Die drei Schicksalsschläge aus dem Orchester verheißen nichts Gutes. Aber Verdi ist immer ein Zugpferd an deutschen Theatern. Am Theater in Bonn kommen die Schläge bedächtiger als meistens. Das Beethovenorchester wird ja von Verdi-Spezialist Will Humburg geleitet. Er wurde schon als bester deutscher Verdi-Dirigent apostrophiert. Und er erweist seiner Meisterschaft in „La Forza del destino“ wieder alle Ehre. Die drei Schläge bekommen aber noch ein besonderes Gewicht durch den Racheengel in schwarzem Tüll, der seinen Zeremonienstab mit Weltkugel-in-Knochenhand auf den Boden schlägt. „Frieden“ ist in weißen Lettern auf rotem Grund auf zwei im Winkel zueinander stehende Wände projiziert. Ein Wunsch, der sich allenfalls im Jenseits erfüllt. (Von Sabine Weber)
Um Krieg, Rassismus, Blutrache geht es in Verdis La Forza del destino. So kann man allenthalben nachlesen. Ein gewaltiges Themenkonglomerat von Piave nach mehreren spanischen Dramen in ein Libretto gebracht und neugefasst von Ghislanzoni. An verwirrend viele Orte führt die Handlung. Die (Zu-)Flucht und die Katastrophen passieren in Spanien, Italien, in einem Zimmer, im Gasthaus, im/ vor dem Kloster oder auf dem Schlachtfeld. Zwei Wand-Mauer-Elemente öffnen sich, trennen die Menschen oder gewähren scheinbar Einlass. Die Bühne von Raimund Bauer disloziert die Orte, verbindet aber genial die verschiedenen Szenerien. Es wehen dann auch mal Vorhänge im Zimmer. Für das Kloster wird ein Kreuzausschnitt in der Wand von hinten beleuchtet. Aus einer Wand senkt sich einmal ein Podium für ein groteskes Marktschauspiel à la Fellinis Satyricon. Alles ist Welt! Und Bühne! Und das Schicksalsrad dreht sich in einer schwarz-weiß-Projektion (FettFilm). Und weil das Schicksal durch einen Schuss in Gang gesetzt wird, wirbelt der Revolver mit.
La Forza ist sperriger, weil so wildbunt, und wirft Fragen auf!
Altmeister David Pountney zeichnet verantwortlich. La Forza del destino ist sein dritter Verdi für Bonn. Durch Corona ist die Trilogie, der Maskenball und Sizilianische Vesper gingen voraus, auseinander gerissen worden. Auch Die Macht des Schicksals zählt zu den reifen Verdi-Opern, 1862 in Sankt Petersburg uraufgeführt und für die zweite Aufführung in Mailand überarbeitet. Doch sie ist sperriger, weil so wildbunt, und wirft auch Fragen auf.
Namenlose Freunde
Der Krieg ist zwar Kulisse und auch in Bonn wie zuletzt am Aalto-Theater mit filmischer Arbeit präsent. Aber thematisiert Verdi wirklich den Krieg und seine Ursachen oder ist Krieg vielmehr eine Schicksals-Couleur und Atmosphäre für ausgehebeltes Leben? Der Krieg zeitigt hier sogar Positives. Der hassende Verfolger Don Carlo und der unschuldig Verfolgte Alvaro werden im Heer als Namenlose Freunde, dürfen sich sogar gegenseitig das Leben retten. Und schmettern bei Verdi gemeinsam!
Totenfratze mit Monstranz
Kriegstraumata stellt Verdi dann aber doch aus. Sowohl blinder Kriegstaumel, als auch Kriegsopfer, Gefallene wie zum Schluss die hungernde Bevölkerung tauchen auf. Der Bonner Theaterchor, bestens einstudiert von André Kellinghaus, singt großartig und spielt in immer neuen Kostümen. Doch was haben diese Menschen mit der eigentlichen Hassgeschichte zu tun, die ach so grausam endet? Mit Preziosilla kommt dann noch eine verwirrende Nebenfigur ins Spiel, die dem Krieg ein Gesicht gibt. Dshamilja Kaiser aus dem Ensemble genießt sich in schwarzer Paillette und peroxydblond mit Schiffchen oder Zylinder als erfolgreiche Kriegswirtschafterin. Sie feiert den Krieg und heizt in ihrem berühmten Rataplan am Ende des dritten Aktes ausgelassen an. In Bonn reitet Preziosilla sogar auf einer Kanone, die an einem Schwenkarm über dem Chor im Tarantellataumel schwebt. Das ist eine irritierend unterhaltsame Kriegs-Revue. Später taucht sie mit Totenfratze und Monstranz auf dem Kopf auf.

