gegeben“, ist Ehrhardt überzeugt, „und haben auch andere Orchester inspiriert, die Bremer Kammerphilharmonie, nicht zuletzt das Freiburger Orchester… wie haben die Klassik gespielt? Und wie spielt man heute! Concerto Köln“ – so Erhardt, „war der Rolls-Royce unter den Barockorchestern was die Klangrede angeht.“ Für Erhardt kommen nach 20 Jahren neue Aufgaben, die er im Gestalterischen als Dirigent sieht. Dem Orchester hatte er eingeimpft, ohne Dirigent zu spielen. „Unmöglich, sich davor zu stellen“. 2005 verlässt er Concerto Köln, gründet L‘Arte del mondo in Richtung weltmusikalischer Möglichkeiten. Eines seiner letzten Concerto-Köln-Projekte hatte er da im Ohr. „Der Traum vom Orient“ mit türkischen Musikern vom Ensemble Sarband.

Staffettenübergabe

Auf 75 Aufnahmen, vielfach preisgekrönte Weltersteinspielungen, kann Concerto Köln stolz sein. Auch wenn das Label Capriccio mit Erhardt mitzieht. Berlin Classics heißt ab 2008 das neue Concerto-Köln-Hauslabel. Die künstlerische Leitung bleibt auch weiterhin unter den Musikern. Es übernimmt Traversflötist Martin Sandhoff, ebenfalls Gründungsmitglied, Fagottist Lorenzo Alpert oder Cellist Alexander Scherf, letzterer seit 2000 dabei. Seit letztem Jahr liegt die Leitung in den Händen der Cellistin Hannah Freienstein, seit 2021 dabei.

Historische Vergleiche

Neue Namen. Auch die Konzertmeister*innen wechselten immer wieder. Inzwischen sitzt die dritte Generation in den Stimmgruppen. Und Dirigenten sind natürlich ins Spiel gekommen. Ivor Bolton führte Concerto Köln zum Bonner Beethovenfest. Apropos Beethoven. Gerd Albrecht führte bereits 1991 Beethovens zweite Sinfonie mit Concerto Köln historisch und der Deutschen Kammerphilharmonie auf modernen Instrumenten in einem Konzert auf. „Ein Irres Projekt“ (Erhardt) in dieser Direktheit vergleichen zu wollen. Es fand 1991 in der Frankfurter Oper statt und ließ hören, was unterschiedliches Instrumentarium und Spieler ausmachten. Der Vergleich gipfelte in der Fernsehübertragung. Sensationell war auch der Vergleich der drei Schumann-Konzerte für Violine, Violoncello und Klavier mit Isabell Faust, Jean-Guihen Queyras, und Alexander Melnikov am Hammerflügel. Pablo Heras-Casado dirigierte sie unter anderem in der Kölner Philharmonie 2014.

Jubiläum mit Max Cencic

Es gab ja auch noch weiterhin spektakuläre Opernprojekte wie 2011 „Artaserse“ von Leonardo Vinci mit fünf Countertenören (LTG. Diego Fasolis). Dabei war damals Counter Max Cencic, der als Solist im aktuellen Jubiläumskonzert am 28.10.2025 bei der Händel-Oper Flavio, Ré di Longobardi in der Kölner Philharmonie unter den Solisten sein wird. Viele künstlerische Verbindungen wurden gehalten.

Götterdämmerung

Der Ehrendirigent ist ein absolute Novum. Er heißt Kent Nagano, war zuletzt GMD an der Hamburgischen Staatsoper, und hebt seit 2021 mit Concerto-Köln den ersten historisch informierten „Ring des Nibelungen“ aus der Taufe. Für das inzwischen von „Wagner-Lesarten“ begleitete und in „The Wagner-Cycles“ umgetaufte Groß-Projekt werden Sing- und Sprechdiktion zur Zeit Wagners exploriert und sind sogar Instrumente aus der Wagner-Zeit nachgebaut wurden. Spektakulär ist Hundings Stier-Horn, das sicherlich so noch keiner vorher gehört und gesehen hat. Die Erarbeitung des wegbereitenden Vor-Wagnerischen Repertoires ging voraus. Was die Aufführungspraxis angeht ist Concerto Köln gründlich geblieben. Die Geiger mussten beispielsweise eine Louis-Spohr-Sonate erarbeiten und wurden vom Konzertmeister Shunske Sato dabei gecoacht. Bis zum „Siegfried“ ist die Tetralogie fortgeschritten. Das Dresdner Festspielorchester ist mit eingestiegen. Jetzt hoffen alle, dass die Götterdämmerung auch noch stattfindet. Wichtige Sponsoren sind abgesprungen.

Herzlichen Glückwunsch

Freischaffend ist eben nicht leicht. Gerade weil Concerto Köln nach wie vor aufführungspraktisch ernst genommen und das Musikmachen frisch halten will. Oder doch nicht? Wird dem kurzgesprungenen Eventcharakter nachgegeben? Zeiten ändern sich, aber dass sich Concerto Köln immer wieder neu erfinden kann, haben die 40 Jahre ja auch gezeigt. Dem kann man gratulieren.

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