Leonora im Zuschauer-Fokus
Yannick-Muriel Noah aus dem Bonner Ensemble verkörpert dagegen Leonora in großer menschlicher Tragik und Verzweiflung. Von ihr erfahren wir sehr viel. Sie ist auf der Flucht vor ihrem Hasserfüllten Bruder, sie ist Vereinsamte in der Fremde. Sie schleppt sich wie Pater Grandier in Ken Russels Die Teufel von Loudon liegend mit Armkraft zwischen Popanzen mit Clownsgesicht durch, die Bischofshut und Blutfleckkragen (Kostüme: Marie-Jeanne Lecca) tragen. In dieser Fratze wird scheinheilig sanft dem Pater-Abt Verschwiegenheit versprochen, der Leonora schützen will. Die Kostümierung der Mönche bleibt eine aufgesetzte Kirchenkritik.
Noah bereichert ihre Partie mit vielen verschiedenen Tönen, übertönt nicht nur mühelos Bühne und Graben, sondern versteht sich auch auf innigste Färbungen. Ihr Friedensgebet berührt ungemein. Bühnenpräsenz und Wendigkeit sorgen bei aller körperlichen Opulenz dafür, dass ihre Rolle bis auf den letzten Akt im Zuschauer-Fokus bleibt.
Prächtige Herren-Duette

In prächtigen Duetten überzeugen dann natürlich die Herren. Das Freundschafts-Duett Alvaro – Don Carlo ist immer ein Höhepunkt. Vor allem, wenn zwei Stentorstimmen so richtig Gas geben wie Tenor George Oniani aus dem Ensemble und Bariton Franco Vassallo, der schon als Scarpia Anja Harteros und Jonas Kaufmann in Schach gehalten hat. Die Szene, in der er mit der Wahrung des Geheimnisses der ihm von Alvaro überreichten Dokumenten hadert, packt einen an. Da grollt eine Hassinkarnation mit so etwas wie Ehre, die er später sogar mit Morden zu retten meint.
Der schicksalhafte Schuss
Rassendiskriminierung ist allenfalls Thema, weil Don Carlo seinem Gegner Alvaro als Sohn eines Spaniers und einer Inkaprinzessin unterstellt, Leonora entehrt zu haben. Kommt dazu, dass der Vater durch den schicksalshaft unbeabsichtigten Schuss ums Leben kommt, der aus seiner Pistole kommt. Das ist ein Moment, der noch in keiner Inszenierung überzeugend umgesetzt wurde. Regisseurin Sláva Daubnerová drückt in ihrer Essener Inszenierung die Waffe sogar Leonora in die Hand und stilisiert sie zur Kämpferin gegen das Patriarchat. In Bonn fliegt die Waffe zu Boden und ein roter Fleck zeigt sich auf des Marchese di Calatravas Jacke. Die ballistische Kurve geht in Riesenvergrößerung mit Pirouetten über die Leinwand. Nun ja.
Ernst und Würde mit Pavel Kudinov
Trotz all der Glaubwürdigkeitsfragen in der Handlung gerät man in Bonn sicher in den Verdi-Sog. Die musikalischen Themen brennen sich schon mit der Ouvertüre – zwischen den drei Schlägen als wiederkehrendes Rondo – in die Ohren. Genau, präzis und nie überhastet lässt Will Humburg die Musik in vielen Details leuchten, so dass jeder Schimmer wahrgenommen wird. Am Beginn des zweiten Aktes gibt es sogar ein Klarinettenkonzert. Die religiösen Szenen mit Orgel bringen Weihe ins Spiel. Die Blechchoräle sind wie Schicksalsomen. Der Mönchschor aus dem Off ein wundervoller Gegenpart zu den lärmenden Massentableaus vorne. Mit Pavel Kudinov sorgt Padre Guardiano als einziger für Ernst und Würde, auch wenn Fra Melitone mit Enrico Marabelli clownesk gegen die Ruhe im eigenen Laden anstürmt.
Das Kitsch-Finale
Padre-Abt hat natürlich das letzte Wort in dem musikalischen Kitsch-Finale, das Leonora das Leben nimmt, beziehungsweise im Himmel erlöst. Es ist schon auch ein wunderbares Trio. (Siehe das Titelbild mit dem Schlusstrio George Oniani (Alvaro), Yannick-Muriel Noah (sterbende Leonora), Franco Vassallo (der bereits tote Carlo singt nicht) und Pavel Kudinov (Padre Guardiano). Foto: Bettina Stöß) Selbst in seiner letzten Lebensstunde und tödlich verwundet konnte der Bruder von seinem Hass nicht abstehen. Hass macht blind. Und dem hat David Pountney nicht wirklich etwas hinzuzufügen. Sein Verdienst ist es, alles in einem bildlichen Fluss, glaubhaft so weit möglich, in einer intensiven Personenregie zusammen gehalten zu haben. Neue Deutungsansätze finden sich nicht. Sind sie in La Forza überhaupt nötig?